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Können wir mit ‚Paläo‘ die ganze Welt ernähren?

Können wir mit 'Paleo' die ganze Welt ernähren?Ernährungskonzepte wie die Steinzeiternährung („Paläo-Diät“) fordern in letzter Konsequenz, dass Rindfleisch ausschließlich von Weiderindern stammen sollte. Im Vergleich zur konventionellen Produktion bedeutet dieses einen größeren Flächenbedarf. Kritiker stellen die Frage, ob es unter diesen Umständen überhaupt möglich sei, die ganze Welt zu ernähren. Statt mich auf Zahlenspiele und Milchmädchenrechungen einzulassen, stelle ich das konstruierte Problem in Frage: Müssen „wir“ überhaupt die ganze Welt ernähren?

Produzieren wir zu wenig zu essen?

Heute hungern auf unserem Planeten Menschen. Auch gestern ist das passiert. Durch die gesamte Geschichte der Menschheit wurde irgendwo, irgendwann gehungert. Nicht nur in der dritten Welt, sondern auch in Industrienationen. Offenbar ist es also bislang noch nicht gelungen, das Problem des Hungers für immer zu beseitigen. Liegt das an einer mangelnden Lebensmittelproduktion? Wohl kaum: Weltweit werden so viele Lebensmittel weggeworfen, dass wir damit im Prinzip alle Menschen der Welt zwei Mal ernähren könnten.

Es liegt also kein Produktionsproblem vor, sondern ein Verteilungsproblem. Das wird spätestens dann klar, wenn in den Fußgängerzonen der gut versorgten Großstädte Menschen um Nahrung betteln.

Könnten wir genügend Weidefleisch produzieren, um die ganze Welt damit zu ernähren?

Oft wurde versucht, diese Frage zu beantworten. Auch Constantin von paleosophie.de hat dazu Beiträge geleistet, und zwar sehr konkret in seinen Podcasts #1 und #3. Alle Berechnungen können jedoch nur anhand von Mittelwerten stattfinden und so bleiben die Angaben immer schwammig.

Hinzu kommt die Frage der Definition: Was ist „genügend“? Laut aktuellen medizinischen Angaben benötigt der Mensch pro Tag 0,8-1,2g Eiweiß pro kg Körpergewicht pro Tag (0,8-1,2g/kg/Tag). Viele Berechnungen beziehen sich auf diese Zahl und ermitteln daran den Fleischbedarf.

Doch was ist mit den übrigen Eiweißquellen, tierisch wie pflanzlich? Im einen Fall sind es 220g Rindfleisch pro Tag, im anderen könnten es jedoch 100g Fleisch und ein paar Eier sein. Diese Eier könnten von Hühnern stammen, die die gleichen Flächen nutzen, die zuvor von Rindern abgegrast wurden, so wie Joel Salatin dies praktiziert. Solche Produktionsmodelle kommen jedoch in den verbreiteten Rechnungen nicht vor.

Hinzu kommt die schwankende Produktivität der Flächen je nach Region, jedoch auch nach Effizienz der Bewirtschaftung. Durch intensives Weidemanagement lässt sich die Produktivität einer Weide vervielfachen.

Auch das Klima ist nicht überall gleich und so kann eine Erfassung von theoretisch zur Verfügung stehenden Weideflächen niemals der Realität Rechnung tragen.

Wir wissen nicht, ob wir theoretisch genügend Weidefleisch für die ganze Welt produzieren könnten, bevor wir es nicht mit allen Mitteln ausprobiert haben. Zu groß sind die regionalen Unterschiede. Regionalität – das Stichwort dieses Beitrags.

Müssen wir die ganze Welt ernähren?

Die Frage „Können wir die Welt ernähren?“ geht von einer zentralisierten Lebensmittelproduktion aus, bei der Überschüsse durch die ganze Welt transportiert werden. Es mag romantisch klingen, wenn reiche Regionen ihren Überschuss mit den dürren, unfruchtbaren Gegenden dieser Welt teilen. Doch offensichtlich funktioniert das nicht. Siehe oben: Wir haben ein Verteilungsproblem.

Wirtschaftlich, politisch und kulturell sind die Unterschiede oft noch größer als die bloße Entfernung zwischen einem fruchtbaren Land und einer Halbwüste. Und so kommt es, dass beispielsweise mit Unterstützung durch eine fehlgeleitete Agrarpolitik die Eigenversorgung eines afrikanischen Landes zusammenbricht, weil Deutschland sein Hähnchenfleisch zu Billigpreisen dorthin verschifft.

Mit anderen Worten: Der Versuch, die ganze Welt zu ernähren, kann zu noch mehr Hunger und Versorgungsproblemen führen.

Aber wenn wir nicht die Welt ernähren, dann verhungern doch Menschen, oder?

