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Was ist Weidefleisch? Und warum überhaupt? (2/2)

Was ist Weidefleisch?Was ist Weidefleisch? Und wie kann dieses Produkt gleichzeitig dafür sorgen, dass wir gesünder leben, unsere Ökosysteme schützen und stabilisieren, der Klimaproblematik entgegen wirken, den Schutz der Tierrechte verbessern sowie massive soziale und kulturelle Verbesserungen herbeiführen?

Dieser zweiteilige Artikel erläutert unter anderem folgende Konzepte

  • Was ist Weidefleisch?
  • Weidehaltung pflegt und schützt Ökosysteme
  • Weidehaltung wirkt der Klimaerwärmung durch Bindung von CO2 entgegen
  • Weidefleisch ist gesünder
  • Weidefleisch schmeckt besser
  • Weidehaltung verbessert soziale Bedingungen
  • Weidehaltung fördert die Esskultur
  • Weidehaltung ermöglicht die Genesung der Nahrungskette
  • Weidefleisch ist wahrscheinlich nicht teurer als Fleisch aus Intensivtierhaltung

Teil 1 dieses Artikels erläutert, was Weidefleisch überhaupt ist und welche biologischen Argumente für die Weidehaltung sprechen. Heute geht es weiter mit den qualitativen, sozialen und kulturellen Vorteilen dieses Konzepts sowie einem Überblick zur Umsetzbarkeit.

Qualitative Argumente für Weidefleisch

Schauen wir uns noch einmal genau an, was die Kraftfuttermast für Auswirkungen auf die Produktqualität (Fleisch und Milch) hat: Konjugierten Linolsäuren (CLA) sind Fettsäuren, die das Potential haben, beim Muskelauf- und Fettabbau zu helfen. Mit einsetzender Kraftfuttermast bilden sie sich im Fleisch jedoch zurück, ebenso wie der Anteil der für den Menschen wertvollen Omega-3-Fettsäuren. Es kommt zur stärkeren Marmorierung, der Verteilung von Fettadern im Fleisch, welches die Industrie erfolgreich als Qualitätsmerkmal hervorhebt. Der Wasseranteil erhöht sich, solches Fleisch schrumpft unter Hitzeeinwirkung stark zusammen. Die Fütterung mit Getreide und Soja führt auch zu einem anderen, schwächeren Fleischgeschmack.

Rinder in Massentierhaltung führen ein stressiges Leben, dies wirkt sich hormonal auch auf ihr Fleisch aus. Aus der Jagd ist dies bekannt, es ist dort zum Beispiel ein wichtiges Argument für einen einwandfreien Schuss und einen kurzen, schmerzlosen Tod des Tieres, da die auf der Flucht oder im Todeskampf ausgestoßenen Stresshormone sich geschmacklich feststellen lassen. Hinzu kommt die Belastung ihres Fleischs durch Schadstoffe im Futter sowie durch etwaige verabreichte Medikamente.

Stress kann auch für Weiderinder nicht immer ganz vermeiden werden: Denn irgendwann haben sie nach einem schönen Leben einen schlechten Tag und werden zur Schlachterei gefahren. Dieser Transport, allein die Entfernung aus dem ihnen vertrauten Lebensraum, bedeutet Stress. Das Ausmaß dieses Stress ist allerdings abhängig vom Halter und dessen Umgang mit den Tieren sowie natürlich von der Dauer des Transports. Die meisten Weiderindhalter sind sich der Problematik bewusst und wählen eine Schlachterei in der Nähe, oftmals dauert der Transport so keine 10 Minuten.

Eine Schlachtung – oder Tötung – des Tieres auf der Weide wäre optimal und sie ist mittlerweile möglich. Erforderlich dafür ist eine sogenannte Mobile Schlachtbox und entsprechende Genehmigungen. Das Rind wird dann aus nächster Nähe unter optimalen Bedingungen erschossen, erfährt also keinen Stress. Selbstverständlich ist dies nicht nur hinsichtlich der Qualität, sondern auch aus moralischer Sicht die bessere Lösung.

