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Getreide und Hülsenfrüchte optimal einweichen

Wer gesunde Ernährung für sich entdeckt, erfährt irgendwann auch vom Einweichen von Getreide und Hülsenfrüchten. Dadurch sollen diese Lebensmittel besser bekömmlich und gesünder werden. Uneins ist man sich darüber, wie das Einweichen genau ablaufen soll und ob Getreide und Hülsenfrüchte ohne diesen Vorgang wirklich ungesund sind.

Was steckt hinter dem Einweichen? Getreide und Hülsenfrüchte enthalten neben kostbaren Nährstoffen auch sogenannte Antinährstoffe. Das sind beispielsweise Phytinsäure und Lektine; auch Gluten wird manchmal dazugezählt. Ihre Vorsilbe Anti bekommen sie, weil sie das Gegenteil der Nährstoffe leisten: Sie verhindern die Nährstoffaufnahme durch den Menschen. Einige sind einfach nur unzugänglich, andere könnten den Darm beschädigen und sogenannte Enzyminhibitoren hindern unseren Verdauungstrakt zeitweise an der Verdauung.

Warum machen die Körner und Samen das? Wir vermuten: Um sich zu schützen. Es sind schließlich Embryos und Pflanzen wollen auch leben. Also haben sie Schutzmechanismen entwickelt, um ihren Verzehr möglichst unattraktiv zu machen. Das hat ja prima geklappt.

Beim Einweichen sind diese Pflanzenembryos (Getreidekörner und Bohnen) längere Zeit in Kontakt mit Wasser. Als würden sie auf der Erde im Regen liegen. Das ist ihr grünes Licht fürs Wachstum. Sie bauen die Schutzmechanismen ab und bereiten sich aufs Keimen vor. Phytinsäure und ihre Kollegen packen ein und die Nährstoffe werden besser verfügbar. Deswegen ist es sinnvoll, Getreide und Hülsenfrüchte vor dem Essen einzuweichen. In den westlichen Zivilisationen macht das allerdings heute kaum noch jemand. Das trägt zu ernährungsbedingten Erkrankungen bei und die Verträglichkeit von Getreide steht im Zweifel. Es erklärt auch, warum Sauerteigbrot als so viel bekömmlicher als industriell produziertes Weißbrot gilt: Sein Teig wurde meist 24 Stunden oder länger fermentiert (und somit natürlich auch eingeweicht). Durch die Fermentation bilden sich vorteilhafte Bakterien, welche den Nährwert des Getreides weiter verbessern.

Wer seinen Wunsch nach gesunder Ernährung etwas zu ernst nimmt, wird vielleicht eine hysterische Angst vor Antinährstoffen entwickeln und nun den Weg suchen, Getreide und Hülsenfrüchte bestmöglich einzuweichen, um sie möglichst Nahrhaft zu machen und jeden Schadstoff zu meiden.

Setzen wir die Fakten in ein Verhältnis: Antinährstoffe wie die Gruppe der Lektine stecken nicht nur in Getreide, sondern in fast allen Pflanzen und sie haben teilweise für den Menschen nützliche Wirkungen1, wie auch Phytinsäure nicht immer nachteilig ist2. Panische Angst ist also nicht angebracht.

Es kursieren zahlreiche ultimative Anleitungen zum genau richtigen Einweichen von Getreide und Hülsenfrüchten für maximalen Nährstoffgehalt, dazu Tabellen mit Einweichzeiten für jede Getreidegattung. Das ist alles Unfug, nichts davon stimmt, nichts ist fundiert.

Dafür wissen wir viel zu wenig. So kann der Selengehalt durch Einweichen sinken während dieser lebenswichtige Nährstoff zugleich durch Erhitzen (etwa beim Backen) besser verfügbar wird3. Durch Einweichen kann man mehr Nährstoffe verlieren (zum Beispiel durch häufiges Spülen, wie viele Anleitungen es empfehlen) als man durch Reduktion der Phytinsäure gewinnt4, 5, 6, 7. Dabei muss man unterscheiden zwischen Nährstoffgehalt und Nährstoffverfügbarkeit (Zufuhr ungleich Absorption). Möglicherweise ist es sinnvoll, den wesentlich reduzierten Nährstoffgehalt in Kauf zu nehmen und dafür erheblich bessere Verdaulichkeit der übrigen Stoffe zu gewinnen. Möglicherweise aber auch nicht.

Letztlich sind die Einflüsse selbst für Forscher und Labors zu vielfältig und variabel, als dass sie genaue Aussagen treffen könnten8. Art, Sorte, Bodenqualität, Bakterienbesatz, Herkunft, Saison, Klima, Temperatur, Wasserqualität beim Einweichen: Das alles beeinflusst den Nährstoffgehalt. Wer will das in der heimischen Küche kontrollieren können?

