Diesmal fällt die Kolumne „Wahnsinn“ etwas länger aus. Die Länge hat dieses Thema jedoch mindestens verdient. Es handelt sich um das Ergebnis ausführlicher Recherchen, die ich Ende 2011 zu diesem Thema angestellt habe. Einen sehr kurzen Überblick gab ich bereits in diesem Videobeitrag.
Deutschle Bürger verbrauchen jährlich rund 1,5 Millionen Tonnen Geflügelfleisch. 19,3kg pro Kopf, um genau zu sein. Das entspricht weit über einer Milliarde Hähnchen. Der beliebte Vergleich in Fußballfeld-Dimensionen ergibt: Nebeneinandergedrängt bedecken diese Tiere insgesamt 4000 Fußballfelder. Das ist einfach unvorstellbar viel.
Natürlich müssen diese Tiere irgendwoher kommen. Hinlänglich bekannt ist, dass in der Geflügelzucht die im Volksmund sogenannte Massentierhaltung vorherrscht. 99% allen Geflügelfleisches stammt in Deutschland aus der industriellen Intensivmast, so die offiziell korrekte Bezeichnung.
Nach aktuellem Stand bringt diese Produktion systembedingt gravierende Probleme mit sich, die unsere gesamte Gesellschaft betreffen. Es handelt sich um massive negative Auswirkungen unter anderem in den Bereichen Tierschutz, Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft und Soziales. Betrachten wir diese Bereiche im Einzelnen:
Tierschutz
Seit 2002 ist der Tierschutz in Deutschland als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Und wer sich die ersten Paragraphen des Tierschutzgesetzes durchliest könnte den Eindruck gewinnen, dass es den Tieren eigentlich kaum besser gehen könnte. Doch schon wenige Zeilen weiter gibt es neben einem Hinweis auf eine „Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung“ zahlreiche Ausnahmen, die vornehmlich die sogenannten Nutztiere betreffen. Das Abschneiden von Schnäbeln und Schwänzen, das Abschleifen von Eckzähnen oder auch die Kastration von Tieren ist auch ganz ohne Betäubung gestattet. Dabei handelt es sich um Zugeständnisse an die Nutztierhaltung, die allerdings keineswegs so zwingend nötig sind, wie dies von Seiten der Tierhalter oft dargestellt wird.
Sicher, eingepferchte Schweine auf Spaltenböden würden sich aufgrund einer Verhaltensstörung gegenseitig die Schwänze abkauen und damit noch mehr Leid verursachen, als die Verstümmelung im Ferkelalter. Dies ist jedoch lediglich die Behandlung eines Symptoms. Denn würden die Schweine artgerecht gehalten, würden solche Verhaltensstörungen und dementsprechend Verletzungen in diesem Maß auch nicht auftreten. Wie sollte die Tierwelt sonst jemals ohne den Menschen überlebt haben?
Was wir im deutschen Tierschutzgesetz vorfinden, sind Zugeständnisse an die industrielle Tierhaltung. Die oben genannte Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung gestattet die Haltung von Masthähnchen bis zu einer Besatzdichte von 39kg pro Quadratmeter, das sind rund 23-26 Tiere. Effektiv haben diese Tiere teils weniger Platz als Legehennen in der berühmt-berüchtigten Kleingruppenhaltung.
In diesem Platzmangel stehen sie über die gesamte Mastdauer hinweg in ihrem eigenen Kot. Entzündungen der Füße sind dabei die Regel, ebenso wie starke Verschmutzung der Tiere mit Fäkalien. Geschlossene Ställe mit 40000 und mehr Tieren sind bei dieser Haltungsmethode der Durchschnitt, darin entwickeln die Vögel zahlreiche Verhaltensstörungen.
Aufgrund ihrer Zucht auf höchste Leistung erleiden die Tiere genetisch bedingt Erkrankungen des Bewegungsapparates. Es kommt zu mangelnder Knochenfestigkeit, eingeschränkter Lauffähigkeit mit Beinfehlstellungen und damit eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten. Auch Herz-Kreislauferkrankungen und plötzlicher Herztod sind fest eingeplanter Teil des Zuchtprogramms. Regulär sterben zwischen 5-9% der Hähnchen noch bevor sie eine Schlachtanlage erreichen. Zu Krankheiten wie Laufstörungen und den Herztoten kommt es bei diesen intensiv auf schnellsten Zuwachs gezüchteten Rassen selbst dann, wenn diese in Freilandhaltung leben. Es werden also gezielt kranke Tiere gezüchtet.
