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Negativen Stress vermeiden & meistern | Der Weg zur Gelassenheit

Patrizia fühlt sich überfordert. Ihr Dauerstress beginnt, wenn sie morgens um sechs aufsteht, einen Kaffee trinkt und ihre Emails abruft. Schon einmal ein wenig vorab schaffen. Es ist so viel zu tun. Dann die Kinder wecken und auf den Weg zur Schule bringen; sich Gedanken um das Abendessen machen; den Weg zur Arbeit durch volle Straßen navigieren; an alle Unterlagen denken; zwischendurch noch einkaufen; ein Geburtstagsgeschenk für die Freundin besorgen; die Tochter zum Gitarrenunterricht bringen; kochen; Wäsche aufhängen und so fort. Sie spürt die Anspannung den ganzen Tag und fühlt auch, dass ihr Körper negativ darauf reagiert. Ihr Bauch wird dicker, ihr Nervenkostüm immer dünner und sie hat seit Jahren das Gefühl, dass sie mehr ausatmet als sie einatmet. Ausgelutscht.

In ihrem Bekanntenkreis sieht es überwiegend genauso aus und ihre beste Freundin bestätigt sie: Das ist einfach so; das ist normal; das kann man nicht ändern. Damit liegt sie falsch. Denn es gibt Menschen, die mit dem gleichen Pensum ohne dieses Stressgefühl durchs Leben kommen. Wie das geht, ist Thema dieser Episode zu den folgenden Fragen:

  • Wie entsteht das, was wir umgangssprachlich Stress nennen?
  • Warum ist Stress einzig eine Frage der inneren Einstellung?
  • Wie kann man Stress zu einer positiven, hilfreichen Kraft umgestalten?
  • Was hat Stress mit Achtsamkeit zu tun?
  • Wie kann man durch Planung Stress vermeiden?
  • Wie vermeidet man Stress, wenn etwas nicht nach Plan läuft?
  • Mit welchen Werkzeugen kannst du Stress schrittweise dauerhaft reduzieren und ein ausgeglichenes, gesünderes Leben führen?

Chronischer Stress ist ungesund

Über die negativen Auswirkungen von chronischem Stress wurde bereits genügend gesprochen. Psychologischer und mentaler Stress sind eine ernste Belastung für den Körper mit weitreichenden Folgen für die Lebenserwartung eines Menschen. Stress in diesem Sinne – mehr dazu gleich – verringert auch die Leistungsfähigkeit, zum Beispiel ist die Lernfähigkeit unter Stress stark reduziert. Es gibt auch die Bezeichnung positiver Stress – eine Form von Stress ohne diese negativen Wirkungen. Auch um diesen positiven Stress und dessen Vorteile wird es später in dieser Episode gehen. Umgangssprachlich ist nach meiner Erfahrung mit Stress in der Regel negativer Stress gemeint.

Die Ursache von Stress

Stress in diesem Sinne definieren die Wörterbücher als: anhaltende geistige, seelische oder körperliche Anspannung durch Überbeanspruchung oder schädliche Reize; seelischer Druck.1 Oder als: starke, oft auf Dauer gesundheitsschädliche Beanspruchung des menschlichen Organismus durch körperliche, geistige und psychische Belastung.2 Fast jeder kennt das Gefühl. Und leider tut unsere Gesellschaft alles dafür, dass bereits die meisten Kinder dieses Gefühl zu gut kennen: Durch unser Schulsystem, aber auch durch den Stellenwert, den wir ihm beimessen. Und das ist die kritische Unterscheidung: Nicht allein das Schulsystem als solches verursacht unseren Kindern Stress, sondern der Umgang der Eltern und Kinder mit diesem System. Es gibt Kinder, die kommen ohne Stressgefühl durch dreizehn Jahre Schule. Die meisten von denen sind nicht einfach so stressresistent – sondern ihre Eltern haben sie Fähigkeiten gelehrt, die Anforderungen der Schule mit Gelassenheit zu nehmen.

Schule, Arbeitsplatz, die Rolle in Familie, Freundeskreis und Gesellschaft, Finanzen, Familienfeiern, der Alltag – sind das die Quellen von Stress?

Eine weitere Definition von Stress ist: Reaktion auf einen starken Reiz.3 Das Schlüsselwort: Reaktion.