Also: Das Einweichen von Getreide und Hülsenfrüchten (und Nüssen) ist keine Zauberei, aber auch keine genaue Wissenschaft. Es gibt keine einzige genau richtige Methode, man kann nichts falsch oder richtig machen.

Wer seine Lebensmittel einweichen möchte, um den maximalen Nährstoffgehalt zu erreichen, rennt in die Arme der essgestörten Jünger des Nährstoffismus: Gerade Hülsenfrüchte verlieren durch Einweichen Nährstoffe.

Richtig ist: Das Einweichen dieser Lebensmittel hat Tradition. In vielen Kulturen ist es noch heute weltweit üblich, Getreide vor der weiteren Verarbeitung einzuweichen. Seit Tausenden von Jahren machen Menschen das. Der Grund war jedoch nie die Maximierung des Nährstoffgehalts. Niemand stand damals mit Messgerät und Kugelschreiber daneben und hat die Ergebnisse notiert. Es gab nämlich noch keine Kugelschreiber. Das Ziel war stattdessen immer Bekömmlichkeit, Geschmack, Arbeitserleichterung (auch durch verkürzte Kochzeit) und gute Nährstoffversorgung. Gute Nährstoffversorgung unterscheidet sich von maximalem Nährstoffgehalt: Sie ist hinreichend, um Menschen das Überleben (erfolgreiche Fortpflanzung) zu sichern.

Maximaler Nährstoffgehalt ist nutzlos, wenn das Essen nicht schmeckt. Dann isst man es nämlich nicht und dann bekommt man gar keine Nährstoffe. Und maximaler Nährstoffgehalt ist unnütz, wenn man den dafür nötigen Aufwand scheut. Auch dann hat man nichts davon. Einweichen (wie auch Ankeimen und Fermentieren) verbessert auch nicht per se den Geschmack. Denn Verbesserung ist Geschmacksache. Es verändert den Geschmack nur und erhöht die Komplexität der Aromen. Das gefällt mir, aber nicht jedem.

Wer Getreide stattdessen optimal einweichen möchte, berücksichtigt wahrscheinlich neben verbessertem Nährstoffgehalt auch den Geschmack und die praktische Umsetzung im Alltag.

Praktische Anleitung zum Einweichen von Getreide und Hülsenfrüchten

Generell funktioniert das Einweichen bei Getreide, Hülsenfrüchten und Nüssen gleich: Wasser hinzugeben und zwölf bis vierundzwanzig Stunden warten. Die übrigen Fragen sollen folgende Anleitungen klären.

Hülsenfrüchte einweichen:

  1. Bohnen oder Linsen in eine Schüssel aus Glas, Porzellan oder Keramik9 füllen.
  2. Ungefähr die dreifache Masse lauwarmen Wassers hinzugeben (also 1,5 Liter Wasser auf 500 Gramm Bohnen).
  3. Zwölf bis vierundzwanzig Stunden bei Zimmertemperatur stehen lassen.
  4. Das Einweichwasser abgießen.
  5. Jetzt die Hülsenfrüchte in frischem Wasser kochen. Die Kochzeit verringert sich oft durch das Einweichen. Man kann dabei also auch Energie (und Geld) sparen.
  6. Fertig. Das handhabe ich bei allen Hülsenfrüchten gleichermaßen: Erbsen, Bohnen, Linsen. Keine Liste mit Werten und Stoppuhr.

Anmerkungen:

  • Ich spüle die Hülsenfrüchte zwischendurch nicht und tausche das Wasser nicht aus, denn die Nährstoffe möchte ich essen, und nicht in den Abfluss schütten. Aus diesem Grund könnte man sich gegebenenfalls auch Punkt 4 sparen und die Hülsenfrüchte im Einweichwasser kochen, denn das Kochwasser gießt man ohnehin ab. Das wäre ein zusätzlicher Spülschritt weniger.
  • Wenn es wärmer ist (das ist in Deutschland die eine Woche im Juli zwischen den ununterbrochenen Regenfällen), bleibe ich bei zwölf Stunden Einweichzeit.
  • Jenseits der vierundzwanzig Stunden beginnen Keimen und Fermentation; beides ist mir hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit bei Hülsenfrüchten einfach zu viel Kasper (Sprossen können gefährliche Bakterien beherbergen). Zumal sich der Geschmack dann stark ändert.