Zusammenfassung der qualitativen Argumente:

  • Weidefleisch hat größere Anteile der gesundheitlich vorteilhaften CLA und Omega-3-Fettsäuren
  • Weidefleisch enthält weniger Wasser, dafür anteilig mehr Nährstoffe und Geschmack
  • Weidefleisch enthält weniger (idR keine) Antibiotikarückstände
  • Weidefleisch leidet kaum bis gar nicht durch Stresshormone

Soziale Argumente für Weidefleisch

Der Einstieg in die Intensivtierhaltung ist teuer. Um wirtschaftlich arbeiten zu können und konkurrenzfähig zu sein ist die Massenproduktion nötig, an Tag 1 steht also die Anschaffung eines Stalls, entsprechender Geräte und vieler Tiere. Das ist eine große Investition mit entsprechendem Risiko, die sich nicht jeder leisten möchte. Das Modell ist nicht einfach skalierbar.

Die Weidehaltung ermöglicht jedoch den Einstieg in die Rinderhaltung mit nur wenigen Tieren und etwas Weide. Alle nötigen arbeiten sind manuell zu erledigen. Zugleich ist die Expansion stufenlos möglich durch Hinzunahme weiterer Flächen und Tiere.

Weidehaltung ermöglicht also den Einstieg in die Viehwirtschaft mit geringem Risiko. Da die Produktion nicht mit der Intensivtierhaltung konkurriert, ist der Druck geringer und die Arbeitsbedingungen angenehmer – für alle Beteiligten, den Schlachter eingeschlossen.

Bei Weidefleisch steht die Qualität im Vordergrund, nicht der Preis. Und es sind wenige Hände am Gesamtprozess von der Weide auf den Tisch beteiligt. Dies ermöglicht eine gesunde Pflege der gesamten Nahrungskette, kurze Wege und so eine hohe Transparenz.

Familienbetriebe haben so eine  Chance, zurückzukehren oder zu genesen und sich abseits der großindustriellen Modelle zu etablieren. Dies demokratisiert die Lebensmittelproduktion und befördert die Macht über die Nahrungskette aus der Hand weniger zurück in die Hände vieler.

Zusammenfassung der sozialen Argumente:

  • Weidehaltung ist ökonomisch einfach skalierbar
  • Weidehaltung lässt sich leicht anfangen, mit geringem Risiko
  • Weidehaltung fördert die Qualität, nicht den günstigsten Preis
  • Weidehaltung ermöglicht das Fortbestehen von Familienbetrieben
  • Weidehaltung entmachtet Großkonzerne und ermöglicht eine unabhängige Nahrungskette

Kulturelle Argumente für Weidefleisch

Für das Kilo Weidefleisch zahlen wir an der Kasse einen höheren Preis als für die gleiche Menge Fleisch aus Intensivtierhaltung. Einer der Gründe dafür ist die Externalisierung von Kosten: Intensivtierhaltung wird durch Subventionen gefördert, beschädigt die Umwelt und zerstört regionale Wirtschaftskreisläufe. All dies sind Dinge, für die der Verbraucher nicht an der Supermarktkasse, jedoch durch seine Steuergelder aufkommt.

Der höhere Preis des Weidefleischs ist hingegen der echte, der realistische Preis. Er signalisiert „ich bin wertvoll„. Er hat das Potential, die Wertschätzung der Lebensmittel wieder zu erhöhen, der Wegwerfkultur ein Ende zu bereiten.

Und er gebietet vielleicht auch am Esstisch einen Moment andächtiger Ehrfurcht vor all denjenigen, die an der Produktion des Bratens beteiligt waren – allen voran das Tier.

Das wertvolle Produkt Weidefleisch fördert so die Esskultur.

Zusammenfassung der kulturellen Argumente:

  • Weidefleisch reflektiert die wahren Kosten der Lebensmittel
  • Weidefleisch erhöht die Wertschätzung des Fleischs und der gesamten Nahrungskette
  • Weidefleisch fördert die Esskultur

Die Umsetzbarkeit

Kaum eine Diskussion über Weidefleisch kommt ohne eine Thematisierung der Umsetzbarkeit aus. So könne man das Land nicht ernähren, den Bedarf nicht decken, heißt es. Und sowieso sei das alles viel zu teuer.

