Eiweiße (=Proteine) bestehen aus Aminosäuren und gehören zu den Grundbausteinen aller Zellen. Essenzielle Aminosäuren sind solche, die der menschliche Organismus nicht selbst synthetisieren kann. Diese muss er durch die Nahrung zuführen, damit sich Zellen reparieren und neu bilden können, denn sonst kommt es zu Mangelerscheinungen bis hin zum Tod. Doch wie viel Protein muss ein Mensch essen?
Wie viel Protein soll ich essen?
Gibt man diese Frage so in eine Suchmaschine ein, kommt man sehr schnell zu einem Ergebnis. Der Konsens lautet derzeit auf 0,8g pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag für einen erwachsenen Menschen. Für Kinder 0,9g. Was heißt das konkret? Ein 75kg schwerer Mensch hat demnach einen täglichen Eiweißbedarf von 60g. Decken kann er den beispielsweise, indem er neun Eier isst, denn ein Ei enthält rund 7g Eiweiß. Oder er verzehrt 3 Eier und 150g Fleisch und kommt so ebenfalls ungefähr auf seinen Zielwert.
Aber stimmt das denn überhaupt? Die deutsche Wikipedia bestätigt diese Angabe und beruft sich dabei auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Dieser Verein spricht Ernährungsempfehlungen aus, welche deutschen Ministerien gerne unkritisch übernehmen. Dabei steht die DGE völlig zu Recht selbst in der Kritik, nicht ausreichend kompetent und glaubwürdig zu sein, sowie ihre Empfehlungen nicht oder nur fragwürdig zu belegen.
Es verwundert kaum, dass die DGE immer wieder Industrieinteressen bevorzugt und dass ihre Empfehlungen denen vergleichbarer US-amerikanischer Vereinigungen oft 1:1 gleichen. Dabei ist die DGE einfach nur irgendein Verein. Sie ist keine Institution mit Weltruhm oder absoluter Autorität. Für die deutschen Ministerien reicht es allerdings.
Die Angabe der 0,8g/kg/Tag sind jedoch nicht aus der Luft gegriffen, denn diesen Wert haben unabhänigige Forscher ermittelt. Aber stimmt er?
Die allgemeine Empfehlung für den Eiweißbedarf ist zu niedrig
Wissenschaftler nutzen das Prinzip der Stickstoffbilanz, um den tatsächlichen Proteinbedarf eines Menschen zu ermitteln. Wie es scheint, ist allerdings bei der Auswertung ein Fehler passiert. Denn durch Anwendung einer geeigneteren Methode wurde nun ein Wert von 1,0g/kg/Tag ermittelt.
Mehr noch: Die Stickstoffbilanz zur Ermittlung des Eiweißbedarfs ist problematisch. Durch die Aminosäurenoxidations-Technik ermittelte man letztendlich einen täglicher Bedarf von bis zu 1,2g/kg/Tag. Dieser Wert liegt 50% höher als der aktuell verbreitete und würde bedeuten, dass unser oben genannter Beispielmann nicht 9, sondern 13-14 Eier am Tag essen müsste, um seinen Bedarf zu decken.
Sicherlich treten bei 0,8g/kg/Tag keine unmittelbaren Mangelerscheinungen auf. Doch gerade wer Sport treibt, sich generell viel körperlich betätigt oder natürlich schwangere Frauen sollten unbedingt darauf achten, sich ausreichend mit Eiweiß zu versorgen.
Darüber hinaus gibt es auch Konzepte, die den Eiweißbedarf in Gramm pro fettfreier Körpermasse pro Tag zu berechnen mit dem Argument, dass das Körperfett keinen Proteinbedarf habe.
Kann ich zu viel Protein essen?
Was ist, wenn dieser neue Wert auch nicht stimmt? Was, wenn er zu hoch liegt? Es gibt zahlreiche Behauptungen, zu viel Eiweiß sei schädlich für den Menschen, würde zum Beispiel die Niere überlasten. Tatsächlich ist jedoch keine dieser Behauptungen haltbar. Die Analyse einer ganzen Reihe von Studien zeigt viel mehr, dass ein erhöhter Konsum von Eiweiß eher vorteilhaft ist und sich positiv auf eine Reihe von Erkrankungen auswirkt.
Jedoch gibt es eine Obergrenze: Die Nieren kümmern sich um die Verwertung der Aminosäuren und man geht davon aus, dass es für den Menschen rein physiologisch nicht möglich ist, mehr als rund 400g Eiweiß pro Tag zu verstoffwechseln. Der Rest würde durch den Urin ungenutzt den Körper verlassen. 400g/Tag entsprechen bei unserem weiter oben genannten Beispielmann allerdings rund 5,3g/kg/Tag; das Äquivalent von 57 großen Hühnereiern.
Lediglich bei Anomalien wie Nierenschäden ist unter Umständen eine Drosselung des Proteinkonsums ratsam. Einige Studien empfehlen hier ein Maximum von 2,0 bis 2,5g/kg/Tag.
Eiweiß ist nicht gleich Eiweiß
Bereits vor rund 1oo Jahren haben Forscher festgestellt, dass tierische Eiweiße scheinbar höherwertiger sind als pflanzliche. Das stimmt nicht ganz, denn es gibt ein paar wenige pflanzliche Quellen, aus denen sich ebenfalls hochwertige Eiweiße in signifikanten Mengen gewinnen lassen, darunter einige Hülsenfrüchte. Tendenziell ist es jedoch richtig, dass Tierprodukte das für den Menschen wertvollere Eiweiß bieten (mehr dazu: Was ist hochwertiges Eiweiß?)
