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Was ist Gluten?

GlutenDie Hände sind das wichtigste Handwerkszeug des traditionellen Bäckers. Damit bildet, formt und kultiviert er den Stoff im Mittelpunkt seines Gewerbes: Gluten. Gluten ermöglicht knusprig-leicht-und-luftiges Gebäck – und gilt zugleich als Ursache einer Reihe von Krankheiten, Darmentzündungen und Allergien bis hin zu Multipler Sklerose. Angeregt durch diese Bedenken schwappen regelmäßige Wellen der Angst vor Gluten durch das Land. Sind diese Befürchtungen berechtigt oder völliger Unfug?

Beseitigen wir zunächst die Angst vor dem Unbekannten und klären:

Was ist Gluten?

Gluten ist ein Eiweiß, ein Protein mit besonderen Eigenschaften: Es ist elastisch und zugleich stabil. Knetet man einen Teig aus Getreidemehl, entstehen lange Stränge. Beim Backen verdampft die im Teig enthaltene Feuchtigkeit und bildet Luftblasen. Durch die Elastizität und Stabilität des Glutens können sich diese Blasen stark ausdehnen und die Luft bleibt im Teig. Das Ergebnis ist leichtes, luftiges Gebäck. Ohne Gluten könnte man unsere traditionellen Brote und Brötchen, Croissants und Kuchen unmöglich herstellen.

Gluten setzt sich zusammen aus Eiweißen zweier Gruppen: Den Prolaminen und den Glutelinen. Weizengluten besteht aus Gliadin und Glutenin, Roggengluten aus Secalin und Secalinin und so fort. Das Gluten entsteht erst dann, wenn sich diese Proteine mit Feuchtigkeit verbinden. Etwa dann, wenn man Weizenmehl mit Wasser verrührt und knetet.

Was ist ungesund an Gluten?

Allgemein spricht man zwar von Gluten, genaugenommen ist jedoch allein der Glutenbestandteil Gliadin umstritten. Wenn Forscher über Glutenunverträglichkeit oder Zöliakie schreiben, beziehen sie sich meistens allein auf Gliadin.

Gliadin kann in bestimmten Fällen dem Darm schaden. Wir wissen nur ungefähr, wie und wann das geschieht: Gliadin aktiviert den Zonulin-Signalweg und erhöht dadurch die Durchlässigkeit der Darmbarriere. Patienten mit Zöliakie oder Glutenunverträglichkeit reagieren empfindlicher auf diese Veränderung als andere.1 Das sind verhältnismäßig neue Erkenntnisse; die Forschung ist noch lange nicht abgeschlossen.

Dieser Einfluss des Gliadins auf den Darm könnte verantwortlich sein für Folgekrankheiten wie Multiple Sklerose, Diabetes Typ 1, Schuppenflechte (Psoriasis), IgA Nephritis (Morbus Berger) und Rheumatoide Arthritis. Die Zusammenhänge sind vielschichtig und auch für erfahrene Ärzte schwer zu überblicken. Darmerkrankungen als Ursache anderer Krankheiten können wie Zöliakie jahrelang unentdeckt bleiben. Manche Menschen können Gliadin nicht verdauen und das trägt bei zum Erkrankungsrisiko.2

Es geht bei diesen Krankheiten demnach nicht um Gluten. Allerdings ist auch Gliadin nicht grundsätzlich die Quelle des Unglücks. Es geht allein um Sequenzen von Aminosäuren, aus denen sich dieses Protein zusammensetzt, also um bestimmte Teile des Gliadins. Nicht jedes Gluten ist betroffen. Behalten wir das kurz im Hinterkopf.

Was ist Glutenunverträglichkeit? Ist wirklich jeder betroffen?

Bei Glutenunverträglichkeit kann der Verzehr glutenhaltiger Nahrungsmittel zu einer Entzündung der Darmschleimhaut führen. Das Krankheitsbild Zöliakie wiegt schwerer: Die medizinische Literatur schreibt von Symptomen wie Gewichtsverlust, Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Depressionen und Gedeihstörungen im Kindesalter.3

Zöliakie betrifft im weltweiten Durchschnitt weniger als ein Prozent der Menschen (die Angaben schwanken).4 Es gibt Hinweise auf eine hohe Dunkelziffer aufgrund unklarer Diagnosen.5 Hinzu kommt eine oft noch schwammige Abgrenzung zur Glutensensitivität, die sich weniger schwerwiegend mit ähnlichen Symptomen äußert.

Selbst Prof. Dr. med. Holtmeier, Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie, Diabetologie und Innere Medizin am Krankenhaus Porz am Rhein, ist nach langjährigen Zweifeln nun von der Existenz der Glutensensitivität überzeugt. »Heute gibt es gute und auch reproduzierbare Belege, dass es eine Gluten Sensitivity gibt, aber es fehlen noch die richtigen Marker. Daher bleibt es momentan dabei, dass der Arzt erst verschiedene Krankheiten ausschließen muss, bis er die Diagnose einer GS geben kann.«6

Unterscheiden muss man auch zwischen diesen Krankheiten und der Weizenallergie, welche überwiegend Atmungsorgane und die Haut betrifft.7

Diese feinen Unterschiede in Bezeichnungen und Symptomen tragen sicher bei zur Verwirrung und Diskussion um die möglichen Gefahren des Glutens. Auf der einen Seite stehen tatsächlich betroffene Patienten mit diagnostizierten Krankheitsbildern; ihnen gegenüber stehen unzählige symptomfreie Menschen mit der gleichen Ernährung. Und dazwischen häufen sich die Fälle derer, die irgendwie nicht so gut mit Weizen klarkommen.