All dies, und das sind nur einzelne Beispiele, entspricht in Deutschland der Tierschutz-Nutzierhaltungsverordnung auf welche das Tierschutzgesetz verweist. Begründet wird dies von Seiten der Industrie dementsprechend zynisch mit „artgerechter Haltung“.
Aber was ist eigentlich artgerechte Tierhaltung?
Artgerechte Tierhaltung
Es gibt einen Streit darüber, ob Tierhaltung überhaupt artgerecht sein kann. Als alternativer Begriff wird tiergerechte Haltung genannt, denn beispielsweise die Art Wildschwein hat durchaus andere Bedürfnisse als die Unterart Hausschwein. Ganz gleich, welche Begrifflichkeit gewählt wird: Die Wissenschaft gesteht ein, dass es wesentlich einfacher ist, zu messen, wann es einem Tier schlecht geht als zu messen, wann es einem Tier gut geht. Verletzungen, Verhaltensstörungen und Schmerzen sind nunmal einfacher zu überprüfen als Glücklichkeit und Wohlbefinden.
Doch entgegen weitläufiger Annahmen weiß die Wissenschaft durchaus, wie die artgerechte Haltung von Hühnern aussieht. Und natürlich weiß sie noch viel besser, wie artgerechte Haltung nicht aussieht: Nämlich so, wie sie in der oben genannten Verordnung beschrieben ist.
Um beim Beispiel der Hühner zu bleiben, so wissen wir beispielsweise, dass diese natürlicherweise in Gruppen von 7-12 Tieren mit einem Hahn zusammen leben. Wir wissen, dass sie genügend Raum brauchen um ihre Verhaltensweisen auszuleben, ihren Tätigkeiten (Scharren, Futter suchen, Staubbaden etc) nachzugehen. Wir wissen, dass sie offene Wasserquellen (z.B. Wasserschalen) bevorzugen. Und wir wissen auch, dass sich in ihrer Schnabelspitze eines ihrer wichtigsten Sinnesorgane befindet.
In §2 des Tierschutzgesetzes steht geschrieben, wer ein Tier hält, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen. Er darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden.
Dass der Gesetzgeber unter dieser Voraussetzung dennoch die Inhalte der Nutztierhaltungsverordnung (von den Ausnahmen in §5 ganz zu schweigen) zulässt, ist schwer zu verstehen und nur mit einem Zugeständnis an die Agrarindustrie zu erklären. Es ist ein Zugeständnis wider besseres Wissen. Die Politik schaut weg angesichts offensichtlicher Tierquälerei: In der Geflügelhaltung ist das Kupieren der Schnäbel üblich, doch befindet sich in der Schnabelspitze ein hochemfindliches Sinnesorgan. Hier handelt es sich um Verstümmelung.
Dass selbst die Anstrengungen der Deutschen Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht, ein Netzwerk ehrenamtlich tätiger Anwälte und Richter, an diesen Misständen nur sehr, sehr langsam etwas ändern kann, zeigt, wie stark die sich hier gegenüberstehenden Mächte sind.
Und das, wo es bei weitem nicht nur um das Wohlergehen von Tieren, sondern um die Gefährdung der menschlichen Gesundheit geht.
Gesundheit
Denn das Innere einer konventionellen Hähnchenmastanlage ist eine höchst toxische Umgebung. Bioaerosoloe, Biotoxine und Stäube kommen hier in höchster Konzentration vor. Es handelt sich dabei um Gifte, die durch die Luft übertragen werden und sie überschreiten hier jegliche Grenzwerte. Einzelne Werte übersteigen den Durchschnitt normaler Außenluft um das über hunderttausendfache. Die Rede ist hier von in höchstem Maße gesundheitsgefährdenden Stoffen wie Staphylokokken (MRSA, antibiotikaresistente Bakterien), E. coli, Salmonella, Pseudomonas, Shigella, Neisseria, Haemophilus und anderen. Es verwundert kaum, dass seitens der hier arbeitenden Menschen die Zahl der Anträge auf Berufsunfähigkeit steigt.
