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Wie liebt man sich selbst?

Nur wer sich selbst liebt, kann wahrlich andere Menschen lieben. Nur wer sich selbst liebt, kann wirklich Liebe erfahren. Und nur wer sich selbst liebt, kann wirklich gesund leben.

Doch was ist diese Selbstliebe? Warum ist Liebe zu sich selbst die Voraussetzung für ein erfülltes Leben? Auf welche Weise nützt Selbstliebe der Gemeinschaft? Und wie sieht Selbstliebe aus – was tut jemand, der sich selbst liebt?

Was ist Selbstliebe?

Selbstliebe ist Frieden mit sich selbst. Wer sich selbst liebt, ist mit sich selbst zufrieden – das ist auf keinen Fall zu verwechseln mit Selbstzufriedenheit, zu der wir auch noch kommen. Diese Zufriedenheit erfordert Unabhängigkeit, Selbsterkenntnis und Zugehörigkeit.

Unabhängigkeit von der Bestätigung durch andere Menschen ist Grundlage der Selbstliebe. Der Mensch ist ohne Zweifel ein soziales Tier und Isolation ist ein Stressor, der die Gesundheit belastet. Solch ein Stressor ist allerdings auch der unerfüllte Wunsch nach Anerkennung.

Anerkennung gibt uns ein Gefühl der Bestätigung: Hier werde ich akzeptiert. Allerdings ist das die verkehrte Richtung, denn diese Abhängigkeit von anderen Menschen führt zu Spannungen. Wer die Anerkennung anderer sucht, muss sich nach deren Wertesystemen verhalten und kann nicht sein eigenes Leben leben – er ist abhängig und kann keine Selbsterkenntnis erreichen. Du kannst nicht von allen gemocht werden.

Der Wunsch nach Anerkennung ist ein falsch verstandener Wunsch nach Zugehörigkeit. Zugehörigkeit ist ein Grundbedürfnis des Menschen, ein evolutionsbiologisch sinnvoller Trieb. Ohne Gemeinschaft kann kein Mensch überleben.

Zugehörigkeit vermittelt das Gefühl: Hier gehöre ich hin. Dieses Gefühl kann und muss jeder Mensch sich selbst geben. Es gibt unzählige Gemeinschaften, zu denen wir gehören können: Familie, Freunde, Schulklasse, Verein, Band, Kollegium, Gemeinde, Stammkundschaft in einem Café, Region, Land und so fort.

Am einfachsten kannst du Zugehörigkeit fühlen, wenn du einen Beitrag leistest. Nicht im Austausch gegen Bestätigung, sondern um des Beitrags willen. Dein Beitrag ist eine Vorausleistung, eine Investition, ein Symbol deiner Zuversicht. In der Familie einen Teil des Haushalts erledigen, einen Freund anrufen, für die Schulklasse einstehen, im Park Müll sammeln, kleine Gesten der Freundlichkeit und Dankbarkeit zeigen, einfach da sein. Indem du gibst, was du kannst, vermittelst du dir selbst Wert. Dieser Selbstwert ist ein wichtiger Baustein der Selbsterkenntnis.

Selbsterkenntnis ist wiederum eine Voraussetzung für das Gefühl der Zugehörigkeit. Wer sich zugehörig fühlen möchte, muss zuerst zu sich selbst gehören: Sich selbst akzeptieren. Das erfordert radikale Ehrlichkeit, denn dafür musst du deine Schwächen und Fehler kennen und eingestehen.

Demnach kann Selbstliebe keine Erklärung der Selbstzufriedenheit sein: Ich bin wie ich bin – ich bin perfekt. Wer sich für perfekt hält, kann nicht wachsen, wird vor sich selbst davonlaufen und die Schuld für Missgeschicke stets bei anderen suchen. Solche Denkweise verhindert jegliches Wachstum.

Im Gegenteil erfordert Selbstliebe das Eingeständnis der eigenen Schwächen und Fehler: Ich bin ich. Ich habe Schwächen, ich mache Fehler. Ich kann mich jeden Tag verbessern. Integriere deine Schwächen, dann kannst du dich weiterentwickeln. Diese Einsicht ermächtigt und befreit dich aus der Opferrolle.

