Zum Inhalt springen

Knochenbrühe: Balsam für Körper und Geist

Knochenbrühe im EntenrisottoKnochenbrühe ist ein nahrhaftes Getränk mit langer Tradition. Nachdem Berühmtheiten wie Gwyneth Paltrow und der Sportler Kobe Bryant ihren gesundheitlichen Wert erkannt und öffentlich darüber gesprochen haben, liegt der Trunk auch wieder im Trend. Doch was genau ist Knochenbrühe? Was sind ihre Vorteile? Wie bereitet man sie am besten zu? Und was hat Knochenbrühe mit dem traditionellen chinesischen Gericht Rippchen süßsauer und stillenden Müttern zu tun?

Kocht man Knochen in Wasser und entnimmt hinterher die Knochen, bleibt Knochenbrühe zurück. Beim Kochen der Knochen findet ein Nährstoffaustausch statt: Aromen, Mineralstoffe und Proteine lösen sich aus den Knochen ins Wasser und verwandeln es in eine nahrhafte und schmackhafte Brühe. So schmackhaft, dass Menschen in New York dafür an einem kleinen Fenster Schlange stehen. Der Koch von Marco Canoras brodo serviert dort Brühe. Dreizehn Stunden täglich.

Doch Menschentrauben bilden sich auch um Schnellrestaurants, Schlägereien und Schlussverkäufe. Popularität in der Masse ist kein Qualitätsmerkmal. Steckt hinter der Knochenbrühe mehr?

Warum Knochenbrühe trinken?

Eine Tasse heißer Knochenbrühe gehört zu den kleinen Wundern des Küchenalltags. Viele empfinden sie als Hochgenuss und als zutiefst befriedigend und sättigend, was den wertvollen Inhaltsstoffen geschuldet ist. Viele Soßen auch der gehobenen Küche wären ohne sie undenkbar. Knochenbrühe verleiht Soßen und Suppen unverkennbare geschmackliche Tiefe. Zu meinen denkwürdigsten Mahlzeiten des vergangenen Jahres gehört mein Entenrisotto: Es bestand aus nicht mehr als ein wenig Zwiebel und Möhre, Reis und der Brühe aus dem Skelett eines Entenbratens. Eine gute Brühe ist die geschmackliche Essenz des ursprünglichen Lebensmittels.

Die Tradition des Brüheverzehrs ist seit prähistorischen Zeiten Teil unserer Ernährung und sie dient auch der Gesundheit. Knochenbrühe ist bis heute fester Teil asiatischer Essgewohnheiten. In China verschreiben Ärzte sie als Medizin und zur Stärkung des Immunsystems.

Hervorzuheben ist die reichlich enthaltene Gelatine, welche sich im überwiegend verzehrten Muskelfleisch weniger findet. Durch ihre Zusammensetzung wirkt Knochenbrühe kräftigend; viele von uns kennen noch Mutters oder Großmutters Angewohnheit, zur Grippezeit Brühe zu servieren. Einige Menschen setzen Knochenbrühe zur Darmheilung ein und auch viele Fans der Paleo-Diät oder Steinzeiternährung schwören darauf.

Mark Sisson weist in einem Beitrag auf weitere Vorteile hin: Demnach helfe das Getränk bei der Linderung von Arthroseschmerzen und könne die Schlafqualität verbessern. Auch soll eine spezifische Aminosäure der enthaltenen Gelatine spezifische Nachteile des Fleischverzehrs kontern. Zu erwähnen ist allerdings auch ein unter Umständen möglicherweise erhöhtes Risiko von Nierensteinen.

Entgegen weitläufiger Annahmen ist der Kalziumanteil in Knochenbrühe meist relativ gering. Grund dafür ist der pH-Wert: Nur selten ist die Flüssigkeit ausreichend sauer, um nennenswerte Mengen Kalzium aus den Knochen zu lösen.

Für den toskanischen Metzger Dario Cecchini ist das Trinken der Knochenbrühe eine Selbstverständlichkeit bei der respektvollen Verwertung des Tierkörpers. Deswegen ist sie fester Bestandteil seiner Restaurantmenüs. Damit verweist er auf weitere wesentliche Aspekte der Knochenbrühe: Nachhaltigkeit und Ökonomie. Der Anstand gebietet die optimale Verwertung eines zum Essen getöteten Tieres. Nur rund 40% der Masse eines lebenden Rindes landen am Ende als Fleisch auf dem Teller. Wer die Knochen zum Essen verwendet, erweist dem Tier auch posthum Respekt und spart dabei noch Geld.

Wer Knochenbrühe herstellt und konsumiert, handelt also im Sinne der Nachhaltigkeit, tut etwas für seine Gesundheit und ermöglicht sich einen potenziellen Hochgenuss. Einsteiger stellen sich nun vielleicht die Frage:

Wie macht man (die beste) Knochenbrühe?