Nicht Schule, Arbeitsplatz und Co. verursachen also das Stressgefühl, sondern unsere Reaktion darauf. Stress ist unsere Reaktion auf die von uns empfundenen Anforderungen dieser Umgebungen. Und diese Reaktion ist meistens unsere Erwartung, allen dieser empfundenen Anforderungen gerecht werden zu müssen. Das ist der Schlüssel zum Verständnis von Stress: Stress ist der Wunsch, alles zu schaffen, was man sich vornimmt und alle Erwartungen zu erfüllen – meistens die eigenen:

Dem Arbeitgeber immer 100 Prozent gerecht werden; nie in Konflikt mit seiner Familie geraten; immer alles sauber halten; die perfekte Mutter und Ehefrau sein; es den Nachbarn recht machen; das Haus stets sauber und den Garten gepflegt halten; immer gute Noten nach Hause bringen; es allen recht machen; allen gefallen; das perfekte Geschenk für jedes Familienmitglied finden und jeden Abend pünktlich ein selbst gekochtes Essen auf den Tisch zaubern, das allen schmeckt – das ist die Vorstellung von einem Leben ohne Reibung und Konflikt. Das wäre Perfektion – und Perfektion ist unmenschlich und unnatürlich. Mit solchen Erwartungen kann man sich seine eigene kleine Hölle basteln.

Die Lösung besteht nicht darin, die Anforderungen zu unterteilen in jene, die vermeintlich unumgänglich sind, wie die Erwerbstätigkeit oder Schule, und die anderen, wie perfekte Geschenke zu jedem Anlass, die man sich vielleicht sparen könnte. Denn das würde einfach nur bedeuten: Weiterhin das unangenehme Stressgefühl erleben – nur etwas weniger.

Sondern die einzige Lösung ist ein anderer Umgang mit allen Anforderungen: Eine grundsätzliche Änderung der Erwartungshaltung.

Stress ist eine Frage der Einstellung

Der Tag hat 24 Stunden. Deine Zeit, Energie und Kraft sind begrenzt. Unter diesen Umständen wäre es nicht nur unvernünftig, mehr zu erwarten als Zeit, Energie und Kraft zulassen, sondern dumm. Richtig ist: Wachsen kann man nur, wenn man an seine Grenzen geht. Doch wenn man seine Grenze regelmäßig weit überschreitet, schadet man sich. Erwarte nicht von dir, ständig mehr zu leisten als du leisten kannst. Alles andere wäre dumm. Also erwarte viel, aber nicht zu viel. Erwarte nicht, dass alle deine Wünsche in Erfüllung gehen, dass alle dich immer mögen und erwarte nicht, dass du die Erwartungen anderer erfüllst.

Der meiste Stress unserer Zeit entsteht durch überzogene Erwartungen: Durch zu viel Wollen – auch materiell. Haus, Auto, Kinder und Karriere. Kino, Konzerte, Klamotten, Essengehen, Urlaub, Weihnachtsmarkt, Familienfeier, Netflix, Spotify, Alexa – haben wollen, dabei sein, gesehen werden. Darf man das alles wollen? Mir ist das gleich. Garantieren kann ich: Wer erwartet, alles zu bekommen, was er haben will, wird Stress erleiden. Und auch wer das nicht erwartet und trotzdem all dieses Zeug haben will, wird unzufrieden sein. Da ist weniger wollen eine sinnvolle Strategie.

Richtig ist auch: Menschen sind unterschiedlich leistungsfähig und in unserer hochspezialisierten Gesellschaft werden diese Unterschiede schnell deutlich. Wer nicht in einer Umgebung mit den für sich genau richtigen Anforderungen landet, hat es schwerer als jemand, dem die Struktur der Schule oder seines Arbeitsplatzes in die Hände spielt. Erwarte nicht von dir, so viel zu leisten wie die leistungsfähigsten. Alles andere wäre dumm. Du bist nicht die. Du bist du.

»Es wird erwartet, dass ich immer funktioniere», hört man immer häufiger. Dabei ist auch das oft nur Einbildung. Dahinter steckt der Wunsch nach Anerkennung, nach Gesehenwerden – der Gedanke: »Ich will immer funktionieren, weil ich glaube, dass ich meinen Mitmenschen dann besser gefalle.« Und warum denkt jemand so etwas? Ursache ist das alte Thema: mangelnder Selbstwert oder Selbstliebe – reichlich thematisiert in früheren Episoden. Ein Mensch mit hohem Selbstwert ist nicht angewiesen darauf, die Erwartungen anderer zu erfüllen.

»Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, da wird das erwartet!« Auch das ist nur eine Variante des gleichen Themas. Siehe oben: Deiner Leistung sind Grenzen gesetzt. Und was erwartet wird kann dich einen Kehricht interessieren, solange du tust, was du kannst – und nicht mehr. Und was du kannst, ermittelst du mit einem einfachen Werkzeug. Dazu später mehr.

»Stress ist unausweichlich«, »Ich habe drei Kinder, da ist Chaos vorprogrammiert« – das sind Glaubenssätze, die meist der Rechtfertigung der eigenen, mangelhaften Planungsfähigkeit dienen. Es gibt reichlich Familien mit drei oder mehr Kindern, die ruhig durch den Alltag kommen und deren Mutter oder Vater sich nicht jeden Abend wie eine ausgepresste Tube Zahnpasta fühlen. Und die meisten davon sind Menschen, die einfach nicht so viel wollen oder zumindest nicht permanent erwarten, dass alles perfekt ist. Genauer: Sie haben kein utopisches Bild eines perfekten Lebens im Kopf sondern konzentrieren sich auf das Wesentliche. Ein Dach überm Kopf. Ein voller Kühlschrank. Gesundheit. Sein Bestes geben – und nicht zu viel erwarten.

Die haben auch nicht einfach Glück und ein einfacheres Leben. Der Alltag derer, die keinen Dauerstress empfinden, enthält die gleichen Hürden, die gleiche Ladung Mist, die gleichen Tiefschläge: Kasper mit dem Amt, Steuernachzahlungen, eine kaputte Heizung, Motorschaden am Auto, Wassereinbruch im Keller, Hundekot auf dem Teppich.

Es ist immer viel zu tun. Für jeden. Woher nehmen diese Menschen also ihre Gelassenheit, wo andere kurz vorm Nervenzusammenbruch stehen? Sie gehen mit den Zwischenfällen anders um. Sie erwarten erstens weniger, dass alles gutgeht. Und zweitens sind sie darauf vorbereitet, dass etwas schiefgeht.

Während die einen gestresst sind, weil sie gestresst sind – also morgens angespannt sind, weil der Tag so voll ist –, sehen die anderen den gleichen Sack voll Aufgaben, bleiben locker und legen einfach los. Erstere sehen in der To-do-Liste eine Bedrohung, letztere eine Herausforderung.

Werden sie das alles schaffen? Das weiß keiner der beiden. Der Unterschied: Erstere malen sich aus, was alles schiefgehen kann und was die Konsequenzen sein könnten. Letztere machen sich darüber keine Gedanken. Sie geben ihr bestes und wissen, dass sie niemals volle Kontrolle haben. Sie sind einfach sie selbst und wissen, dass sie genügen. Müssen.

Wenn die Gedanken sich verheddern in einem Horrorszenario, frage dich: »Was ist das Schlimmste, das passieren kann? Was ist, wenn ich diese Aufgabe nicht rechtzeitig schaffe?« Dann regt der Chef sich halt auf. Das ist tatsächlich ganz allein sein Problem. Dann ist die Tochter eben mal beleidigt oder der Ehemann muss warten oder die Küchenplatte ist schmutzig oder das Essen steht erst um 18:04 Uhr auf dem Tisch und das Kartoffelpüree ist nicht mehr ganz heiß. Na und?

Vermeide Ängste. Entscheidungen oder Handlungen aus Angst sind selten der richtige Weg. Entscheide und handele nicht aus Angst, sondern stets aus Liebe. Nicht »Ich muss, weil sonst …«, sondern »Ich möchte …«

Das ist der Zusammenhang zwischen Stress und Achtsamkeit: Wer Stress empfindet, lebt meist mit Bildern einer möglichen, negativen Zukunft. Die Zukunft existiert jedoch nicht, sie ist eine Wahnvorstellung. Bleib achtsam, bleib im Jetzt, widme dich einer Aufgabe nach der anderen. Negative Gefühle über unausweichliche Aufgaben helfen nicht, sondern verschlechtern nur dein Erlebnis des Jetzt.

