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Was sind Antinährstoffe? Und wie umgeht man sie?

Essen ist kein Kinderspiel. Das Essen dient als erstes der Aufnahme von Nährstoffen und das gebietet Sorgfalt. Ernährt man sich falsch, wird man krank und kann daran sterben. Also sollte man achtgeben bei der Auswahl und Zubereitung seiner Lebensmittel. Die meisten Menschen übersehen dabei allerdings eine ganze Gruppe von Stoffen, die sie regelmäßig einnehmen, obwohl sie ihnen schaden. Das betrifft auch solche Menschen, die sich bewusst ernähren und sonst viel Sorgfalt beim Essen walten lassen.

In dieser Episode geht es um Antinährstoffe: Solche Substanzen, die dem Körper Nährstoffe entziehen oder die Verdauung und Aufnahme von Nährstoffen verhindern. Solche Antinährstoffe finden wir fast nur in pflanzlichen Lebensmitteln und sie stecken in so harmlos klingenden Zutaten wie Spinat, Bohnen und Kartoffeln. Antinährstoffe sind nicht lustig und eignen sich nicht für einen Witz zur Auflockerung an dieser Stelle.

Heute geht es um diese Fragen:

  • Wie kommen Antinährstoffe in unsere Lebensmittel?
  • Wie schädlich sind Antinährstoffe im Kontext der Nahrung?
  • Welche sind die wichtigsten Antinährstoffe?
  • Wie kann man das Problem der Antinährstoffe lösen, also:
  • Wie geht man am besten mit den betroffenen Lebensmitteln um?
  • Wie kann man die jeweiligen Antinährstoffe entschärfen?
  • Wie kann der Umgang mit Antinährstoffen im Alltag aussehen?
  • Haben Antinährstoffe auch Vorteile?

Wie kommen Antinährstoffe in unsere Lebensmitteln?

Der wichtigste Verteidigungsmechanismus im Reich der Tiere ist Bewegung. Ein Beutetier rennt, springt, schwimmt oder fliegt davon, wenn es Gefahr wittert. Einige Tiere treten, beißen, kratzen oder stechen bei einem Angriff auch zurück. Ein wildes Tier zu erlegen ist nicht einfach.

Pflanzen haben diese Möglichkeit nicht. Die stehen da wie angewurzelt. Sind den gierigen Fressattacken der Tiere und Menschen ausgeliefert. Doch auch Pflanzen wollen nicht sterben. Deswegen haben sie per Evolution Verfahren entwickelt, mit denen sie sich wehren. Man geht davon aus, dass Antinährstoffe Teil dieser vielfältigen Verteidigungssysteme sind. Das kann anfangen bei einem unangenehmen Geschmack – denn welches Tier isst schon gerne etwas, das es nicht mag – und geht bis hin zu Gift, das bereits in niedrigen Dosen wirkt. Vergiftet man sich an einer Pflanze, hat man sie zwar gegessen und damit unter Umständen getötet, aber man wird sie wahrscheinlich kein zweites Mal essen und diese Erfahrung weitergeben. So hat die Pflanze einen Feind verloren.

Antinährstoffe sind also im Grunde Gifte. Ist vorstellbar, dass wir in der Moderne regelmäßig mit der Ernährung Gifte zu uns nehmen? Durchaus, denn viele dieser Gifte sind so schwach, dass wir sie nicht direkt spüren. Deswegen können wir meist keine Verbindung ziehen zwischen der gegessenen Pflanze und der Vergiftungserscheinung, die vielleicht erst Tage, Monate oder Jahre später auftritt. Tatsächlich nehmen die meisten Menschen regelmäßig solche Gifte oder Antinährstoffe zu sich. Sie stecken in Spinat und Bohnen, Kartoffeln und Getreide, in Nüssen und Paprika.

Es sollte kaum verwundern, dass besonders Pflanzenembryos – Getreide und Hülsenfrüchte – über besonders viele solcher Schutzmechanismen in Form von Antinährstoffen verfügen.

Der Verzehr dieser Lebensmittel gilt bei uns als normal. Dass normal oft nicht gesund ist, thematisiert die Episode Warum normales Verhalten ungesund ist. Doch wie ernst sollte man die Gefahr der Antinährstoffe nehmen?

Wie schlimm sind Anti-Nährstoffe im Kontext?