Die äußerst toxische Luft ist jedoch keineswegs auf das Innere der Stallanlagen beschränkt. Denn zum Betrieb so einer Anlage gehört auch der Austausch der Luft – sonst würden die Tiere ersticken. Und so gerät die Luft nach draußen und die erhöhte Keimbelastung ist bis zu 500m weit messbar, je nach Windgeschwindigkeit auch weiter.
Eine der größten Quelle der luftgetragenen Gifte ist der Kot der Tiere. Dieser wird in vielen Fällen als Dünger auf den betriebseigenen Flächen ausgebracht und stellt somit weiter und über längere Zeit eine größere gesundheitliche Gefahr für die Umgebung dar.
Beim Transport der Schlachttiere werden die Transportfahrzeuge kontaminiert, dementsprechend finden sich höhere Konzentrationen dieser Bakterien in den PKW wieder, die hinter den Transport-LKW fahren.
Der Einsatz von Antibiotika ist in der sogenannten Massentierhaltung die Regel und besonders verbreitet in der Geflügelmast. Dass diese Antibiotika über den beschriebenen Weg durch Düngung mit Hühnerkot in unsere Böden gelangen, scheint nebensächlich angesichts der Tatsache, dass 25% der Masthähnchen mit MRSA besiedelt sind. Eine Übertragbarkeit vom Tier auf den Menschen ist nachgewiesen. Zwar scheint Tier-MRSA (noch) weniger gefährlich als die resistenten Bakterienstämme, die beispielsweise in Krankenhäusern gefunden werden. Jedoch besteht die Gefahr, dass Tier-MRSA das Resistenzgen in Krankenhäuser einbringt und so zur direkten Gefahr für Menschen wird. Jährlich sind zahlreiche Todesfälle durch MRSA bedingt. Hilfreich ist in dieser Situation sicherlich nicht, dass viele Tierärzte als Apotheker fungieren und so vom Verschreiben der Antibiotika direkt profitieren.
All diese Misstände bedrohen direkt die menschliche Gesundheit. Doch auf Umwegen schadet dieses Zuchtsystem langfrisitig weit mehr Menschen als sich in der Umgebung dieser Anlagen befinden. Die desaströsen Auswirkungen auf die Umwelt sind hunderte Kilometer weiter spürbar.
Umweltschutz
Die Emissionen aus Hähnchenmastanlagen belasten natürlich nicht nur Menschen, sondern auch andere Lebewesen. Da der Kot als Dünger auf die umliegenden Felder ausgebracht wird, verbreiten sich die Bakterien von dort aus weiter. Eine wesentliche Belastung stellt jedoch der sehr hohe Stickstoff- und Phosphorgehalt dar, der so die Böden belastet und das Grundwasser gefährdet. Weiterhin fallen hohe Ammoniak-Emissionen an.
Das in großen Mengen benötigte Futter wird zu einem großen Teil importiert, teilweise aus Südamerika wo für dessen Anbau auch Regenwälder abgeholzt werden. Als Futter kommt hier auch genetisch manipuliertes Soja in Frage.
Signifikant ist auch die Umweltbelastung durch erhöhtes Transportaufkommen in der Umgebung dieser Ställe.
Der Preis für die Hähnchen-Intensivmast wird allerdings nicht allein biologisch, also durch die Gesundheit von Mensch, Tier und Natur bezahlt. Sondern auch finanziell bezahlt die Mehrheit der Bevölkerung einen hohen Preis für dieses System.
Wirtschaft und Soziales
Mit Hilfe von Exportsubventionen sind deutsche Unternehmen in der Lage, billiges Fleisch auch in Ländern der dritten Welt zu verkaufen. Damit ruinieren sie die dortigen, lokalen Landwirte, die dem Preisdruck nich standhalten können. Sie zerstören so die Ernährungssouveränität anderer Länder. Zahlreiche afrikanische Länder erlitten Zusammenbrüche ihrer eigenen Geflügelmärkte. Stoppt ein solches Land den Import von Geflügel beispielsweise durch Zollerhöhungen, setzen IWF und Weltbank es unter Druck, indem sie Kredite verweigern.