Stress ist eine Frage der Lebenseinstellung, der Geisteshaltung. Dem Thema widme ich ein ganzes Kapitel in meinem Buch Der Weg – Wie du einen gesunden Lebenswandel entwickelst und beibehältst.

Gewohnheit #88: Sei der Löwe, nicht die Gazelle

Wenn der Löwe die Gazelle jagt, stehen beide unter Stress: Beide kämpfen um ihr Überleben. Die Gazelle in Angst und Panik kann kaum klar denken. Dem Löwen hingegen gibt der Stress zusätzliche Präzision, Wachsamkeit und einen klaren Blick.

Stress ist im Leben unvermeidbar und er kann der Gesundheit sowohl schaden als auch nutzen. Ob ein Stressor gut oder schlecht für uns ist, hängt nicht nur ab von Art, Dauer und Umfang des Stress. In vielen Fällen entscheidet allein unsere Denkweise darüber, ob ein und dieselbe Herausforderung uns dient oder krank macht.

Wie sich eine Aufgabe auf dich auswirkt, entscheidet sich allein in deinem Kopf. Die Folgen für deine Gesundheit reichen weit. Das ist der zuvor angerissene Unterschied zwischen positivem und negativem Stress. Wenn du dich zum Beispiel zum Krafttraining gezwungen fühlst und jede Sekunde verabscheust, wirst du durchweg Stress erleiden und kaum einen Trainingseffekt erzielen.

Raffst du dich hingegen auf und blickst auf das gleiche Workout als Herausforderung und Gelegenheit zum Wachsen, erleidest du weniger Stress und erntest die Früchte der Arbeit. So kannst du jeder Hürde des Lebens begegnen: Mit Widerwillen, der nur zusätzlichen Schmerz verursacht; oder indem du die Herausforderung annimmst.

Dazu gibt es ein spannendes Experiment: Zwei Ratten stehen getrennt in jeweils einem eigenen Laufrad. Ratte A kann laufen, wann sie möchte. Das Laufrad von Ratte B wird mit einem Motor angetrieben, der sich immer dann dreht, wenn Ratte A läuft. Ratte B muss also laufen, wenn Ratte A läuft. Manchmal also gegen ihren Willen. Beide Ratten laufen somit exakt gleich viel. Doch während Ratte A bei gleicher Aktivität Spaß hat und ihre Muskeln trainiert (beides ist objektiv messbar) leidet Ratte B unter Stress und ihre Muskeln wachsen nicht.

Das Fazit? Wenn du vor einer unausweichlichen Herausforderung stehst, egal wie sehr sie dir widerstrebt: Akzeptiere sie, nimm sie an – und dann greif sie an und überwältige sie mit deinem Willen. Widerwille schwächt dich. Wille gibt dir Kraft.

Vereinfacht ausgedrückt: Widerwille erzeugt negativen Stress. Wille erzeugt positiven Stress.

Pflegst du einen Nährboden für negativen Stress?

Die Fähigkeit, in großen Aufgaben eine Herausforderung anstelle einer Überlastung zu sehen, erfordert Besonnenheit – eine zentrale Eigenschaft in vielen philosophischen Denkrichtungen und Religionen vom Konfuzianismus über den Stoizismus bis zum Islam. Besonnenheit ist der rationale Anteil innerer Ruhe, während Gelassenheit den emotionalen Aspekt darstellt.

Demnach mindert eine Störung der inneren Ruhe Besonnenheit und Gelassenheit. Jede Störung der inneren Ruhe führt also zu einer Mehrung von negativem Stress.

Solche Störquellen gibt es reichlich, leider bleiben sie dem Betroffenen zu oft verborgen. Es kann ein Groll sein, den man herumträgt – womöglich lebenslang, über das, was die Mutter mal vor 30 Jahren gesagt hat oder was der Ex-Mann getan hat, wie der Chef sich verhält oder wie der Busfahrer geguckt hat. Weit verbreitet ist ein unerkannter Groll gegen sich selbst, weil man zu nett ist und sich damit ständig und stetig selbst schadet – die tödliche Wirkung von Nettigkeit und wie man durch Grenzen, Regeln und Konsequenzen solches Leid beenden kann, war bereits Thema zweier vorangegangener Episode. Derartige Störquellen erzeugen eine Grundspannung, eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, welche ebenfalls oft unbemerkt bleibt. Weitere Beispiele dafür sind ein Partner, mit dem man eigentlich nicht glücklich ist; ein Arbeitsplatz, den man nicht mag; eine familiäre Situation mit empfundenen Verpflichtungen.

