Dieser Artikel ist auch als Podcast bzw. Netcast zum Anhören verfügbar: Urgeschmack-Podcast #17: 5 Gründe, kein Getreide zu essen
Die Steinzeiternährung (oder auch Paläo-Diät) rät grundsätzlich zum Verzicht auf Getreide. Als Grund gilt auf der einen Seite die Geschichte: Nach derzeitigem Kenntnisstand waren große Getreidemengen erst mit Beginn der Landwirtschaft verfügbar, welche das Ende der Steinzeit markiert. Andere argumentieren mit der Evolution und behaupten, der Mensch könne nach nur 10.000 Jahren keinesfalls an die Verdauung des relativ neuen Lebensmittels Getreide angepasst sein, vertrage es dementsprechend schlecht. Eine Diskussion, die die Gemüter erhitzt. Diese Betrachtungen sind fragwürdig. Sollte man Getreide essen?
Man mag es gar als praktisch bezeichnen, bisweilen als lecker – die Geschmäcker und Vorlieben sind verschieden. Besonders in Deutschland gibt es umfangreiches Handwerk und Kultur rund um dieses Naturprodukt. Dennoch existieren über die genannten Perspektiven hinaus tatsächlich gute Gründe, kein Getreide zu essen – auch ganz ohne Paläo-Diät und Steinzeit-Argumentation.
1. Anti-Nährstoffe
Gluten ist nur eines der potenziell schädlichen Lektine im Getreide. Phytinsäure ist ein weiterer dieser in Getreide reichlich vorhandenen Anti-Nährstoffe, die den maßlosen Verzehr weniger ratsam machen. Diese antinutritiven Substanzen machen andere Nährstoffe unzugänglich, können dem Verdauungstrakt schaden und weiterführende, schwere Erkrankungen auslösen. Darunter Diabetes, Entzündungen und Multiple Sklerose.
Getreide ist für Menschen mit Zöliakie oder diagnostizierter Glutenunverträglichkeit ungesund. Die Meinung, dies gälte potenziell für alle Menschen, ist umstritten und lässt sich bis heute nicht bestätigen. Einige traditionelle Zubereitungsmethoden können diese Problematik entschärfen und es gibt auch Bevölkerungsgruppen, welche Anti-Nährstoffe tendenziell besser vertragen als andere. Mit anderen Worten: Das Schadpotential besteht grundsätzlich, wirkt sich jedoch in einigen Fällen mehr, in anderen weniger stark oder gar nicht aus. Teil des Problems ist heute auch die industrielle Massenproduktion von Teigwaren (mehr dazu in: Ist Getreide wirklich ungesund?) Anti-Nährstoffe sind somit ein Grund zur Vorsicht und zur Sorgfalt.
2. Bodendegradation
Getreide wird überwiegend in einjährigen Monokulturen angebaut. In Monokulturen ist die Artenvielfalt auch des Tierreichs stark eingeschränkt. Außerdem ist zum Anbau eine jährliche Umwälzung des Bodens erforderlich, dies legt den Boden offen und setzt ihn der Witterung aus. Üblich ist eine starke Düngung und Beanspruchung des Bodens.
Die Folge des jahrzehntelangen Getreideanbaus: Stellenweise sind mehrere Meter Mutterboden zerstört (vom Wind weggetragen oder vom Regen weggespült). Viele verbleibende Böden sind tot, enthalten kaum noch Nährstoffe und Bodenlebewesen. Einige Quellen sprechen von lediglich 50 Jahren, die wir die Böden noch auf die bisherige Weise nutzen können. Desertifikation ist eine der Folgen dieser intensiven Landwirtschaft. Selbst der ökologische Landbau nach aktuellem Stand (EG Öko) ist diesbezüglich keine wirklich nachhaltige Alternative.
Nur sorgfältige Fruchtfolgen mit individueller Anpassung wie im biodyamischen Landbau (s.a. Demeter) kann wenigstens die Voraussetzung für nachhaltigen Getreideanbau bieten.
3. Geringer Nährstoffgehalt
Getreide enthält im Vergleich zu Gemüse wie Kohl und Spinat, Salaten, Karotten oder auch Obst und Beeren nur sehr wenige Nährstoffe. Um sich ausreichend mit Mikronährstoffen zu versorgen, müsste der Mensch also viel mehr Getreide essen, als dies bei anderen pflanzlichen Lebensmitteln nötig wäre.
Die Folge kann ein ungünstiger Einfluss auf die Kalorienbilanz sein, denn wer seinen Nährstoffbedarf aus Getreide decken möchte, muss zwangsläufig mehr Energie aufnehmen – unter Umständen zu viel. Dies kann sich als Übergewicht auswirken, mit den bekannten Folgen. Eine Unterversorgung mit Nährstoffen wäre ebenso wenig erstrebenswert. Mit ausgeglichener Kalorienbilanz auf Basis von Getreide wäre dies jedoch wahrscheinlich die Folge.
Der Nährstoffgehalt des Getreides hat sich seit den 1960er Jahren um rund 50% reduziert, als Hauptgrund gilt die Industrialisierung der Landwirtschaft. Auch hier kann der biologisch-dynamische Anbau durch Wiederherstellung und Erhalt der Bodenfruchtbarkeit sowie durch die Wahl nahrhafterer Sorten eine Alternative darstellen.
4. Omega-6-Fettsäuren
Getreide enthält einen verhältnismäßig hohen Anteil an Omega-6-Fettsäuren. In den verbreiteten, großen Mengen hat dies einen negativen Einfluss auf das Omega-6-zu-Omega-3-Fettsäuren-Verhältnis des Menschen. Dies kann der Gesundheit nachhaltig schaden. Zahlreiche Entzündungskrankheiten wie Rheuma sind darauf zurückzuführen, ebenso gibt es Verbindungen zu Herz-Gefäßerkrankungen bis hin zu Krebs.
Eine ausgewogene Ernährung von viel Gemüse und Omega-3-Quellen kann die Baance zu einem maßvollen Getreideanteil darstellen.
5. Hoher Kohlenhydratanteil
Kohlenhydrate sind nicht per se ein Problem. Doch der Kohlenhydratanteil in Getreide ist mit rund 60-80% so hoch, dass schon geringe Körnermengen für starke Entgleisungen des Blutzucker- und entsprechend des Insulinhaushalts sorgen können.
Da Getreide relativ billig ist und oft als Ernährungsgrundlage verschrieben und verstanden wird, sind die konsumierten Mengen in der Regel jedoch sehr hoch. Folglich entstehen für viele Menschen tatsächlich ernsthafte Probleme aufgrund eines gestörten Blutzucker- und Insulinhaushalts, vermehrt auftretende Insulinresistenz und Diabetes sind die Folgen. Besonders bei Bewegungsmangel verstärken sich diese Risiken.
Fazit: Besser kein Getreide essen?
Es gibt viele gute Gründe, auf Getreide zu verzichten. Wer es dennoch isst, fällt davon in der Regel nicht tot um. Jedoch sollte sich jeder der damit verbundenen Risiken bewusst sein.
Eine stark getreidelastige Ernährung lässt entsprechend weniger Raum für zum Beispiel nährstoffreiches Obst und Gemüse. Angesichts der genannten Probleme gibt es zahlreiche Alternativen, die sich besser als Ernährungsgrundlage des Menschen eignen. Darunter Obst, Gemüse, Salate, Fisch, Fleisch und Nüsse.
Letztlich ist immer der Kontext wichtig. Sorgfältig zubereitet im richtigen Maß kann Getreide eine problemlose Ergänzung des Speisplans darstellen.
Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.