Die Inhaber der Mastställe sind hingegen direkt abhängig von den großen Schlachthofbetreibern und müssen sich deren Preisdruck fügen. Bei stetig sinkenden Erzeugerpreisen für Geflügel ist oftmals fraglich, ob die gewaltige Investition in die Stallanlage sich je auszahlen wird. Die Rendite liegt selbst in guten Fällen häufig nur um 3% und lediglich rund ein Viertel der Landwirte schafft dies überhaupt; für alle anderen ist es ein Nullsummenspiel oder sie zahlen drauf.
Warum tun sie dies? Viele Landwirte, die in dieses Geschäft einsteigen, kennen die Erfolgsaussichten nicht und die Zahlen werden seitens der Industrie geschönt. Auch der Bauernverband scheint unkritisch jede Form von Wachstum zu befürworten und so werden viele mittelständische Betriebe in das Elend hinein beraten. Das Risiko liegt bei den Stallinhabern, den großen Gewinn hingegen machen die Schlachthofbetreiber.
Ist ein Landwirt erst einmal pleite, zieht er sich nicht selten ganz aus der Lebensmittelerzeugung zurück. Das bedeutet, dass es immer weniger unabhängige Bauern gibt und die Macht über die Nahrungsmittelversorgung sich weiter auf wenige global agierende Konzerne konzentriert.
Die Produktionsüberschüsse sind schon jetzt so groß, dass jede Erweiterung der Kapazitäten nur eine weitere Senkung der Preise zur Folge haben kann. Der Geflügelmarkt gleicht einer riesigen Blase kurz vor dem Platzen.
Durch das gewaltige Produktionsvolumen kann allein über die Menge des produzierten Fleisches der Preis so niedrig gehalten werden, dass die Durchsetzung des ökologischen Landbaus weiter gebremst wird. Prinzipiell wäre es möglich, sogenanntes Bio-Fleisch nicht signifikant teurer herzustellen. Die derzeit herrschende Diskrepanz im Preis findet ihre Ursache im Wesentlichen allein in der insgesamt geringeren Stückzahl im Bio-Landbau und nicht in den Produktionskosten selbst.
Tourismus-orientierte Regionen werden schwer von dem Imageschaden betroffen, den die Umgebung der Mastanlagen erleidet. Auch in der Umgebung gelegene Immobilien verlieren an Wert.
Bei all diesen Nachteilen, die die Intensivmast mit sich bringt stellt sich eine Frage:
Warum hat sich die industrielle Intensivmast überhaupt so stark verbreiten können?
Hauptursache dürfte eine seit Jahrzehnten völlig fehlgeleitete Agrarpolitik sein. Die Politik gibt eine Orientierung am Weltmarkt vor. Das heißt, dass deutsche Bauern letztlich beispielsweise mit brasilianischen Landwirten konkurrieren, die viel billiger produzieren können. Weiter angekurbelt wird das Problem durch die Exportsubventionen, die die Geflügelproduzenten erhalten. Rund 18 Millionen Euro Fördergelder erhalten Großschlachtereien in Deutschland jährlich ohne gesellschaftliche Gegenleistungen wie Beschäftigungssicherung oder Klimaschutz, Artenvielfalt oder Tierschutz.
Zugleich gibt es seitens der Politik kaum Anreiz für umweltschonendere Produktionsmethoden. Die Vermeidung von Tierqualen hat ebenso wenig Vorrang wie die Unterstützung kleiner, handwerklich arbeitender Betriebe. Die Untergrenze des Investitionsvoluments des BMELV (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz) liegt bei 20.000€. Das heißt, dass kleine Betriebe, die alternative Erzeugungsmodelle anwenden, in der Regel leer ausgehen. Über 90 Millionen Euro Investitionsförderung erhielten hingegen allein in 2008 Betriebe der Intensivtierhaltung. Alternative Haltungen und ökologische Betriebe gehen bei dieser Rechnung leer aus.
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, wie diese Missstände entstehen konnten: Sie wurden und werden staatlich und europaweit gefördert.
Warum können wir das nicht einfach abschalten?