Solche Störquellen häufen sich und kosten Energie. Sie rauben Gelassenheit und Besonnenheit. Das mindert die Fähigkeit, die alltäglichen Aufgaben als Herausforderung zu betrachten und verwandelt sie stattdessen in eine empfundene Be- und Überlastung: in negativen Stress. Mangelnde Besonnenheit führt darüber hinaus zu unklugen Entscheidungen, deren Folgen oft weitere Energie kosten und Besonnenheit – innere Ruhe – rauben. So entsteht ein Teufelskreis.

Wie kann man diesen Teufelskreis vermeiden oder ihm entkommen? Dafür gibt es mehrere Hebel auf verschiedenen Ebenen:

Werkzeuge zum Vermeiden von Stress

Man kann also durch einen Wechsel der Perspektive negativen in positiven Stress verwandeln. Dieser Perspektivwechsel erfordert Besonnenheit. Wenn die Grundlage von Besonnenheit innere Ruhe ist, sollte man innere Ruhe pflegen, um den Stress besser zu bewältigen. Dazu bieten sich mehrere, sehr verschiedene Mittel an.

Kategorie 1: Passive Werkzeuge zur Stressverhinderung

Erstens: Meditation. Schalte nicht aus, hör mich an. Es gibt unzählige Formen der Meditation und es gibt für jeden die richtige Form. Eine davon, die nur zehn Minuten dauert, habe ich in der Episode über NSDR vorgestellt. Du meinst, in deinem vollen Alltag sei keine Zeit für Meditation? Genau dann musst du meditieren. Hier der simple Autovergleich: Du möchtest mit deinem Auto schnell ans 1000 Kilometer entfernte Ziel kommen, deswegen trittst du mächtig aufs Gas. Aber dein Tank ist gleich leer. Was machst du? Nicht tanken, weil du keine Zeit hast? Wenn du nicht tankst, kommst du nicht ans Ziel. Genauso musst du Meditation betrachten.

Zweitens: Du kannst deine Emotionen nicht kontrollieren. Aber du kannst deine Reaktion auf deine Emotionen kontrollieren. Emotionen sind lebenswichtige Signale und wer sie ignoriert oder unterdrückt, spielt mit seiner Gesundheit. Doch zwischen Wut und einem Wutausbruch liegt dein Verstand. Der sitzt auch zwischen Angst und Anspannung oder Panikattacken und zwischen Trauer und Rückzug oder Heulkrämpfen. Im Angesicht eines vollgepackten Tages kannst du dich deinen Gefühlen von Erwartung oder Angst hingeben, verspannen und zittern.

Oder du akzeptierst diese Emotionen, verstehst ihre Herkunft und lässt sie in Ruhe wieder gehen. Erwartung will dir vielleicht sagen, dass die Aufgaben des Tages dir etwas bedeuten. Angst könnte dir mitteilen wollen, dass du dein Selbstwertgefühl zu stark an das Ergebnis deiner Bemühungen knüpfst. Emotionen sind gut und wichtig. Aber lasse dich nicht von ihnen überwältigen. Übe Stoizismus und pflege damit deine innere Ruhe.

Drittens: Sei nicht zu nett. Nettigkeit ist eine tödliche Krankheit und sie fördert Grundspannung durch Ressentiments. Das habe ich in zwei früheren Episoden im Detail erläutert. Übertriebene Nettigkeit führt oft auch zur Übernahme weiterer Verpflichtungen die nicht deine Aufgabe sind. Praktiziere Aufgabenteilung. Übertriebene Nettigkeit stört deine innere Ruhe.

Viertens: Pflege deinen sozialen Kreis. Das bedeutet nicht: Habe so viele Freunde oder enge Verhältnisse wie möglich. Sondern im Gegenteil: Verbessere oder beende alle Beziehungen, die dir schaden. Die Qualität deiner Beziehungen zu Eltern, Geschwistern, Freunden, Partnern, Kollegen ist allein deine Aufgabe. Wenn du merkst, dass ein Mensch dir nicht gut tut, dir Energie raubt, dich ausbremst, verängstigt oder manipuliert, beende das Verhältnis – es sei denn, du siehst einen Weg zur Besserung. Schädliche, heute sogenannte toxische Beziehungen stören deine innere Ruhe.