Das Grundprinzip der Knochenbrühe ist einfach: »Fülle einen Topf fast voll mit Knochen, fülle den Rest mit Wasser bis fast zum Rand und bringe alles zum Kochen. Reduziere dann die Temperatur und simmere für mehrere Stunden.«

Das Resultat ist eine Knochenbrühe. Allerdings gibt es hier zahlreiche Variablen, mit deren Hilfe man das Ergebnis optimieren kann. Möchte man möglichst viel Geschmack und Nährstoffe extrahieren, ist folgendes wissenswert:

Zur Dauer des Kochens: Die Lösung der Gelatine erfolgt nahezu linear. Je länger man kocht, desto mehr Gelatine gelangt aus den Knochen ins Wasser. Das gilt mindestens für die ersten acht Stunden. Laut McGee sind dann allerdings erst 20% der Gelatine aus den Knochen gelöst. Es sei mit einem Abflachen der Kurve zum Ende hin zu rechnen. Mineralstoffe lösen sich hingegen bereits nach vier Stunden kaum noch in die Brühe.

Für die Kochdauer empfehlen sich demnach mindestens vier Stunden. Theoretisch wäre erst nach frühestens 40 Stunden die gesamte Gelatine gelöst, wobei dies auch abhängig von der Art der Knochen ist. Behält man einen Blick auf Energiekosten und Praktikabilität, bietet sich an, die Knochen früh morgens anzusetzen und abends den Vorgang zu beenden. So erreicht man je nach Zeitplan eine Kochzeit von rund 12 Stunden. An dieser Stelle kann man die Brühe durchseihen/sieben und abfüllen. Wer mag, kann den Vorgang am nächsten Tag mit den gleichen Knochen erneut durchführen und mehr Gelatine, allerdings kaum noch Mineralstoffe extrahieren.

Kalzium aus Knochen extrahieren: Um nennenswerte Kalziummengen aus den Knochen zu ziehen, ist Wasser nicht sauer genug. Der in Brüherezepten häufig empfohlene Schuss Essig im Wasser löst das Problem nur ansatzweise. Für maximale Extraktion müsste der pH-Wert entschieden niedriger liegen. Dennoch decken stillende Mütter in China ihren erhöhten Kalziumbedarf traditionell überwiegend mit dem Kalzium aus gekochten Tierknochen. Möglich machen dies die Rezepte ihrer traditionellen Esskultur. In Gerichten wie Schweinreippchen süßsauer garen sie das Fleisch mit Knochen in verdünntem Essig (75ml Reisessig auf 150ml Wasser) und erreichen so insgesamt einen pH-Wert von etwa 3,2. In der Folge löst sich genügend Kalzium aus den Knochen, um ihre Versorgung sicherzustellen.

Solch starke Säure ist für Knochenbrühe meist nicht wünschenswert. Alternative könnte man die Knochen Anfangs in eine geringe Menge konzentrierten Essigwassers legen, so ausreichende Säure sicherzustellen und später Wasser hinzufügen und kochen. Anstelle von Essig empfehle ich einen Rotwein, der ebenfalls ausreichend sauer ist und den Vorteil weiterer erfreulicher Aromen mit sich bringt. Eine weitere Variante ist die Zugabe von saurem Gemüse wie etwa Tomatenhäuten oder passierten Tomaten zur Senkung des pH-Wertes. Oder man verzichtet einfach auf maximale Kalziumextraktion und erfreut sich an der leichter erreichbaren Gelatine.

Laut McCance, Sheldon, Widdowson scheinen sich die Mineralstoffe (Salze) aus Knochen besser bei Zimmertemperatur zu lösen. Diese Forscher resümieren allerdings auch: »Brühen zeigen sich im Vergleich zu Milch hinsichtlich des Kalorienwertes und der Salze [Mineralstoffe] äußerst unvorteilhaft.« Aus der reduktionistischen Perspektive des Nährstoffismus ist das überzeugendste Argument der Knochenbrühe demgemäß die Gelatine.

Unklar ist derweil, wie wir etwaiges, in die Brühe gelangtes Kalzium verstoffwechseln. »Auch die chinesische Methode des Kauens und Lutschens kleiner Knochenstücke während des Essens könnte den Anteil dieser Elemente erhöhen« schreiben Hoh, Williams, Pease.

Weitaus mehr Mineralstoffe als aus Knochenbrühe bekommt man einfach aus Gemüsebrühe. Das Hantieren mit der Säure scheint angesichts der geschmacklichen Nachteile (nicht jeder Wein reagiert auf Hitze vorteilhaft) und des ohnehin relativ geringen Potenzials kaum lohnend.