Offensichtlich kippt man im Normalfall nicht tot um, wenn man eine Erdnuss oder eine Gabel voll Spinat isst. Und der Verzehr solcher Mengen ist wahrscheinlich weniger problematisch als eine Minute einatmen auf einer stark befahrenen Stadtstraße an einem heißen, stickigen Sommertag.

Anders formuliert: Wir kommen mehr oder weniger unausweichlich ohnehin ständig mit Umweltgiften in Kontakt. Ob Antinährstoffe zum Problem werden, kommt auf die Verzehrmenge, die Verarbeitung und die übrige Ernährung an.

Fest steht: Schäden durch Antinährstoffe erleidet fast jeder und viele Menschen leiden tatsächlich unter teils schweren Symptomen durch Antinährstoffe – meist ohne ihr Wissen.

In jedem Fall nutzt es, Antinährstoffe möglichst zu umgehen. Das muss nicht den totalen Verzicht auf Nüsse, Kartoffeln, Getreide und Bohnen bedeuten. Damit jeder seine individuelle Situation selbst besser einschätzen kann stelle ich daher nun einige der bekanntesten Antinährstoffe vor.

Phytinsäure oder Phytat

Phytinsäure dient Pflanzen als Speicher für Phosphat und kann andere Mineralstoffe wie Calcium und Magnesium, besonders jedoch Eisen und Zink unlöslich binden. Wir können sie dann nicht mehr verdauen und aufnehmen.

Phytinsäure blockiert auch die Verdauungsenzyme Pepsin und Trypsin. Diese Enzyme benötigt der Mensch zum Verdauen von Proteinen.1

Die größten Mengen Phytinsäure stecken in Getreiden, Hülsenfrüchten, also Erbsen, Bohnen und Linsen, sowie in Nüssen und Samen. Paranüsse, Mandeln, Erbsen, Soja, Hafer und Mais enthalten besonders viel Phytinsäure.2

Man kann Phytinsäure auch positive Eigenschaften zuschreiben:

  • Phytinsäure hat antioxidative Wirkungen und schützt vor Krebs, besonders Darmkrebs.3
  • Phytinsäure kann die Verdauung von Stärke verzögern und dadurch regulierend auf den Blutzuckerspiegel wirken.

Ist Phytinsäure ein Problem?

Stellt man die Vor- und Nachteile der Phytinsäure gegenüber, ergeben sich diese Schlüsse:

  1. Wer seine Mineralstoffversorgung auf Getreide, Nüsse und Hülsenfrüchte basiert, wird damit nicht weit kommen und unter Umständen unter einem Mineralstoffmangel leiden. Dann leidet auch die Gesundheit der Zähne. Besonders von Belang ist das für Vegetarier und Veganer, die Getreideprodukte als gute Mikronährstoffquelle betrachten. Probiotische Bakterien (Lactobacillaceae) als Nahrungsergänzungsmittel könnten in solchen Fällen als Phytaselieferant der Phytinsäure entgegenwirken und einen Nährstoffmangel verhindern.4
  2. In einer ausgewogenen Ernährung mit reichlicher Nährstoffversorgung werden die nachteiligen Wirkung der Phytinsäure mit aller Wahrscheinlichkeit keine Rolle spielen.
  3. Man kann auf die größten Phytinsäure-Quellen (Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse) verzichten. Phytinsäure allein ist im Normalfall allerdings kein Grund, ein Lebensmittel zu meiden.5
  4. Wer den größten Nutzen aus Phytinsäurehaltigen Lebensmitteln gewinnen möchte, sollte Getreide und Hülsenfrüchte einweichen.

Wie macht man Phytinsäure unschädlich?

Das Enzym Phytase neutralisiert Phytinsäure. Phytase steckt in unterschiedlichen Mengen auch in Pflanzen, in denen Phytinsäure enthalten ist. Das können wir nutzen, indem wir Getreide, Nüsse und Hülsenfrüchte vor dem Verzehr einweichen. So können wir einen Teil des Schadpotentials in diesen Lebensmitteln neutralisieren.

Auch Wiederkäuer wie Rinder, Schafe und Ziegen verfügen in ihren Mägen über Phytase, um Phytinsäure unschädlich zu machen. Menschen verfügen von Natur aus nur über begrenzte Mengen Phytase.

