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Diabetes an die kurze Leine zwingen

Karottenkuchen - bei Diabetes keine gute Idee.Ungefähr jeder zehnte Deutsche leidet an Diabetes.1 Diese Krankheit lässt sich nicht so einfach heilen wie ein Schnupfen. Doch so mancher Diabetes-Patient konnte bereits Abschied nehmen von Spritzen, Medikamenten und Übergewicht. Die Erkrankung bleibt bestehen; doch wer sich von ihrem Joch befreien möchte, muss oft nur seinen Lebenswandel ändern, kann dafür den Spieß umdrehen und den Diabetes an die kurze Leine zwingen.

Seit 2009 veröffentliche ich bei Urgeschmack Hinweise auf einen solchen Lebenswandel. Geplant war das nie. Mein Anliegen war stets die Verknüpfung gesunder Ernährung mit Nachhaltigkeit und Genuss. Allerdings deckt sich meine Herangehensweise mit einer Ernährung, die Diabetikern hilft. Der beste Beweis sind dutzende Dankes-Emails, die ich über die Jahre von Diabetikern erhalten habe. Diabetiker, die mit Hilfe meiner Hinweise und Rezepte ihren Blutzucker nun ohne Insulinspritzen unter Kontrolle haben und Übergewicht abbauen konnten. Diabetiker, denen die Empfehlungen der DGE, ihrer Diabetesberater und ihrer Ärzte jahrelang nicht geholfen haben.

Ich trage keinen weißen Kittel, verspreche keine Heilung, empfehle und verordne nichts und behaupte nicht, ich hätte ein Wundermittel gefunden. Ich erteile keinen ärztlichen Rat. Du bist selbst verantwortlich für deine Gesundheit. Was ich beschreibe, fußt auf Recherche, auf Erfahrungen und gesundem Menschenverstand. Es ist ein Lebenswandel, der meine eigene Gesundheit tiefgreifend verbessert hat. Auf diesem Weg habe ich Fett ab- und Muskeln aufgebaut, ich leide nicht mehr unter Kälte, bin ausgeglichen und habe die Kraft, vielen Widrigkeiten zu trotzen.

Mein Vorschlag wird nicht jedem im gleichen Umfang helfen können. Menschen sind zu vielfältig, als dass es eine einzelne Lösung geben könnte, die bei allen die gleiche Wirkung zeigt. Allerdings ist mir auch kein Fall bekannt, in dem meine Hinweise geschadet hätten. Das wäre auch nicht plausibel. Das heißt: Einen Versuch ist es Wert.

Im Folgenden beziehe ich mich besonders auf Diabetes Typ 2, denn wer das Los des Typ 1 gezogen hat, dessen Handlungsspielraum ist erheblich geringer. Vor meinen Hinweisen zur Ernährung kommt jedoch ein anderer Vorschlag:

Bewegung, Bewegung!

Der Mensch ist zur Bewegung gemacht. Wer sich nicht bewegt, beschädigt die Wundermaschine, die wir Körper nennen. Jede Starre, jeder 8-Stunden-Arbeitstag auf dem Bürostuhl ist Raubbau am Körper und schadet den unzähligen Getrieben unserer Maschine. Oft ist es gerade Bewegungsmangel, der zu Diabetes führt oder sein Entstehen begünstigt. Bevor wir zum Warum kommen, bleiben wir kurz beim Thema: Einmal die Woche zwei Stunden Fußball spielen ist besser als nichts. Trotzdem ist es völlig unzureichend. Man hat kein Bewegungskonto, das man im Voraus aufladen und dann absitzen kann. Wir brauchen ständig Bewegung. Mindestens so oft, wie wir essen. Das ist mein Vorschlag an Diabetiker: Mach nach jeder Mahlzeit einen Spaziergang für wenigstens zehn Minuten. Ganz gleich, wie viel Bewegung du schon hast. Wenn dir das unmöglich scheint, weil Bewegung dir schwerfällt: Nimm dir genau einen Spaziergang vor. Jetzt sofort. So weit du kannst. Wenn es regnet, dann werde nass und trockne danach wieder. Wenn es friert, dann freue dich auf das Aufwärmen danach.

Wenn du gesund werden willst, musst du dich bewegen. Und wenn du ganz unten anfängst, machst du anfangs kleine Schritte, die auch mal schmerzen können. Den Schweiß wäschst du ab, der Schmerz vergeht schnell. Den Nutzen genießt du schon nach kurzer Zeit. Wenn deine Spaziergänge an die 20 Minuten reichen, könntest du das Tempo anziehen. Mehr Anstrengung; höherer Stoffwechsel ist gut für dich. Nebenbei bist du an der frischen Luft, die wie die Bewegung gut für deine Psyche ist. Das Ziel ist nicht einfach möglichst viel, sondern häufige Bewegung. Warum?