Den Geschmack der Knochenbrühe vertiefen: Röstet man die Knochen vor dem Kochen im Ofen an, erhält man komplexere Aromen (unter anderem durch die Maillard-Reaktion). Dafür legt man die Knochen auf ein Blech (nicht stapeln) und backt dieses bei rund 200°C, bis sie stellenweise dunkelbraun, jedoch nicht schwarz sind. Das dauert in der Regel wenigstens eine halbe Stunde.

Welche Knochen eignen sich am besten für Knochenbrühe? Stellt man Gelatine als zentrale Eigenschaft der Brühe heraus (was hinsichtlich Geschmack und Nährstoffen berechtigt ist), lohnt sich ein Blick auf die zu bevorzugenden Knochen: Gelenke, Knorpel, Wirbel, Schwanz, Füße, Haxen und Kopf enthalten am meisten Gelatine und sorgen für besonders reichhaltige Brühe. Der Gelatinegehalt ist darüber hinaus abhängig von der Spezies und vom Alter des Tieres.

Sollte man Knochenbrühe würzen? Eine gewürzte Knochenbrühe schränkt die Flexibilität ein. Bereitet man große Mengen vor und weckt oder friert diese ein, steht der finale Verwendungszweck nicht immer fest. Sinnvoller ist daher, die Brühe oder das entsprechende Gericht erst bei der Zubereitung zu würzen.

Muss Gemüse in die Knochenbrühe? Nährstoffe aus Gemüse sind spätestens nach einer Stunde extrahiert. Kocht man Gemüse länger, besteht die Gefahr eines sich verschlechternden Geschmacks (die Brühe kann bitter werden). Es empfiehlt sich auch aus praktischen Gründen, eine Gemüsebrühe separat zuzubereiten.

Muss man den Abschaum entfernen? Beim Knochenkochen bildet sich meist ein grauer Schaum auf der Wasseroberfläche. Dieses ausgetretene Eiweiß kann die Brühe später trüben. Wer sich eine klare Brühe wünscht, sollte ihn entfernen. Eine geschmackliche Beeinträchtigung konnte ich bislang nicht nachvollziehen.

Zusammenfassung: Die beste Knochenbrühe

Die genannten Anmerkungen zeigen, dass es auch hier stets nur einen Kompromiss geben kann. Folgende Anleitung scheint ein guter solcher zu sein:

  1. (Optional: Knochen (evt. am Vorabend) im Ofen rösten.)
  2. Knochen dicht in einen Kochtopf packen.
  3. Den Topf mit Wasser füllen bis es die Knochen bedeckt.
  4. Das Wasser zum Kochen bringen, dann zum Simmern reduzieren.
  5. (Optional: Innerhalb der ersten Stunde den Abschaum abschöpfen.)
  6. Nach 8-12 Stunden die Hitze ausschalten.
  7. Die Knochen entfernen und die Brühe durch ein Sieb in den/die Zielbehälter geben.
  8. Beim heiß Abfüllen sofort verschließen und so einwecken.
  9. Andernfalls abkühlen lassen und im Kühl- oder Gefrierschrank lagern.
  10. Oder sofort trinken.

Diese Anleitung ist ein Kompromiss zwischen maximalem Nährstoffgehalt und Praktikabilität. Man könnte am nächsten Tag mit den gleichen Knochen Schritt 2 – 4 und 6 – 10 wiederholen. Möchte man zumindest ein wenig Kalzium aus den Knochen bekommen, gibt man anfangs zum Wasser einen guten Schuss Essig oder Wein hinzu.

Einigen Berichten zufolge lassen sich die Knochen zur Gelatinegewinnung vier bis fünf Mal verwenden. Das deckt sich mit der Datenlage zur Extraktionsrate (fünf mal acht Stunden). Meiner Erfahrung nach lohnt es sich geschmacklich kaum, die Knochen mehr als zwei mal acht Stunden zu kochen. Beispiel: Aus dem Skelett eines Entenbratens bekomme ich nach jeweils acht Stunden Kochzeit beim ersten Mal eine stark aromatische Brühe, die sehr fest gelatiniert und nach dem zweiten Durchgang eine hellere, weniger intensiv schmeckende und weichere Gelatine. Nach dem dritten Durchgang bleibt eine schwache Suppe übrig die ein wenig Gelatine enthalten mag, jedoch den Aufwand kaum Wert scheint.

Was wir im Supermarkt als Brühe zu kaufen finden, ist selten Knochenbrühe und oft lediglich aromatisiertes Wasser. Kommerzielle Anbieter von Knochenbrühe sind rar gesät. Das motiviert zur eigenen Herstellung – Knochenbrühe ist ein einfaches Rezept für Einsteiger.

Ist Knochenbrühe noch ein Teil Ihrer Esskultur? War sie immer Bestandteil der Familientradition? Hätten Sie andernfalls Lust, diese gesunde Angewohnheit zum Teil ihrer Ernährung zu machen? Teilen Sie ihre Geschichte in den Kommentaren weiter unten.

Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.