Oxalsäure oder Oxalat

Oxalsäure ist unter anderem enthalten in Spinat, Getreide, Kohl, Rhabarber, Amaranth, Sternfrüchten, Tee und Kakao. Oxalat hemmt die Aufnahme von Magnesium, Kalzium und Eisen, kann u.a. zu Wachstumsstörungen bei Kindern führen, die Niere belasten und Nierensteine verursachen – oxalatbedingte Nierensteine sind die häufigste Form.6

Ist Oxalsäure ein Problem?

Ja. Oxalsäure ist tatsächlich ein Alltagsproblem, wenn auch als solches weitgehend unbekannt. Zum Beispiel kann der Verzehr grüner Smoothies oder allgemein viel rohen grünen Blattgemüses zu Nierenschäden durch Oxalsäure führen, so auch der Verzehr großer Mengen Nüsse oder grünen Tees. Durch Oxalsäure haben sich schon Menschen tödlich vergiftet. Das ist keine reine Theorie, sondern genau so schon mehrfach geschehen.7 Große Mengen Oxalsäure können auch zu einer Schilddrüsenunterfunktion führen und die Schilddrüse schädigen.8

Wie macht man Oxalsäure unschädlich?

Die größte Gefahr der Oxalsäure geht von ihrer Nährstoffbindung aus. Wer sich durch Spinat mit Magnesium versorgen möchte, hat Pech, denn die im Spinat enthaltene Oxalsäure bindet das Magnesium und verhindert so die Aufnahme im Verdauungstrakt.

Drei Strategien bieten sich an:

  1. Oxalsäurehalte Lebensmittel stets mit besonders viel zusätzlichem Kalzium, Eisen und Magnesium verzehren. Diese Binden die Oxalsäure und verringern ihre Absorption im Darm.
  2. Oxalsäure durch Zubereitung auslösen und entsorgen. Kocht man zum Beispiel Spinat in genügend Wasser, löst sich die Oxalsäure im Wasser. Vorsicht: Das Kochen zerstört die Oxalsäure nicht! Das Kochwasser gießt man anschließend weg und kann dann den Spinat mit weniger Oxalsäure, allerdings auch weniger anderen Nährstoffen essen.
  3. Lebensmittel mit Oxalsäure meiden.

Das sinnvollste ist grundsätzlich Lösung Nummer drei: Der weitgehende Verzicht auf Oxalsäurehaltige Lebensmittel. Für die übrigen Gelegenheiten, in denen doch Oxalsäure auf dem Teller landen soll, beachte man Lösung zwei und zusätzlich Lösung eins, die zusätzliche Einnahme von Eisen, Magnesium und Kalzium.

Fermentation kann den Oxalsäure-Anteil in Lebensmitteln reduzieren, jedoch offenbar höchstens auf ungefähr die Hälfte.9

Lektine

Lektine sind Proteine (genauer: Glykoproteine). Sie binden sich an besondere Kohlenhydratstrukturen. Durch diese Bindungsfreudigkeit heften sich einige Lektine auch an die Darmwände besonders des Dünndarms und können ihn so beschädigen. Das beeinträchtigt die Aufnahme anderer Nährstoffe, die dem Körper dann fehlen.10 Getreide und Hülsenfrüchte enthalten besonders viele Lektine.

Lektine können auch in den Blutkreislauf eintreten und weiter entfernte Organe erreichen. Das heißt: Der Darm kann undicht werden, es entsteht das sogenannte Leckdarm- oder Sickerdarm-Syndrom (engl. Leaky-Gut-Syndrome). Dadurch können weitere Stoffe wie Nährstoffreste und Toxine in den Blutkreislauf gelangen.11

Strömen Lektine durch den Körper und heften sich an weitere Organe, wehrt sich der Organismus dagegen. Er greift die Lektine an – und mit ihnen auch gesundes Gewebe und Organe. Auf diese Weise können Autoimmunkrankheiten entstehen, zum Beispiel Multiple Sklerose. Auch Erkrankungen wie Arthritis, Morbus Crohn, Fibromyalgie, Reizmagen oder Schilddrüsenprobleme bringen Forscher heute mit Lektinen in Verbindung.12 Auch die Bauchspeicheldrüse kann auf diesem Weg bis zum Totalausfall Schaden nehmen mit Diabetes Typ-1 als Folge.