Die Steinzeiternährung empfiehlt deswegen den Verzicht auf Getreide. Ihre Befürworter beziehen sich dabei auch auf weitere, oft nicht haltbare Vorwürfe gegenüber Weizen: Zum Beispiel die dadurch induzierten chronischen Entzündungen, welche Ursache vieler Zivilisationskrankheiten seien.

Warum sind die Aussagen bezüglich Gluten so widersprüchlich?

Gluten schadet offensichtlich nicht jedem Menschen. Die widersprüchlichen Aussagen haben mehrere Gründe, einen habe ich weiter oben genannt: Die Forschung ist noch lange nicht abgeschlossen.

Erinnern wir uns an die Unterscheidung zwischen Gluten, Gliadin und den Gliadin-Bestandteilen: Nur Teile des Gliadins sind verantwortlich für die Probleme der anfälligen Menschen – nicht das Gluten als solches.

Wenn man von glutenfreiem Getreide spricht, sind sich Volksmund und viele Mediziner einig: Mais und Reis sind glutenfrei. Aus Sicht der Lebensmittelchemie ist das falsch, denn auch Mais und Reis enthalten Proteine der weiter oben genannten Gruppen Prolamine und Gluteline. Und obwohl sie kein Gliadin enthalten, können zum Beispiel einige Maissorten genau die für Zöliakie-Patienten heiklen Sequenzen enthalten und ihnen schaden.8 Die Widersprüche zum Glutengehalt und zur Verträglichkeit verschiedener Getreidesorten und -arten beschreibt im Detail dieser Artikel: Ist Hafer glutenfrei?

Hinzu kommt: Bestimmte Darmbakterien können Gluten verarbeiten.9 Möglicherweise kann ein empfindlicher, aber gut gepflegter Darm mit entsprechendem Bakterienstamm Gluten ohne Schwierigkeiten verdauen.

Alternativen

Wer auf Getreide nicht verzichten möchte, könnte die enthaltenen Antinährstoffe und Toxine abbauen durch traditionelle Zubereitungsmethoden wie Einweichen, Ankeimen oder Fermentieren. Einigen Berichten zufolge lässt sich durch sorgfältiges Vorgehen dabei sogar das Gluten nahezu vollständig abbauen.10 Die in der Industrie verbreiteten Abläufe berücksichtigen das nur selten.

Die Frage des Getreidekonsums über das Thema Gluten hinaus spricht dieser Artikel an: Ist Getreide wirklich ungesund?

Glutenfrei kochen und backen

Meine jahrelange Erfahrung mit glutenfreier Ernährung habe ich in diesen Kochbüchern festgehalten:

 

Mehr über Getreide und Gluten:

Fußnoten

  1. Drago S et al. (2006) Gliadin, zonulin and gut permeability: Effects on celiac and non-celiac intestinal mucosa and intestinal cell lines. Scand J Gastroenterol. 2006 Apr;41(4):408–19; Alessio Fasano (2013) Zonulin, regulation of tight junctions, and autoimmune diseases. Ann N Y Acad Sci. 2012 Jul; 1258(1): 25 – 33; Justin Hollon et al. (2015) Effect of Gliadin on Permeability of Intestinal Biopsy Explants from Celiac Disease Patients and Patients with Non-Celiac Gluten Sensitivity. Nutrients 2015, 7(3), 1565 – 1576.
  2. Matysiak-Budnik T et al. (2003) Alterations of the intestinal transport and processing of gliadin peptides in celiac disease. Gastroenterology. 2003 Sep;125(3):696–707; Mamone G (2007) Identification of a peptide from alpha-gliadin resistant to digestive enzymes: implications for celiac disease. J Chromatogr B Analyt Technol Biomed Life Sci. 2007 Aug 15;855(2):236 – 41.
  3. Zanchi C et al. (2008) Bone metabolism in celiac disease. J Pediatr. 2008 Aug;153(2):262 – 5.
  4. Naiyana Gujral et al. (2012) Celiac disease: Prevalence, diagnosis, pathogenesis and treatment. World J Gastroenterol. 2012 Nov 14; 18(42): 6036 – 6059.; Celiac Disease Facts and Figures. University of Chicago Celiac Disease Center,<http://www.uchospitals.edu/pdf/uch_007937.pdf>.
  5. Rostami K et al. (1999) High prevalence of celiac disease in apparently healthy blood donors suggests a high prevalence of undiagnosed celiac disease in the Dutch population. Scand J Gastroenterol. 1999 Mar;34(3):276 – 9.
  6. Quelle: glutenfreiheit.org Symptome für Glutensensitivität werden von vielen nicht erkannt. <http://glutenfreiheit.org/news/gfk-studie-symptome-fuer-glutensensitivitaet-werden-von-vielen-deutschen-nicht-erkannt>
  7. Vergleiche Gluten-Unverträglichkeit-erkennen, <http://www.gluten-unvertraeglichkeit-erkennen.de/de/glutenunvertraeglichkeit/>
  8. Comino et al. (2013) The Gluten-Free Diet: Testing Alternative Cereals Tolerated by Celiac Patients. Nutrients. 2013 Oct; 5(10): 4250 – 4268.
  9. M. Fernandez-Feo et al. (2013) The cultivable human oral gluten-degrading microbiome and its potential implications in coeliac disease and gluten sensitivity. Clinical Microbiology and Infection, Volume 19, Issue 9, September 2013.
  10. Rizzello CG (2007) Highly efficient gluten degradation by lactobacilli and fungal proteases during food processing: new perspectives for celiac disease. Appl Environ Microbiol. 2007 Jul;73(14):4499 – 507.

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