Der afrikanische Kontinent ist im Mittel längst nicht so fruchtbar wie beispielsweise Mitteleuropa. Und wohl aus genau diesem Grund ist er auch nicht so dicht besiedelt. Das betrifft praktisch alle weniger fruchtbaren Regionen: Menschen leben traditionell dort, wo sie leben können und zwar von dem, was die Region hergibt. Großstädte mit ihren hohen Bevölkerungsdichten sind zur Nahrungsmittelversorgung stark auf ihr Umland angewiesen. Denn letztlich ist es nicht nötig, dass „wir die ganze Welt ernähren“. Wichtig ist, dass jede einzelne Region versorgt ist. Am effizientesten geschieht dies nur lokal. Nur eine lokale Produktion mit kürzesten Wegen ist nachhaltig.

Und weil sich die Regionen dieser Welt klimatisch, geologisch und kulturell so stark unterscheiden, ist der Versuch, die ganze Welt zu ernähren, zwecklos. Stattdessen sollten wir für jede Region ermitteln, was für sie die bestmögliche, sinnvollste und nachhaltige Ernährung ist.

Warum ein Fischerdorf mit zusätzlichen Mengen Weidefleisch versorgen? Warum einen Eskimo zum Fleischverzehr animieren, wenn ihm reichlich Fisch zur Verfügung steht? Warum die Massai zum Vegetarismus umerziehen?

Eine pauschaler, globaler Lösungsansatz zum Hungerproblem ist stets zum Scheitern verurteilt. Das zeigen Vergangenheit und Gegenwart. Die Folge sind Abhängigkeiten, Ausbeutung und Landraub, die das Problem eher noch verschärfen.

Also ist die Paläo-Diät gar nicht für jeden umsetzbar?

Es gibt keine „Die Paläo-Diät“. Die Steinzeiternährung ist ein Ernährungskonzept, das sich an der Evolution des Menschen und dessen Verträglichkeiten orientiert. Dabei wird ermittelt, was ihm gesundheitlich gut bekommt und was ihm schadet. Nirgendwo in der seriösen Forschung steht geschrieben, der Mensch sei auf Weidefleisch zum Überleben angewiesen. Durchaus richtig ist, dass Weidefleisch um ein Vielfaches gesünder ist als solches aus konventioneller Produktion. Und es ist nachhaltig, ökologisch verträglich und es schmeckt anders. Aber es ist zum Überleben nicht notwendig, denn es gibt noch andere Eiweißquellen – auf der ganzen Welt. Zumal niemand eine Steinzeiternährung für jeden Weltbürger gefordert hat, oder?

Die Frage sollte daher nicht lauten „Können wir mit Paläo die ganze Welt ernähren?“ Stattdessen sollten wir untersuchen „Wie kann ich diese Region mit gesunden, nachhaltig produzierten Lebensmitteln ernähren?“ Die Antwort beinhaltet meist den Abbau imperialistischer, globalisierter Strukturen und den Ausbeutungsstopp der sogenannten Drittweltländer durch die Industrienationen. Ganz, ganz selten lautet die Antwort auch: „Gar nicht.“

Formulieren wir die neue Frage abschließend noch einmal um:

Könnte jeder Mensch auf der Welt von nachhaltig produzierten Lebensmitteln leben, die für ihn gesund sind, so wie das in der Steinzeiternährung vorgesehen ist?

Mit anderen Worten: Das Leben von und mit echten Lebensmitteln. Dass das geht, davon bin ich überzeugt, ja. Noch geht das. Es könnte für den einen oder anderen etwas weniger komfortabel werden, Lebensmittel würden sicherlich teurer, wir würden vielleicht keine Bananen mehr importieren, aber grundsätzlich sollte die Erde das noch hergeben – wenn wir es richtig anstellen. Für Extremfälle wären gewiss noch Transporte nötig und um die Nachhaltigkeit des Systems sicherzustellen wären daher wohl Umsiedlungen unumgänglich. Dies betrifft streng genommen allerdings sehr reiche ebenso wie sehr arme Gegenden. Den Willen aller vorausgesetzt lässt sich das umsetzen, auch wenn es utopisch anmutet.

Nach aktuellem Stand wird die Weltbevölkerung um das Jahr 2050 mit rund 9 Milliarden Menschen ihren Höhepunkt erreicht haben. Es ist unmöglich, seriöse Aussagen darüber zu treffen, ob wir auch solch eine Menschenmenge noch versorgen können. Werden bis dahin wichtige Ökosysteme zusammengebrechen? Oder werden wir einen Durchbruch im Bereich der Energiekrise schaffen? Das wird die Zeit zeigen.

Die Forschung im Bereich der Energieerzeugung ist ein komplexes Problem, das viel Fachwissen erfordert. An der Lösung des Ernährungsproblems kann hingegen jeder Verbraucher jeden Tag aktiv mitarbeiten, indem er beim Einkauf die entsprechende Entscheidung für regionale und gegen Importprodukte trifft.

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