Sind Lektine ein Problem?

Die meisten Lektine sind harmlos.13

Die für den Menschen toxischen Lektine seien besonders enthalten in Getreide (vornehmlich Weizen) und Hülsenfrüchten (vornehmlich Soja).14 Daher kann es sinnvoll sein, ganz auf diese Lebensmittel zu verzichten. Auch Nachtschattengewächse wie Kartoffeln, Tomaten oder Paprika und alle Folgeprodukte daraus enthalten Lekine in nennenswerten Mengen. Sogar Milch kann davon betroffen sein.

Wer bereits unter Verdauungsproblemen oder Autoimmunkrankheiten leidet, sollte auf jeden Fall ausprobieren, ob der totale Verzicht auf Getreide und Hülsenfrüchte Linderung bringt.

Wie reduziert man Lektine?

Lektine sind verhältnismäßig widerstandsfähig gegen Verdauungsenzyme und Hitze.

  • Lektine denaturieren ab ca 75°C aufwärts nach und nach.15
  • 5-minütiges Kochen zerstört den Großteil aller Lektine.
  • Kochen bei 121°C kann alle Lektine zerstören.16
  • Fermentation kann 95% der enthaltenen Lektine zerstören.17

Entsprechend lassen einige Studien vermuten, bloßes Wässern bzw. einweichen und Erhitzen genüge zum Deaktivieren sämtlicher Antinährstoffe.18 Abhängig ist dies von der Art der Lektine (also auch der verwendeten Bohnensorte) und dem Grad der vorherigen Behandlung (Dauer des Einweichens oder der Fermentation).

Also:

  • Für Getreide und Hülsenfrüchte gilt (und galt schon immer): Sorgfältige Verarbeitung ist wichtig. Dazu gehört unter anderem: Grundsätzlich 24 Stunden einweichen und das Einweichwasser weggießen und möglichst fermentieren.
  • Wer sein Essen anständig kocht, zerstört die garstige Wirkung der meisten Lektine: Fünf Minuten kochen genügt.
  • Wer unter Verdauungsproblemen oder Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose leidet, sollte einige Wochen oder Monate auf Getreide, Hülsenfrüchte, Nachtschattengewächse (Tomaten, Kattoffeln, Paprika, Aubergine) und Milch verzichten. Das kann Linderung bringen und hat schon vielen geholfen. Schaden kann es auf keinen Fall.

Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATI)

Amylase-Trypsin-Inhibitoren (kurz: ATI) sind Proteine, welche die Verdauung von Stärke und Proteinen behindern. Dadurch können solche Nahrungsbestandteile weitgehend unverdaut in den Dickdarm geraten und dort fermentieren, Reizungen des Darms, Blähungen und andere Magenbeschwerden verursachen. Auf direktem Weg können ATI das Immunsystem aktivieren, Entzündungen im Darm und außerhalb verursachen und allergische Reaktionen auslösen.

Enthalten sind ATI besonders in den Getreiden Weizen, Dinkel, Emmer, Gerste, und Roggen, allerdings auch in Soja, Buchweizen, Hirse, Einkorn, und begrenzt in Linsen, Quinoa und Hafer.

Ähnlich wie Gluten können ATI direkt das Immunsystem betreffen, sie spielen eine Rolle bei Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität und bei Weizenallergie.19

ATI spielen durch Entzündung und die Immunantwort auch eine Rolle bei der Entstehung von Zöliakie20, sowie bei Bäckerasthma und Bäckerkrätze.

Wie macht man Amylase-Trypsin-Inhibitoren unschädlich?

Es ist heute noch unklar, welche Verarbeitungsgänge die Wirkung der ATI deaktivieren oder gar verstärken. Das Rösten von Erdnüssen vergrößert zum Beispiel deren allergenes Potenzial. Insofern ist unvorhersehbar, ob zum Beispiel ein gebackenes Sauerteigbrot Probleme durch ATI verursachen kann. Fest steht: ATI sind relativ resistent gegen Hitze und Säure.

Wer auf Nummer Sicher gehen möchte, verzichtet daher am besten ganz auf die ATI-haltige Getreide. Reis und Mais bereiten in dieser Hinsicht sowohl in meiner Erfahrung als auch gestützt durch Studien praktisch keine Probleme – oder nur in Extremfällen.