Kategorie 2: Aktive Stressbewältigung

Während die Pflege deiner inneren Ruhe abseits und unabhängig von deinen Aufgaben stattfinden kann, kannst du einige Werkzeuge direkt im Gefecht mit den Herausforderungen des Alltags einsetzen. Die wirksame und effiziente Bewältigung von Aufgaben erfordert Planung.

Der schönste Plan zerschellt meist nach nur wenigen Kontakten mit dem Alltag in tausend Teile. Das Fazit: Pläne sind wertlos. Planung, der Vorgang des Planens, ist allerdings unabdingbar zur Stressbewältigung. Was ich als Abteilungsleiter in der Softwareentwicklung über Projektmanagement gelernt habe, deckt sich vollständig mit den Erfahrungen eines befreundeten Küchenmeisters: Stress (im Sinne von negativem Stress) ist die Folge von Fehlplanung. Negativer Stress entsteht demnach, wenn man erstens nicht damit rechnet, dass viel zu tun ist und zweitens wenn man damit rechnet, dass es keine Zwischenfälle gibt. Gute Planung berücksichtigt Szenarien für die Fälle, die nicht nach Plan laufen. Die Angelsachsen haben dazu das passende Sprichwort: »Failing to plan is planning to fail« – sinngemäß: Wer nicht plant, plant das Scheitern.

Naturgemäß kann man nicht für alle Zwischenfälle planen. Doch wenn du dir über die häufigsten und wahrscheinlichsten »was mache ich, wenn…« vorher Gedanken machst, überwältigt dich ein solcher Zwischenfall nicht – denn der Plan dafür steht bereits, die Entscheidung ist schon getroffen und kostet im Einsatzfall keine Energie mehr.

Solche Ausweichpläne kann man sich zurechtlegen und dem Alltag viel negativen Stress nehmen: Was tun, wenn das Kind krank ist und ich bei ihm zu Hause bleiben muss? (Pflege eine Liste der Dinge, die du im Home Office erledigen kannst.) Was mache ich, wenn mein Auto nicht anspringt? (Lege einen Busfahrplan bereit.) Was, wenn ich es nicht mehr schaffe, frisches Gemüse einzukaufen? (Habe immer Tiefkühlgemüse im Gefrierschrank.) Was tun, wenn ich mittags unterwegs bin und nichts vernünftiges zu Essen kaufen kann? (Nimm immer zwei Proteinriegel mit.) Solche Pläne haben wir selbstverständlich für den Brandfall (Fluchtpläne) und in der Regel wird hin und wieder dafür geübt. Warum? Weil es im Ausnahmefall Leben retten kann. Man kann und muss nicht alles planen. Doch wenn sich größere Probleme oder negativer Stress vermeiden lassen, sollte man Planung nutzen.

Wie wendest du gute Planung im Alltag an?

Erstens: Alles aufschreiben. Eine häufig unerkannte Quelle von Stress sind Gedanken an Dinge, die noch zu tun sind. Kaum ein Gedanke ist es allerdings wert, ihn zweimal zu haben – es sei denn es ist ein besonders schöner Gedanke. Wenn etwas zu erledigen ist, schreib es sofort auf. Jede Kleinigkeit. Nicht auf irgendeinen Zettel oder Papierfetzen, eine Pinwand oder App, sondern in ein gepflegtes Notizbuch, das du mitnehmen kannst.

Ich habe über zwanzig Jahre verschiedenste Konzepte ausprobiert und bin immer wieder beim Notizbuch in Größe DIN A5 gelandet. Weiten wir das hier nicht zu stark aus: Eine App oder andere digitale Methode ist zu fehleranfällig und nimmt dir den tatsächlichen Schreibvorgang mit der Hand, dadurch sinkt die Informationsretention. Eine Pinwand kannst du nicht mitnehmen. Einzelne Zettel gehen verloren und erlauben wenig Nachhaltung.