Aus Sicht des Tierschutzes scheint die Lage zunächst offensichtlich: Die in den Mastställen vorherrschende Art der Haltung verstößt scheinbar gegen das Tierschutzgesetz. Zurückzuführen ist dies auf die Formulierungen in der Tierschutz Nutztierhaltungsverordnung, an die sich die Betreiber der Mastställe halten. Denn sie widerspricht in weiten Teilen grundsätzlichen Aussagen des Tierschutzgesetzes. Der Grund, warum dies nicht schon längst abgestellt wurde ist einfach: Tiere können nicht klagen. Niemand kann ihre Interessen wahrnehmen. Aus diesem Grund kämpfen Tierschutzverbände seit Längerem für ein Verbandsklagerecht, mit dem sie die Möglichkeit erhalten, gegen solche Verstöße vorzugehen. In vereinzelten Bundesländern wurde ein solches Recht bereits mehr oder weniger umfassend erstritten, aktuell wurde erst vor Kurzem (Ende 2011) eine recht starke Fassung solch eines Gesetztes in NRW verabschiedet. Dies ist ein wichtiger Meilenstein im Bereich des Tierschutzes.
Die direkt messbare Gefährdung der menschlichen Gesundheit betrifft letztlich nur wenige Menschen innerhalb und außerhalb der Anlagen signifikant und nachweisbar. Für eben diese Menschen gelten Sicherheitsanweisungen. Die darüber hinausgehende Gefahr der Entwicklung multiresistenter Bakterien wird seitens der Politik offenbar nicht ausreichend ernst genommen. Es handelt sich um ein wenig greifbares und der breiten Masse entsprechend schlecht vermittelbares Problem, somit ist es kaum wahlkampftauglich. Folglich sehen nur wenige Politker hier Profilierungspotential.
Dennoch gab es mitterweile Vorstöße einiger Landkreise, die für neue Anlagen sowohl Brandschutz- als auch Imissionsgutachten fordern. Beispielsweise im Emsland hat dies zumindest zu einer effektiven Verlangsamung neuer Genehmigungen für den Stallbau geführt. Es bleibt abzuwarten, ob sich durch diese Maßnahmen die weitere Ausbreitung von Hähnchenmastställen mittel- und langfristig verhindern lässt.
Auch die Belastung der übrigen Umwelt, so schwerwiegend sie auch ist, erfolgt zu indirekt als dass über diesen Weg eine zügige Abschaffung zu erreichen wäre. Die Umweltschäden sind zu individuell und von lokalen Gegebenheiten und Prozessen abhängig, sodass ein pauschaler Genehmigungsstopp aus Gründen des Umweltschützes derzeit nicht möglich ist.
Wirtschaftlich sind selbstverständlich auch die Interessen der Stallbetreiber zu beachten. Denn diese haben aufgrund der jeweiligen Genehmigungen hohe Investitionen getätigt. Ihre Stallanlage also nachträglich zu verbieten ist kaum praktikabel und schlecht zu verargumentieren. Durchaus möglich ist jedoch, dass sie aufgrund der Rechtslage im Bereich des Tierschutzes gezwungen werden, die Haltungsmethoden des Geflügels grundsätzlich zu verändern, was mit Sicherheit eine erhebliche Verringerung der Besatzdichten zur Folge hat. Allein dadurch liessen sich die wesentlichen Probleme in den übrigen Bereichen stark reduzieren, wenn auch nicht ganz beheben.
Ein sofortiger Stopp sämtlicher Subventionen und Fördergelder würde zumindest ein eindeutiges Signal an die gesamte Erzeugerkette senden. Jedoch wäre zugleich nötig, die bislang vernachlässigten, alternativen Haltungen zu fördern und Anreize zu geben, auf Modelle des ökologischen Landbaus umzusteigen. Eine Marktverzerrung durch Subventionen hat bereits stattgefunden. Ein unmittelbarer Stopp aller Subventionen hinterließe einen solch verzerrten Markt, daher ist zunächst eine gestützte Kurskorrektur nötig. Anschließend wäre eine schrittweise Senkung der Subventionen sicherlich hilfreich. Eine gesunde Landwirtschaft muss ohne fremde Hilfe auskommen können.
Es steht zu erwarten, dass die effektivsten Argumente gegen die derzeit praktizierte industrielle Mastgeflügelhaltung aus dem Bereich des Tierschutzes kommen. Durch ein Verbot der derzeitigen Haltungsform können effektiv die wichtigsten Probleme auf den Gebieten Tierschutz, Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft gelindert werden. Auflagen zum Beispiel allein im Umweltschutz oder ein Exportstopp von Billigfleisch kämen lediglich einer Symptombehandlung gleich. Allein die Beendigung der tierschutzwidrigen Geflügelzucht gereichen, um in der Folge, auch durch die Preiserhöhung, alle weiteren Probleme einzugrenzen.