Gluten

Gluten ist das wichtigste Eiweiß im Getreide und heutzutage weithin bekannt als Ursache verschiedenster Darmprobleme und Krankheiten im ganzen Körper, zum Beispiel Autoimmunerkrankungen, Multiple Sklerose, Diabetes Typ 1, Schuppenflechte (Psoriasis), IgA Nephritis (Morbus Berger) und Rheumatoide Arthritis. Gluten kann Symptome verursachen wie Gewichtsverlust, Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit, Depressionen und Gedeihstörungen im Kindesalter.

Besonders viel Gluten ist enthalten in Dinkel, Weizen und Roggen. Auch die übrigen Getreide Gerste, Hafer sowie alte Sorten wie Emmer und Einkorn enthalten Gluten. Einzig Reis und Mais gelten als glutenfrei. Allerdings kann man über Gluten oder den Hauptwirkstoff Gliadin ganze Aufsätze schreiben. Das sage ich, weil ich das schon mehrfach getan habe. Das hilft der Differenzierung und am Ende kommt heraus: Hinsichtlich Gluten ist einzig Reis unproblematisch und mit nur sehr wenig Glück wird man auch mit Mais nie Probleme haben.

Gluten greift den Darm an, erhöht die Durchlässigkeit der Darmbarriere (das stichwort lautet: Leaky Gut bzw Leckdarm- oder Sicherdarmsyndrom) verursacht Entzündungen und Reaktionen des Immunsystems. Es verschlechtert also die Nährstoffaufnahme und erhöht zugleich den Nährstoffbedarf. Und das gilt praktisch für jeden Menschen. Allerdings spürt das nicht jeder direkt und unmittelbar. Meistens lassen sich die vielfältigen Symptome kaum auf die Nahrung und speziell das Gluten zurückführen und nur selten, nämlich bei rund einem Prozent (Dunkelziffer: 80 bis 90 %), reagiert der Körper so stark auf Gluten, dass man von Zöliakie spricht.

Neben Zöliakie bestehen die Bilder Weizenallergie und Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität (siehe ATI). Das verdeutlicht: Unsere Empfindlichkeit für Getreide findet auf einem Spektrum statt. Den meisten Menschen ist nicht klar, wie stark sie eigentlich betroffen sind. Im Volksmund gilt leider meist noch immer: »Wenn ich keine diagnostizierte Zöliakie habe, kann ich so viel Gluten essen, wie ich möchte.« Eine fatale Einstellung.

Wie macht man Gluten unschädlich?

Gluten ist extrem resilient und lässt sich auch durch Hitze kaum zerstören. Die häufig berichtete, bessere Verträglichkeit fermentierter Backwaren wie Sauerteigbrot gegenüber unfermentierten Backwaren konnte man bislang nicht eindeutig auf die Fermentation von Gluten zurckführen, es könnte ebenso die Fermentation anderer Antinährstoffe verantwortlich sein. Auch die Forschung bezüglich hilfreicher Verdauungsbakterien im Darmtrakt, welche Gluten zersetzen könnten, ist nicht eindeutig.

Der einzige Weg zum Umgehen von Gluten besteht demnach darin, kein Getreide zu essen – bis auf Reis.

Antinährstoffe haben auch Vorteile

Theoretisch können Antinährstoffe auch von Nutzen sein. Man könnte zum Beispiel einen Eisenüberschuss im Essen durch Antinährstoffe wie Phytinsäure oder Oxalsäure binden. In der Praxis kommt ein solcher Überschuss nur selten vor, viel weiter verbreitet sind Eisen- bzw. andere Mineralstoffmängel.

Auch gibt es Forschungsprojekte, die eine Wirksamkeit von Lektinen aus Bananen gegen HIV zeigen21 und andere pflanzliche Lektine zeigen gar Wirkungen gegen HIV-, Influenza- und Corona-Viren.22

Allerdings wäre es ein Fehler, wenn man daraus pauschal folgert und verkündet: »Alles hat Vor- und Nachteile, alles in Maßen, die Dosis macht das Gift.« Die schädliche Wirkung der in diesem Beitrag genannten Antinährstoffe ist wohl erkundet und dokumentiert. Möchte man man die vereinzelten vorteilhaften Wirkungen der entsprechenden Antinährstoffe oder Lebensmittel nutzen, sollte man sie entsprechend gezielt einsetzen. Das wäre sonst, als würde man jeden Tag des Jahres Antibiotika schlucken, weil das ja auch den einen oder anderen Vorteil hat.