Essenzielle Aminosäuren
Aminosäuren sind die Bausteine der Proteine. Als für den Menschen essenziell, also lebenswichtig, gelten Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin. Dabei sind nicht nur die einzelnen Mengen wichtig, sondern auch das Verhältnis zueinander. Ist zum Beispiel von einer Aminosäure zu wenig verfügbar, kann der Körper auch die anderen Aminosäuren teils nicht verwerten.
Biologische Wertigkeit
Das Konzept der biologischen Wertigkeit legt ein Hühnerei mit dem Referenzwert von 100 fest. Gemessen daran legt man auch unter Bezugnahme auf den Anteil essenzieller Aminosäuren die Effizienz fest, mit der ein Nahrungsprotein in körpereigenes Eiweiß umgesetzt werden kann.
Nach dieser Methode kann man auch verschiedene Lebensmittel kombinieren, um die Wertigkeit zu verbessern und so vermeintlich den Wert für den Menschen zu erhöhen. Aus verschiedensten Gründen steht diese Konzept jedoch in der Kritik, weswegen sich unter anderem die WHO und die United Nations University auf eine andere Methode berufen, genannt Protein Digestibility Corrected Amino Acid Score (PDCAAS). Auch dieses Konzept deutet darauf hin, dass tierische Eiweißquellen generell wertvoller für den Menschen sind, im pflanzlichen Bereich dicht gefolgt nur von Sojaprotein.
Verstoffwechselung von Eiweiß
Untersuchungen haben gezeigt, dass Eiweiße je nach Zustand unterschiedlich gut verdaulich sind. Kocht man ein Hühnerei, so wird das Eiweiß denaturiert. Dies klingt in manchen Ohren nachteilig, jedoch verdaut der Mensch die Proteine aus gekochten Eiern zu 91%, im Vergleich zu lediglich 51% des rohen Eies. Wichtig ist also nicht nur die Art der Eiweißquelle, sondern auch die Zubereitung.
Fazit
Wie viel Eiweiß sollte man nun also essen? Meine pragmatische Antwort begründet sich so:
- Ein Eiweißmangel ist schädlich.
- Aktuelle Untersuchungen legen eine Empfehlung von 1,0 bis 1,2g/kg/Tag nahe.
- Es gibt keine Hinweise auf eine schädliche Wirkung durch Konsum von 2g/kg/Tag oder sogar darüber.
- Es gibt Hinweise darauf, dass ein Verzehr von mehr als 1,2g/kg/Tag vorteilhaft sein kann.
- Sollte ein (möglicherweise unerkannter) Nierenschaden vorliegen, wäre es ratsam, unterhalb 2g/kg/Tag zu bleiben.
- Hochwertiges Eiweiß stammt vornehmlich von Tieren, hochwertige Tierprodukte aus artgerechter Haltung gehören zu den teuersten Lebensmitteln.
Meine Folgerung: Es ist sinnvoll, der aktuellen Empfehlung von 1 bis 1,2g Eiweiß pro kg Körpergewicht pro Tag zu folgen. Etwas weniger verursacht gewiss keine Problem (offenbar hat es bisher gut funktioniert). Mehr ist nicht nötig, kann auf Dauer teuer werden und beschränkt die Lebensmittelauswahl stark.
Individuell sind die Bedürfnisse natürlich verschieden, bislang ging es hier um Mittelwerte. Jeder Kraftsportler oder Bodybuilder weiß, dass er durch einen erhöhten Eiweißkonsum seine Leistung verbessern kann. Experimente von Sportlern zeigen, dass die optimalen Werte weit auseinander gehen können. Das bedeutet gleichzeitig auch, dass Menschen mit geringer körperlicher Aktivität unter Umständen mit weniger auskommen.
Weitere Artikel aus dieser Reihe:
- Wie viel Kohlenhydrate soll ich essen?
- Wie viel Eiweiß soll ich essen?
- Wie viel Fett soll ich essen?
Quellen und weiterführende Informationen:
- Was ist hochwertiges Eiweiß?
- Elango R, Humayun MA, Ball RO, Pencharz PB.: Evidence that protein requirements have been significantly underestimated. (Curr Opin Clin Nutr Metab Care. 2010 Jan;13(1):52-7. )
- Anssi H Manninen: High-Protein Weight Loss Diets and Purported Adverse Effects: Where is the Evidence? (Journal of the International Society of Sports Nutrition 2004)
- Evenepoel, Geypen, Luypaerts, Hiele, Ghoos, Rutgeerts: Digestibility of Cooked and Raw Egg Protein in Humans as Assessed by Stable Isotope Techniques (J. Nutr. October 1, 1998 vol. 128 no. 10 1716-1722)
- WF Martin, LE Armstrong, NR Rodriguez: Dietary protein intake and renal function (Nutrition & Metabolism 2005)
- Bilsborough S, Mann N.: A review of issues of dietary protein intake in humans. (Int J Sport Nutr Exerc Metab. 2006 Apr;16(2):129-52.)
- Wikipedia: Protein
- Wikipedia: Stickstoffbilanz
- Wikipedia: Essenzielle Aminosäuren
- Wikipedia: Biological value
- Wikipedia: PDCAAS
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