Ein Grund lautet: Weil Bewegung Energie erfordert und die muss der Körper gewinnen, transportieren, bereitstellen. Schon das schmiert das Getriebe. Energie ist der Zucker im Blut und wenn wir den umsetzen dann leuchtet doch ein, dass wir dabei auch die Kontrolle des Blutzuckerspiegels – das Kernproblem des Diabetes – treffen. Bewegung verbessert die Insulinsensitivität, sie bringt in Fluss, was zuvor beinahe zur Starre verlangsamt war: Die Reaktion der Zellen auf Insulin. Wer sich viel bewegt, dessen Körper reagiert besser auf Insulin. Dann muss man weniger spritzen fürs gleiche Ergebnis. Unser Ziel: Ganz wegkommen von den Spritzen. Dazu gibt es noch einen zusätzlichen Weg.

Kein Stress!

Ich schrieb anfangs von einem Lebenswandel, nicht von einem magischen Rezept. Lebenswandel umfasst dein ganzes Leben und ich kann unmöglich alle Bestandteile hier niederschreiben. Bevor wir endlich zur Ernährung kommen, ist noch Platz für eine dritte Säule guter Gesundheit neben Bewegung und Ernährung: Psychosoziale Ausgeglichenheit. Mit anderen Worten: Kein Stress. Allerdings müssen wir einschränken: Kraftsport ist auch Stress. Aber ein guter, körperlicher und zeitlich begrenzter Stress. Der Rat zur Stressfreiheit bezieht sich auf chronischen und vorwiegend psychologischen Stress. Denn auch der ist von Nachteil für die Gesundheit und wirkt nachteilig auf den Blutzuckerspiegel.

Die Lösung ist nicht, dem Stress aus dem Weg zu gehen. Stressoren kommen immer. Das ist keine Verschwörung deiner Umwelt gegen dich. Sinnvoll umgehen kannst du damit nur, indem du dich dem Stress stellst und seine Quelle findest. Sie liegt in dir selbst. Stress macht dir nicht der Chef mit seinen Arbeitsaufträgen. Sondern deine innere Erwartung, du könntest und müsstest dem Gerecht werden. Stress machen auch nicht die plärrenden Kinder, sondern deine Erwartung, sie wären immer still und würden brav sitzenbleiben. Stress bereitet dir die Vorstellung, im Leben liefe immer alles glatt und fair und es wäre überhaupt alles wichtig, was um dich herum passiert. Und Stress bereitet dir das dumme Geschwätz, mit dem du dich in Form von Tageszeitungen, Talkshows und Tagesschau durch Smartphone, Computer und Fernseher umgibst. Wichtig ist für dich nicht, ob in England ein Haus explodiert ist (auch und besonders für die Hausbesitzer ist nicht wichtig, ob du das weißt). Wichtig ist nicht einmal, was unsere Fachministerin für Gesundheit, Familie, Frauen, Arbeit, Verteidigung und das Friseurhandwerk gerade verbockt.

Wichtig ist indes, was deine Familie macht und wie es deinen Nachbarn geht, wie sich deine Gemeinde entwickelt und wie es um dein Verhältnis zu den Menschen steht, mit denen du dich täglich umgibst. Genau die beeinflussen dein Leben. Ob sie deinen Alltag zur Hölle machen oder dich heilen ist abhängig davon, wie du dein Leben mit ihnen einrichtest.

Vielleicht wird dir allein deine innere Einstellung beim Umgang mit Stress nicht helfen. Meditation ist ein weiteres Hilfsmittel, besonders in Verbindung mit persönlichem Wachstum. Wenn du dich schon immer gefragt hast, wozu man eigentlich Philosophen braucht: Einige von denen können dir genau jetzt weiterhelfen – wenn du dafür bereit bist. Was Seneca vor zweitausend Jahren schrieb, ist heute unglaublich aktuell und hilfreich. Ich lege dir die Lektüre ans Herz.2

Wenn dir doch Stress entsteht, und das wird passieren, dann ist Bewegung eine gute Möglichkeit zum Abbau. Auch deswegen steht sie hier an erster Stelle.