Ein Notizbuch mit leeren Seiten, also ohne Vordrucke wie Tageskalender ist gut. Gib jedem Tag nicht zu viel Raum: Das lädt nur ein, sich zu viel vorzunehmen. Schrift und das Schreiben gehört zu den größten Errungenschaften der Menschheit. Wer schreiben kann und schreibt, ist im Vorteil. Schreib. Schreib alles auf, was zu tun ist. Das ist die Grundlage vernünftiger Planung kurz- wie langfristig.

Zweitens: Plane deinen Tag am Vorabend. Wenn du nicht mehr von den Ereignissen deines Alltags überwältigt werden möchtest, musst du dich auf ihn vorbereiten. Die meisten Menschen schlafen besser, wenn sie wissen, dass der kommende Tag halbwegs in trocknen Tüchern ist – das geht allerdings kaum, wenn man die Aufgaben noch immer im Kopf jongliert, also siehe Schritt eins: Schreib alles auf. Schreib die Aufgaben des kommenden Tages auf. Lege vielleicht eine Reihenfolge fest oder schreib Uhrzeiten dazu, das liegt in deinem Ermessen und deiner Flexibilität.

Plane nicht zu viel ein. Ein guter Plan lässt Luft, ein guter Tag hat Lücken. Der Mensch ist nicht für Dauerbetrieb gemacht. Fünf Minuten Nichtstun oder Langeweile ist keine Zeitverschwendung, sondern Erholung in einer Welt, die durchdreht. Solche Freiräume erlauben, dass etwas länger dauert als geplant. Und wenn es doch rund läuft und du dich plötzlich mit fünfzehn Minuten Freizeit konfrontiert siehst und dir wirklich nichts besseres einfällt? Dann meditiere!

Planung verändert nicht den Umfang und die Anzahl deiner Aufgaben – wobei gute Planungs- und Notizarbeit durchaus offenbaren kann, dass du einiger deiner Vorhaben einfach streichen kannst. Jedoch verändern sie dein Verhältnis zu diesen Aufgaben. Du lässt dich nicht mehr durch den Tag spülen wie ein Stück Holz in der Strömung. Sondern – wenn du es lange genug geübt hast – du gehst neben dem Kanal her, mal schneller, mal langsamer, und öffnest nacheinander Schleusen und nimmst so die Zügel, das Ruder, die Kontrolle über deinen Alltag in die Hand.

Über Planung, und Notizsysteme kann man jeweils ganze Episoden produzieren und vielleicht mache ich das noch. Kern diese Episode soll die Minderung negativen Stresses sein und dafür genügen die Kurzbeschreibungen dieser Werkzeuge. Und davon folgen noch ein paar in:

Kategorie 3: Die Geisteshaltung ändern

Die Macht der Planung beschränkt sich nicht auf die Aufgaben deines Alltags, sondern dein ganzes Leben, Gesundheit, Freundschaften, Familie, Finanzen, Karriere profitieren von Planung. Grundvoraussetzung dafür ist, dass du die Verantwortung für dein Leben übernimmst. Wer sich stets als Opfer seiner Umstände betrachtet kann die nötigen Veränderungen für ein zufriedenes Leben nicht erreichen. Das erfordert Selbsterkenntnis, Selbstliebe und Selbstachtung – drei ausführliche Themen früherer Episoden, die ich dazu ausdrücklich empfehle.

Erstens: Sei Chef deines Lebens. Stell dir vor, wie dein Leben aussehen soll. Wie soll dein Körper aussehen? Wie soll dein Alltag aussehen? Ohne konkretes Bild, kannst du auf kein Ziel hinarbeiten. Definiere deine Schlafenszeiten, deine Freizeit, deinen Feierabend, deine Stimmung am Tag, dein Gefühl für Selbstwirksamkeit. Dieses konkrete Bild eröffnet dir mittels Gewohnheiten schrittweise den Weg zum Ziel. Schlaf und Freizeit erwähne ich nicht zufällig: Du brauchst beides. Egal, wie viel zu tun ist: Du musst genug schlafen und Freizeit genießen. Sonst wirst du krank, deine Leistung sinkt und du kannst gar nichts mehr schaffen. Du kannst die Biologie nicht austricksen. Wenn du deinem Körper keine Pausen gönnst, wird er sie sich irgendwann nehmen – und das ist meist unangenehm.