Lösungsansätze
Ein sofortiger und vollständiger Ausstieg aus der industriellen Geflügelhaltung ist derzeit unwahrscheinlich. Zu desaströs wären die wirtschaftlichen Auswirkungen, zu stark ist dementsprechend auch die agrarindustrielle Lobby, die sich sehr erfolgreich zu wehren weiß, auch ohne die fundierten Argumente aus den Bereichen Tierschutz, Gesundheit, Umwelt und Wirtschaft zu widerlegen. Wenn also keine unmittelbare Abkehr vom derzeit vorherrschenden System stattfinden kann, stehen denn Mittelwege zur Verfügung?
Durchaus. Die größte Hoffnung macht an dieser Stelle der ökologische Landbau nach EG-Öko Richtlinie. Für die Mastgeflügelhaltung sieht er bei reiner Stallhaltung eine maximale Besatzdichte von 21kg/qm oder 10 Tiere pro qm vor. Dies kommt einer Halbierung der Besatzdichten gleich und bedeutet für die Tiere eine signifikante Verbesserung der Lebensbedingungen. Zugleich verringert sich die Keimbelastung der Luft und auch die pro Fläche anfallende Kotmenge trägt zu einer Entspannung der Umweltauswirkung bei. Weiterhin ist das Kupieren der Schnäbel bei dieser Haltungsform verboten und viele Details, die dem Schutz der Tiere dienen, sind klar geregelt. Es gilt ein Gebot zur Verwendung „langsamer“ wachsender Rassen und die Tierzahlen sind begrenzt.
Dennoch fällt auf, dass die Mastgeflügelhaltung nach EG-Öko-Richtlinie als artgerechter bezeichnet wird. Die konventionelle Zucht hingegen wird artgerecht genannt. Man möchte meinen, es gäbe keine Steigerung von artgerecht. Dementsprechend fällt bei genauer Betrachtung der EG-Öko Richtlinien auf, dass es sich auch hier nicht um wirklich artgerechte Haltung nach wissenschaftlichem Kenntnisstand handelt. Besonders deutlich wird dies beim Blick in Bio-Hähnchenmastställe, die noch immer mehrere tausend Tiere auf engem Raum beherbergen.
Der Ökologische Landbau nach EG-Öko Richtlinie stellt also eine wesentliche Verbesserung der Haltungsbedingungen für Tiere dar. Aber er kann nur ein erster Schritt sein auf dem Weg, wirkliches Tierwohl in der Nutztierhaltung zu erreichen. Auf einem Wachstum der Bio-Branche kann man sich kaum ausruhen und selbst einer 100%igen Umstellung des Marktes auf EG-Öko Richtlinien müssen zwingend weitere Verbesserungen zugunsten von Tieren und Umwelt folgen. Dies zeigt auch die wachsende Verbreitung biologischer Anbauverbände, die in ihren Richtlinien stellenweise deutlich strengere Forderungen an die Tierhaltung stellen.
Je größer der Bio-Markt wird, desto mehr steigt auch hier der Preisdruck und dementsprechend die Neigung, mit den Haltungsbedingungen immer weiter an das zulässige Limit zu gehen. Schon lange finden auch im ökologischen Landbau bedenkliche Spezialisierungen auf einzelne Tiere statt, Stallanlagen für Bio-Legehennen sind dadurch äußerlich für Laien oft kaum von konventionellen Ställen zu unterscheiden. Fest steht, dass es auch im Bio-Bereich Landwirte gibt, die jede Lücke im System auf Kosten des Tierwohls ausnutzen und das Bio-Siegel allein zur Profitmaximierung nutzen. Am Anstand einzelner Menschen können auch noch so strenge Richtlinien nichts ändern. Gesetzliche Regelungen könnten jedoch helfen, wenigstens das Schlimmste zu verhindern.