Ernährung anpassen

Woher kommt der Blutzucker? Durch Gluconeogenese kann unser Körper selbst die nötigste Zuckermenge herstellen. Doch die Hauptquelle für Zucker ist unsere Nahrung. Also muss das Essen eine weitere Stellschraube zur Kontrolle des Blutzuckerspiegels sein. Es gibt reichlich Belege für Diabetiker, die ihren Blutzucker kontrollieren, indem sie jeglichen Zucker meiden. Das beinhaltet sämtliche Kohlenhydrate und nennt sich heute LowCarb oder NoCarb. Kein Brot, keine Nudeln, keine Kartoffeln, keinerlei Getreide, kein Eistee oder andere Süßgetränke. Warum funktioniert das? Weil die Kontrolle der Zuckermenge im Blut einfach ist, wenn man keinen Zucker zuführt.3 So extrem muss man das allerdings nicht betreiben, zumal vielen Menschen der Abschied von ihren gewohnten Lebensmitteln schwerfällt. Dazu habe ich zwei Hinweise. Erstens: Reiß dich zusammen. Du bist krank. Willst du genesen, musst du etwas dafür tun. Wenn du dich möglichst weit von den Folgekrankheiten des Diabetes entfernen möchtest, musst du dafür einen Preis zahlen. Zweitens: Du musst nicht auf alles verzichten. Häufig genügt es, wenn du dich einschränkst: Iss weniger Kohlenhydrate. Weniger Brot, Nudeln, Kartoffeln. Und viel weniger Süßkram. Am besten gar keinen. Und keine Süßgetränke. Was bleibt dann noch zum Essen? Zum Beispiel fast alles, was in den Urgeschmack-Rezepten und Urgeschmack-Kochbüchern steht. Ernährung mit begrenzter Zuckerzufuhr ist nämlich nicht nur gesund für Diabetiker, sondern für alle Menschen.4

Die Kontrolle des Blutzuckers ist einfacher, wenn die Zuckerzufuhr in der Ernährung begrenzt ist und nicht stark schwankt. Das ist klar: Ein plätschernder Bach ist leichter zu steuern als ein tosender Fluss. Eine Art zusätzliche Verstärkung des Ufers ist dabei Eiweiß. Eiweiß (aus Fleisch, Fisch, Eiern etc.) sättigt und bremst dich folglich beim Essen zu großer Zuckermengen. Wenn du Eiweiß isst, setzt dein Körper Glucagon frei – ein Hormon, das sich am Blutzuckerhaushalt beteiligt. Ganz davon abgesehen ist Eiweiß lebensnotwenig. Und jetzt, wo du so viel Sport treibst, benötigst du diesen Baustoff, damit deine Muskeln wachsen können.

Eine Warnung zur LowCarb-Ernährung: Anhänger dieser Ernährung essen nicht nur weniger Kohlenhydrate, sondern meist zugleich mehr Fett (irgendwoher muss die Energie ja kommen). Einigen Diabetikern bereitet fettreiches Essen Probleme. Das ist noch ein Argument für mehr Eiweiß auch als Energiequelle.

Auf auf!

Mehr Bewegung, weniger Stress, gemäßigter Zuckerverbrauch: Das sind drei lange Hebel für bessere Gesundheit für Jedermann – nicht nur für Diabetiker. Das beste daran: Ein Jeder kann diese Hebel selbst bedienen, sich mehr bewegen, klüger mit Stress umgehen und seine Ernährung umstellen. Es sind einfache Schritte, trotzdem fallen sie nicht immer leicht. Ich bin diese Schritte selbst gegangen und habe viele Menschen auf dem gleichen Weg begleitet. Manche humpeln, andere spazieren stramm und wieder andere sprinten diesen Pfad. Es ist kein Wettbewerb. Begreife: Ein guter Arzt kann dich warnen, dich beraten und dir Medikamente verschreiben. Aber die Verantwortung für dich selbst bleibt bei dir. Lass sie nicht liegen, die Verantwortung. Sondern pack sie, ergreife die Gelegenheit und lege deine Krankheit in Ketten.

Herzlicher Dank gilt Yvonne Benck, Jonas Burri, Daggggi, Judith Henzler, Jan-Marten Kolle, Konstantin Niese, Jessica Kolinger, Marius Schütte und allen anderen Stiftern dieses Beitrags mittels Patreon, PayPal und Überweisung.

Fußnoten

  1. Die Zahlen scheinen unklar, es sind jedenfalls eine ganze Menge. Siehe auch: Diabetes heute. Verbreitung des Diabetes mellitus in Deutschland. (Diabetes-heute.uni-duesseldorf.de).
  2. Siehe dazu Seneca: Von der Seelenruhe.*
  3. Siehe auch Olschewski, Felix (2012) Wie funktioniert Insulin? Urgeschmack.
  4. Mehr dazu: Olschewski, Felix (2018) Zucker tötet – und rettet Leben. Urgeschmack.

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