Zum Bedarf: Der Mensch hat keinen Fleischbedarf. Und die dann gerne in den Raum geworfene Zahl von 70kg Fleischverzehr pro Person und Jahr (in Deutschland) ist selbstredend grober Unfug. Denn über ihre Korrektheit wissen wir nichts und können wir nichts wissen: Denn wir wissen nicht, was jeder einzelne wirklich isst.

Vom Verzehr kann also keine Rede sein, eher vom Verbrauch. Der lässt sich messen. Zum Beispiel über das jährlich in Deutschland verkaufte Fleisch aufgeteilt auf die Bevölkerung. Aber wo verkauft? An Supermarktkassen oder vom Großhändler an die Einzelhändler? Eher letzteres.

Diese Zahl umfasst also nicht wirklich den Verbrauch der Endkunden. Sonden sie umfasst zusätzlich die rund 50% der täglich in deutschen Geschäften weggeworfenen Lebensmittel.

So sinkt der Pro-Kopf-Verbrauch, sollte oben genannte Zahl wirklich stimmen, schnell auf 35kg. Und dies umfasst noch immer nicht das, was der Endkunde selbst vielleicht wegwirft. Und so sinkt der Verzehr weiter.

Doch all diese Rechnerei ist müßig, denn es bleibt dabei: Der Mensch hat keinen Fleischbedarf. Der Ist-Zustand ist daher überhaupt nicht relevant. Und dies bringt uns zum zweiten Punkt des Anstoßes: Dem Preis.

Die gleichen Argumente, die in der Verbrauchsdiskussion angesprochen werden, sind auch hier relevant. Wenn über die Hälfte des derzeit gekauften Fleischs auf dem Müll landet, ist dann nicht jedes Kilo Fleisch auf dem Teller in Wahrheit doppelt so teuer?

Sollten wir die externalisierten Kosten, die Subventionen, Umweltschutzmaßnahmen und Wirtschaftsfördergelder, die aus Steuergeldern finanziert werden, wirklich weiter ignorieren?

Und bestimmt sich der Preis nicht durch Angebot und Nachfrage oder vielmehr: Hängen Preis, Angebot und Nachfrage nicht so eng zusammen, dass durch die Änderung eines einzelnen Faktors sich nicht auch die anderen ändern? Ist vorstellbar, dass bei steigendem Fleisch die Fleischnachfrage sinkt, dementsprechend auch das Angebot nicht so groß sein muss und dadurch die Versorgung durch extensive Weidehaltung möglich wird?

Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache, dass das Kilo Weidefleisch oft für weniger als 8-12 Euro den Besitzer wechselt, einen vergleichsweise geringen Preis, wirkt der Vorwurf der Nicht-Umsetzbarkeit aus Kostengründen realitätsfern.

Besonders dann, wenn wir die weiter oben genannten biologischen, qualitativen, sozialen und kulturellen Argumente mit einbeziehen. Denn dann ist gut möglich, dass Fleisch aus Weidehaltung nicht teurer ist als solches aus Intensivtierhaltung.

Weidefleisch, im krassen Gegensatz zur Intensivtierhaltung, ist ein einfach umsetzbares, nachhaltiges Konzept zur Nahrungsmittelversorgung.

Zusammenfassung zur Umsetzbarkeit:

  • Verbrauch ist nicht gleich Verzehr
  • Bei der Diskussion der Preise müssen die externalisierten Kosten Beachtung finden.
  • Weidehaltung führt zu einer Verbesserung sozialer und kultureller Bedingungen, zu einer Qualitätssteigerung, zur Genesung von Ökosystemen und nicht zuletzt zur Reduktion der Klimaproblematik durch Bindung von CO2.

Und jetzt?

Es liegt an Ihnen, eine Entscheidung zu treffen. Argumente gibt es reichlich. Entscheiden Sie selbst, was Ihnen wichtig ist. Und keine Bange, falls Sie die Ungewissheit scheuen oder nicht wissen, wie sie anfangen sollen. Genau dafür finden Sie hier den passenden Artikel mit Links und Hinweisen zu allem weiteren, was sie für die Praxis gebrauchen können:

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