Methoden für den Alltag

Fühlst du dich erschlagen von der Fülle dieser Informationen? Das ist in Ordnung. Der Blick auf Antinährstoffe zieht tatsächlich viele pflanzliche Lebensmittel in Zweifel. Und mit was? Mit Recht! Nur weil etwas pflanzlichen Ursprungs ist, muss es nicht gesund sein. Also wie sollte man damit umgehen?

Ernährung muss dem Leben dienen, nicht umgekehrt. Beachten wir das Verhältnis: Ganz ohne Gifte kommt man ohnehin nicht durchs Leben. Doch die weitreichende Wirkung der Antinährstoffe muss man ernst nehmen, wenn man gesund durchs Leben kommen möchte. Man sollte sie meiden, wo es geht und besonders sollte man auf die entsprechenden Lebensmittel verzichten, wenn man ohnehin gesundheitliche Probleme hat.

Es gibt praktisch drei Optionen:

  1. Alle fraglichen Lebensmittel mit nennenswerten Antinährstoff-Mengen meiden, also besonders auf Getreide, Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen und Linsen verzichten und Nüsse nur in Maßen oder nur nach gründlichem Einweichen essen.
  2. Alle fraglichen Lebensmittel – besonders Getreide und Hülsenfrüchte –in deutlich geringeren Mengen essen.
  3. Einzelne, besonders problematische Lebensmittel komplett meiden, andere mindern. Das heißt
  4. Auf Getreide vollständig verzichten. Bis auf Reis.
  5. Hülsenfrüchte nur in Maßen essen, am besten nur Kichererbsen, allesamt grundsätzlich gut eingeweicht und sorgfältig gekocht.
  6. Nüsse nur in Maßen und möglichst eingeweicht essen
  7. Spinat, Mangold und andere oxalsäurereiche Lebensmittel nur in Maßen essen und auch dann stets in genügend Wasser kochen und das Kochwasser weggießen. Idealerweise dazu besonders Magnesium-, Eisen- und Kalziumreich essen.
  8. Fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut oder Kimchi den unfermentierten Varianten vorziehen.
  9. Mehr Obst, besonders Beerenobst essen.
  10. Grundsätzlich den Darm pflegen und auf hohen Mikronährstoffgehalt achten. Tierische Lebensmittel wie Eier sind dafür fast unumgänglich.

Eine meist willkommene Nebenwirkung besonders beim Verzicht auf Getreide und Getreideprodukte: Man nimmt dann auch deutlich weniger Kohlenhydrate zu sich, die Glykämische Last sinkt und den meisten Menschen fällt dann das Abnehmen viel leichter.

Zusammenfassung

Antinährstoffe sind pflanzliche Abwehrmechanismen zum Schutz vor Fraßfeinden wie Menschen. Es sind Stoffe, die den Verzehr einer Pflanze durch den Menschen oder andere Tiere wenig sinnvoll machen.

Antinährstoffe wie Phytinsäure, Oxalsäure, Lektine, Amylase-Trypsin-Inhibitoren und Gluten schaden dem Menschen, indem sie die Verdauung von Nährstoffen direkt durch Bindung und indirekt durch Entzündungen und Beschädigung der Darmwand erschweren oder verhindern. Sie rauben dem Körper Mineralstoffe wie Magnesium, Zink, Eisen und Kalzium und verursachen allergische Reaktionen oder Autoimmunerkrankungen.

Solche Antinährstoffe stecken überwiegend in Getreide und Hülsenfrüchten, aber auch in Spinat, Mangold, Rhabarber und Nüssen.

Der einfachste Weg zum Vermeiden der gröbsten Probleme ist der Verzicht auf alle Getreide (außer Reis), Verzehr von Hülsenfrüchten nur in Maßen und ausschließlich nach gründlichem Einweichen, sowie gemäßigtem Verzehr von Nüssen, Spinat und Mangold; letztere in genügend Wasser kochen und das Kochwasser weggießen.

Fußnoten

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