Diese Selbsterkenntnis, das Eingeständnis deiner Schwächen und deine Ehrlichkeit geben dir das Selbstvertrauen für deinen Selbstwert, deine Unabhängigkeit und deine Zugehörigkeit.

Selbstliebe führt zur Erfüllung

Sich selbst lieben und sich etwas Gutes tun heißt also nicht, jede Woche zwei Stunden me-time einzulegen, sich monatlich eine Massage zu gönnen und die Nägel machen zu lassen und jedes Jahr zwei Wochen ins Yoga-Retreat zu fahren. Selbstliebe ist auch nicht, wenn man sich eine Tafel Schokolade gönnt, Ja zur dritten Kugel Eis sagt und all seinen hedonistischen Impulsen nachgibt. Wer sich in Konsum und kurzfristigen Befriedigungen suhlt, kann sich kaum weiterentwickeln und unterminiert sein Wohlbefinden langfristig.

Gönn dir 90 Minuten im Gym. Gönn dir jeden Tag zehn Minuten Meditation. Arbeite an dir. Lerne den Handstand. Tue etwas Schwieriges. Lieben bedeutet geben und entbehren – auch, wenn man die Liebe sich selbst gibt. Besonders bedeutet es Verzicht auf angenehme Beschäftigung, die letztlich nur der Ablenkung von den eigenen Baustellen dient. Das ist kein Aufruf zur Selbstkasteiung, sondern vielmehr der Zuspruch zu mehr Mut: Wahrer Erfüllung geht ein Einsatz voraus. Auf das Eingeständnis der eigenen Fehler folgt die Besserung, die Arbeit an sich selbst und die Entwicklung der Persönlichkeit. Denn nur die schwierigen Dinge im Leben lohnen sich. Übernimm Verantwortung. Je mehr Verantwortung du übernimmst, desto größer wächst dein Gefühl für die Bedeutung deines Lebens. Welche Verantwortung du übernimmst, darfst du selbst wählen.

Erst wenn du deinen Selbstwert begreifst, kannst du als der Mensch geliebt werden, der du wahrhaft bist. Andernfalls gaukelst du deinen Mitmenschen nur etwas vor und lebst in Unzufriedenheit. Und solange du dich nicht selbst liebst, kennst du die Bedeutung von Liebe nicht und kannst niemand anderen lieben.

Echte Selbstliebe dient immer der Gemeinschaft

So wie Yoga und Meditation im Ursprung keine Techniken allein für das Individuum sind, sondern sich auf das Wohl der Gemeinschaft richten, so dient auch Selbstliebe unseren Nächsten. Wenn du mit dir selbst im Reinen bist, deine Fehler und Mängel kennst und an ihrer Besserung arbeitest, kommt das immer auch deinen Mitmenschen zugute. Schaffst du einen Ausgleich deines unkontrollierte Temperaments, ersparst du nicht nur dir selbst den Schmerz der Wut, sondern auch anderen Menschen deine Ausbrüche. Je besser es dir geht, desto besser geht es der Gemeinschaft. Wenn du Zufriedenheit im Inneren erlangst, suchst du die Schuld nicht mehr bei anderen. Wenn jeder vor der eigenen Tür kehrt, ist die ganze Welt sauber.

So beginnt Selbstliebe im Alltag

Es gibt verschiedene Wege zur Gewohnheit der Selbstliebe. Ein einfacher Zugang führt über den Weg der Akzeptanz: Du bist selbst verantwortlich. Du bist kein Opfer. Du hast dein Leben in der Hand. Löse dich von der Abhängigkeit von anderen Menschen, zeige nicht mehr mit dem Finger und suche Gründe in der Vergangenheit. Achte dich selbst als starke Kraft auf der Welt. Such dir eine kleine Aufgabe zugunsten deiner Gemeinschaft und erwarte dafür keine Anerkennung. Sondern tue das, weil es gut ist; weil du entscheidest: Das hat Wert. Sehr schnell gedeiht daraus die Erkenntnis: Ich bin Wert.