Bezüglich der sogenannten Öko-Bilanz muss eingestanden werden, dass das System der Intensivmast bezüglich der Nahrungsmittelverwertung unvergleichlich effizient ist. Nirgendwo sonst wird eine Futterumsetzung von 1,6:1 erreicht. Das heißt, aus 1,6kg Futter entstehen 1kg Hähnchen. Auch in Bezug auf die Nährstoffretention (Einbau von Nährstoffen in den Tierkörper), sucht die Intensivmast ihresgleichen. Den Preis für diese beachtliche Effizienz zahlen letztlich die Tiere, die so schnell wachsen, dass sie kaum laufen können und regelmäßig an Kreislaufversagen sterben. Auch den Vergleich im Bereich der Energie-Effizienz gewinnt eindeutig die Intensivmast. Bezogen auf die Fläche ändert sich das Bild, beispielsweise betragen die Ammoniak-Emissionen von Ökobetrieben nur ein Viertel derer der Intensivmast.
Würden sämtliche heute hergestellten Hähnchen nach EG-Öko-Maßgaben hergestellt, käme es sicherlich zu einer massiven Zusatzbelastung der Umwelt durch höheren Energie- und Futtermittelbedarf. Doch es ist keineswegs nötig, überhaupt so viele Hähnchen zu produzieren, wie dies derzeit getan wird.
Dann gibt es noch die vielen Alternativlösungen wie mobile Hähnchenställe: Bei diesem Modell wird der Stall in relativ kurzen zeitlichen Abständen regelmäßig weiterbewegt. Die Hähnchen bekommen so stets Zugriff auf frisches Grünland, und die Bäden werden nicht mit dem anfallenden Tierkot überlastet. Der Arbeitsaufwand für diese Art der Produktion ist wesenlich höher, doch viele Konsumenten sind bereit, für das entsprechend höherwertige Produkt auch mehr zu bezahlen.
Aus Sicht der Industrie stehen einer sofortigen, deutschlandweiten Umstellung aller Betriebe auf EG-Öko-Niveau die dann stark sinkenden Produktionsmengen im Weg. Der derzeitige Verbrauch von Mastgeflügel von 19,3kg/Kopf/Jahr könnte mit den aktuell bestehenden Bio-Kapazitäten in der Tat nicht gedeckt werden. Fraglich ist jedoch, ob eine so hohe Produktion überhaupt nötig ist. Einerseits erhöhen Billigprodukte selbstverständlich künstlich den Absatz, andererseits werden in Deutschland rund die Hälfte der Lebensmittel weggeworfen. Von einem echten Bedarf kann bei der oben genannten Menge demnach kaum die Rede sein.
Letztlich würde bei einer vollständigen Umstellung der Hähnchenzucht auf ökologischen Landbau der Geflügelpreis für den Endverbraucher steigen. Wissenschaftler der Universität Göttingen schätzen auf Basis einer umfangreichen Literaturauswertung, dass das Marktsegment der interessierten und zahlungsbereiten Verbraucher 20% der deutschen Bevölkerung beträgt. Jedoch wird genau dieses Potential lediglich zu rund 2-3% genutzt. Als Grund wird häufig das Fehlen eines transparenten und glaubwürdigen Tierschutzlabels genannt. An genau solch einem Label wird derzeit gearbeitet, die Ergebnisse sind abzuwarten.
Festzuhalten bleibt auch, dass die derzeitige Preisdifferenz zwischen konventionellen und Bioprodukten ihre Hauptursache in den produzierten Stückzahlen findet. Je höher die abgesetzten Stückzahlen von Bio-Produkten steigen, desto mehr können Betriebe die Vorteile größerer Stückzahlen über die gesamte Wertschöpfungsketten nutzen. Die Preisvorteile manifestieren sich dann auch für die Verbraucher.
Und was kann der Verbraucher tun?
Es gibt drei einfache Dinge, die jeder Verbraucher tun kann, um dabei zu helfen, die systematische Gefährdung von Mensch, Tier und Natur zu stoppen:
1. Weniger und seltener Fleisch kaufen
2. Ausschließlich Produkte aus tiergerechter Haltung kaufen
3. Regionale Produkte bevorzugen
Bei jedem Gang zur Kasse trifft der Verbraucher eine Wahl. Geldscheine werden zu Wahlscheinen und die Waren im Korb sind die Kreuze auf dem Wahlzettel. Es ist ganz einfach: Wenn eine Ware nicht gekauft wird, führt dies mittelfristig dazu, dass sie nicht mehr hergestellt wird. Wird stattdessen eine andere Ware gekauft (zum Beispiel Bio-Hähnchen), dann wird deren Produktion erhöht.