Zweitens: Entreiße deinem Smartphone die Macht über dich. Das Smartphone gewinnt durch die Hintertür Macht über fast jeden Menschen. Was im ersten Moment nett, praktisch und nützlich wirkt, mutiert unweigerlich zu einem Sklaventreiber und Zeitfresser, wie es ihn nie zuvor gegeben hat. Jede freie Sekunde, jeden drohenden Anflug von Langeweile – die größte Quelle brillanter Ideen – erdrosselt das Smartphone.

Ob Sucht oder Gewohnheit: Kämpfe und hol dir dein Leben zurück. Niemand muss immer erreichbar sein. Nimm das Gerät nicht immer mit. Lege es an einen schwer zugänglichen Ort; zum Beispiel auf den Schrank; definiere klar Smartphone-freie Bereiche (Schlafzimmer, Bad, Wohnzimmer) und Zeiten (nach 17 Uhr, vor 8 Uhr). Immer mehr Untersuchungen zeigen, dass Menschen ohne Smartphone schon mittelfristig deutlich zufriedener sind. Genieße, ja: pflege Langeweile!

Drittens: Ändere deine Erwartungshaltung. Knüpfe deinen Selbstwert nicht an deine Leistung und Arbeitsumfang, an Noten in der Schule oder Fortkommen bei der Arbeit. Erwarte nicht, dass du immer alles schaffst, allen gerecht wirst und alle Erwartungen erfüllst. Erwarte nicht, dass andere etwas von dir erwarten (meistens ist das nicht der Fall). Erwarte nicht, die imaginären Erwartungen anderer zu erfüllen.

Viertens: Lies Der Weg für mehr Tipps zu Geisteshaltung und Stressbewältigung und folge meinem Podcast. Ruhe bewahren, Besonnenheit und Gelassenheit gewinnen – reichlich Gewohnheiten dafür findest du in meinem Buch Der Weg – Wie du einen gesunden Lebenswandel entwickelst und beibehältst. Die Geisteshaltung interagiert mit deinem Schlaf, deiner Ernährung, deiner Bewegung, deinen Beziehungen. Deswegen lohnt sich zur Reduktion negativen Stresses auch der Blick in die anderen Kapitel des Buchs. Denn ob du in der Lage bist zu einer Änderung deiner Geisteshaltung, deines Willens, deiner Disziplin, hängt unter anderem auch ab von deinen Hormonspiegeln.

Egal, wie viel du über Stressvermeidung weißt und wie sehr du Veränderung herbeisehnst: Wenn dein Nervensystem dauerhaft im Fluchtmodus steckt, kannst du dich unter Umständen kaum berappeln und die nötigen Veränderungen nicht umsetzen. Auch deswegen ist ein gesunder Lebenswandel wichtig, dazu gehören eben die Bereiche Ernährung und Bewegung, die tiefgreifend dein Hormonsystem beeinflussen.

Zusammenfassung

Chronischer Stress ist ungesund. Das unangenehme Gefühl, das Menschen meist mit den Worten »mein Alltag ist stressig« verbinden, ist allerdings selbstgemacht – und vermeidbar. Denn ob man die Aufgaben des Alltags als negativ oder positiv empfindet, ist eine Frage der Einstellung. Es ist eine Reaktion, die wir steuern können.

Ob du dich von deinen Aufgaben überwältigt fühlst – das wäre negativer Stress – oder ob du sie als Herausforderung begreifst und somit positiven Stress empfindest, ist eine Frage von Wille und Widerwille.

Beim Bewältigen des Alltags helfen Besonnenheit und Gelassenheit. Diese kann man sich aneignen durch Übung und Gewohnheiten.

Eine Reihe praktischer Werkzeuge helfen im Alltag beim Verhindern und Bewältigen von Stress. Dazu gehört neben einfachen Meditationsübungen ein bewusster Umgang mit Emotionen, das Beenden übertriebener Nettigkeit, das Aufschreiben und Planen von Aufgaben, Disziplin bei der Smartphone-Nutzung, eine Änderung der Erwartungshaltung und nicht zuletzt die volle Übernahme der Verantwortung für das eigene Leben.

Fußnoten

  1. https://de.wiktionary.org/wiki/Stress
  2. https://www.dwds.de/wb/Stress?o=stress
  3. https://www.dwds.de/wb/Stress