Vielleicht benötigst du zuerst eine Auszeit vom Lärm des Alltags und dem Hintergrundrauschen deiner Wahrnehmung. Eines der besten Werkzeuge dazu ist NSDR: Kurze, geführte Tiefenentspannung. NSDR vermittelt häufig die Ruhe, auf deren Grundlage Selbsterkenntnis wächst. Diese Praxis dient somit deinem Wohl im Jetzt wie auch in der Zukunft.

Wer sich selbst liebt, geht die Herausforderungen des Alltags an. Er packt den Stier bei den Hörnen, räumt unangenehme Situationen auf und hebt die schweren Gewichte – meist im übertragenen wie im wörtlichen Sinn: Kraftsport ist ein weiter häufiger Zugangspunkt zu wahrer Selbstliebe. Ganz gleich, ob es die Freude am eigenen Anblick ist oder die Faszination, sein Aussehen durch Bewegung zu transformieren. Wer täglich trainiert bis die Muskeln brennen, lebt häufig zufriedener; ruft selbst einen Freund an, um ein schwieriges Gespräch zu führen; repariert seine problematischen Beziehungen oder beendet sie; kurz: Kann das Leben mehr genießen, weil er sich selbst so liebt und achtet, dass er sich das Leben mit Komplikationen nicht zumuten will – und damit zugleich auch die Hürden für andere Menschen beseitigt.

Dein Einstieg in echte Selbstliebe

  • Begreife den Unterschied zwischen Anerkennung und Zugehörigkeit
    • Löse dich vom Streben nach Anerkennung
    • Versuche nicht, die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen; versuche nicht, zu gefallen
    • Zugehörigkeit gibst du dir selbst; den Mut kannst du finden durch einen Beitrag deiner Wahl zugunsten deiner Gemeinschaft
  • Gestehe deine Fehler und Mängel ein
    • Akzeptiere deine Defizite als Gelegenheit zum Wachsen
    • Sei kein Opfer und achte dich selbst
    • Arbeite an dir; akzeptiere: Alles, was sich im Leben lohnt, ist schwierig
    • Widerstehe deinen hedonistischen Impulsen
    • Meditiere regelmäßig, nutze die Wirkung von NSDR
  • Übernimm Verantwortung; beginne bei deinen Defiziten
    • Geh die schwierigen Probleme deines Lebens an, hebe schwere Gewichte und trage schwere Lasten
    • Repariere deine kaputten Beziehungen – oder beende sie
    • Setze klare Grenzen; erlaube keine Einmischung in deine Aufgaben
  • Verstehe deine Selbstliebe als Dienst an der Gemeinschaft

Weiterführende Texte

  • Adlers Anleitung zur Zufriedenheit
    • Eine knappe Zusammenfassung von Ichiro Kishimis Interpretation von und Sicht auf die Arbeit des Psychotherapeuten Alfred Adlers. Sie zeigt einen Weg zur Zufriedenheit und beinhaltet eine Sicht auf Mitmenschen, die der sauberen Abgrenzung und Harmonie dient.
  • Fehlt dir der Mut zur Zufriedenheit?
    • Andere Worte für das Konzept dieses Artikels: Der Kreislauf aus Selbsterkenntnis, Selbstwertgefühl und Zuversicht.
  • Sieben Bausteine der Zufriedenheit nach Peterson
    • Wenigstens vier, besser fünf oder mehr dieser Bausteine sollte man gelegt haben; andernfalls lässt sich Zufriedenheit schwer erreichen.
  • Buch-Zusammenfassung: Du musst nicht von allen gemocht werden (The Courage to be Disliked) von Kishimi/Koga
    • Eine ausführliche Zusammenfassung von Ichiro Kishimis Studien der Arbeit Alfred Adlers. Im Dialog mit einem Schüler räumt der Meister sämtliche Zweifel und Unklarheiten aus. Am Ende steht das Modell einer Lebensphilosophie, in der jeder seine eigenen Aufgaben erledigt und sich nicht einmischt. Zugleich ermöglicht diese Sicht auf das Leben ein harmonisches und gutherziges Miteinander.