99% des in Deutschland erhältlichen Geflügels stammt aus der industriellen Intensivmast. Daran ändern auch die auf den Verpackungen abgedruckten Bilder von Bauernhofidylle und lächelnde Hähnchen oder Schlagworte wie „Wiese“, „Glück“ oder „Land“ nichts. Echte, nach EG-Öko-Richtlinien produzierte Ware im Supermarkt zu finden, kann schwierig sein. Das EG-Öko-Siegel hilft dabei.
Fazit
Es ist nicht damit zu rechnen, dass die industrielle Haltung von Tieren von heute auf morgen abgeschafft wird. Doch jeder Schritt weg von der industriellen Fleischproduktion und sei er auch hin zur nicht-perfekten Lösung „Bio“ ist ein Schritt hin zu mehr Schutz für Tier, Umwelt, Mensch und Wirtschaft.
Der Bürger wählt in seiner Rolle als Verbraucher mit jedem Cent, den er ausgibt. Wer das billigste Fleisch aus konventioneller Haltung kauft, unterstützt aktiv die industrielle Massentierhaltung und befürwortet dieses System des Umgangs mit Tieren.
Kommentar
Jeder Mensch ist für seine Taten selbst verantwortlich. Sich zum Tierschutz zu bekennen und im nächsten Moment das billigste Fleisch aus der Kühltheke zu angeln kommt Schizophrenie gleich. Oft wird dann als Argument das Geld vorgeschoben. Der Verbraucher vergisst gerne, dass er kein Fleisch essen muss. Es gibt mehr als eine Alternative zu Fleisch aus Intensivmast: Artgerecht erzeugtes Fleisch oder kein Fleisch. Letzteres ist auch für die knappste Haushaltskasse erschwinglich. Und es hilft beim Vermeiden des unangenehmen Gefühls kognitiver Dissonanz, das entsteht, wenn der Mensch entgegen seiner Überzeugung handelt.
Wenn Sie eine Alternative zur Supermarktware suchen, werden Sie vielleicht hier fündig: Adressen von Hofläden.
Einige Quellen und weiterführende Informationen:
Hähnchenmastanlage gefährdet Gesundheit: Giftige Kornkammer – taz.de
Massentierhaltung: Hühnertod im Akkord – Panorama – Stuttgarter Zeitung
Dr. Hermann Focke: Die Natur schlägt zurück
Keine Chicken schicken | Aktuelles – Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)
Neue Züchtung Zweinutzungshuhn : Fleisch und Eier in einem – taz.de
BAT, Beratung Artgerechte Tierhaltung e.V.
Hühnermobil : ein einzigartiger mobiler Hühnerstall für Legehennen und Mastgeflügel
CONVERIS Forschungsdatenbank Kurztitel: Modellvorhaben Geflügel
Deutsche Juristische Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V.
oekolandbau.de | Kosten der ökologischen Mast von Hühnern
oekolandbau.de | Geflügelmast: Rahmenbedingen durch die EG-Rechtsvorschriften
Massentierhaltung spaltet Norddeutschland | NDR.de – Regional
Montagsinterview mit Eckehard Nieman: „Bäuerlich ist ein Kampfbegriff“ – taz.de
Wie die EU Ghanas Geflügelwirtschaft zerstört
Bauernhahn statt Turbohuhn | Wer glückliche Hühner will, muss sich selbst darum kümmern.
PROVIEH – Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V. | respekTIERE leben
Ein Großteil meiner Daten habe ich aus Studien und Gutachten verschiedener Universitäten und anderer Institute bezogen, auf die eine direkte Verlinkung leider derzeit nicht möglich scheint.
Besonders geholfen haben mir bei der Suche nach Informationen: Dr. Wöhr (Ludwig-Maximilian-Universität), Dr. Baumgart-Simons (Menschen für Tierrechte e.V.), Dipl.-Ing. agr. M. Sc Marion Staak (Universität Kassel), Stefan Johnigk (PROVIEH e.V.). Herzlichen Dank!
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