Getreide einweichen

  1. Getreide als ganze Körner oder gemahlen in eine Schüssel aus Glas, Porzellan oder Keramik10 füllen.
  2. Die Wassermenge richtet sich nach dem Verwendungszweck: Für Haferbrei gebe ich die fünffache Menge Wasser auf den geschroteten Hafer, also 300 Milliliter lauwarmes Wasser auf 60 Gramm Haferschrot. Den Hafer koche ich hinterher in genau diesem Wasser. Ganze Körner kommen mit weniger Wasser aus, die dreifache Menge genügt.
  3. Zwölf bis vierundzwanzig Stunden bei Zimmertemperatur einweichen lassen.
  4. Je nach Verwendung das Einweichwasser abgießen oder behalten.
  5. Durch das Einweichen verringert sich die Kochzeit. Man kann also auch hier Energie und Geld sparen.
  6. Fertig. Das handhabe ich bei allen Getreidegattungen gleichermaßen. Keine Liste mit Werten und Stoppuhr.

Anmerkungen:

  • Ich spüle das Getreide zwischendurch nicht und tausche das Wasser nicht aus, denn die Nährstoffe möchte ich essen, und nicht in den Abfluss schütten.
  • Generell weiche ich das Getreide eher länger ein (bis zu drei Tage) und bewege mich in den Bereich der Fermentation, gewinne dabei noch mehr Nährstoffe und komplexeren Geschmack.
  • Intakte Getreidekörner keimen irgendwann auch und das ist mir hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit einfach zu viel Kasper, siehe oben.
  • Wer mit Getreidemehl Kuchen backen möchte, muss sich darauf einstellen, dass sich durch das Einweichen die Backeigenschaften stark (und kuchenuntypisch) verändern, zumal die genaue Wassermenge dann durch das Rezept bestimmt ist. Zum Backen würde ich Mehl nicht einweichen – oder einfach keinen Kuchen backen.

Zusammenfassender Hinweis: Diese Methode basiert auf tausendfacher Erfahrung gestützt durch das aktuelle (Stand: 2017) Studienmaterial. Ziel ist ein möglichst einfacher, alltagstauglicher Vorgang zur Verbesserung von Nährstoffgehalt, Bekömmlichkeit und Geschmack. Siehe oben: Unser Wissen und die Kontrolle der Umweltfaktoren genügt nicht für absolute Aussagen.

Natürlich kann man durch Zufügen von Säuren (z. B. Molke, Joghurt, Zitronensaft) und Basen (z. B. Natron) den Effekt des Einweichens beeinflussen. Dabei verändert man jedoch immer auch den Geschmack und der spielt beim Essen eine zentrale Rolle, muss sich also nicht den Spekulationen über den vermeintlich besten Nährwert unterordnen. Zudem ist die absolute Auswirkung völlig offen und abhängig von der Qualität der Säure, den Bakterien im Joghurt, der jeweiligen Temperatur und so fort.

Fußnoten

  1. Michael D. Swanson et al.. A Lectin Isolated from Bananas Is a Potent Inhibitor of HIV Replication. American Society for Biochemistry and Molecular Biology, 19 Mar. 2010.
  2. Anticancer effects of phytic acid. Phytochemicals.info. Web. 31 Jan. 2017.
  3. Khanam A And Platel K. Influence of domestic processing on the bioaccessibility of selenium from selected food grains and composite meals. J Food Sci Technol. 2016 Mar;53(3):1634-9.
  4. Kruger J , Et Al.. Effects of aqueous soaking on the phytate and mineral contents and phytate:mineral ratios of wholegrain normal sorghum and maize and low phytate sorghum. Int J Food Sci Nutr. 2014 Aug;65(5):539-46.
  5. Prodanov, Marin et al.. Influence of soaking and cooking on the thiamin, riboflavin and niacin contents of legumes. Food Chemistry. Volume 84, Issue 2, February 2004, Pages 271–277
  6. Albarracína, Micaela et al.. Effect of soaking process on nutrient bio-accessibility and phytic acid content of brown rice cultivar. Food Science and Technology. Volume 53, Issue 1, September 2013, Pages 76–80
  7. Abd El-Moneim MR Afifya et al.. Biochemical changes in phenols, flavonoids, tannins, vitamin E, ?–carotene and antioxidant activity during soaking of three white sorghum varieties. Asian Pacific Journal of Tropical Biomedicine. Volume 2, Issue 3, March 2012, Pages 203–209
  8. Goufo P And Trindade H. Factors influencing antioxidant compounds in rice. Crit Rev Food Sci Nutr. 2017 Mar 24;57(5):893-922.
  9. Diese Stoffe nennt man chemisch inert, auf Deutsch: Sie reagieren nicht mit dem Lebensmittel darin. Von Plastik oder Metall rate ich daher ab.
  10. Diese Stoffe nennt man chemisch inert, auf Deutsch: Sie reagieren nicht mit dem Lebensmittel darin. Von Plastik oder Metall rate ich daher ab.

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