Dass zu viel Zucker nicht gesund sei, gehört beinahe zur Volksweisheit. Wer sich näher mit der Thematik befasst, erfährt entsprechend viel über die teils schwerwiegenden Nebenwirkungen des Zuckerkonsums. Besonders in der Vollwerternährungs-, Rohkost- oder auch Paleo-Szene ist Zucker der Sündenbock, das Böse in Weiß. Es scheint etwas dran zu sein: Zu viel Zucker ist ungesund. Aber: Ist Zucker Gift?
Ist Zucker giftig?
Die Behauptung, dass Zucker – gemeint ist zunächst der handelsübliche Haushaltszucker, im nächsten Schritt aber prinzipiell jede Art Sucrose (eine Glucose-Fructose-Verbindung) und in der Regel auch Fructose – giftig sei, mag ihre Ursache in zwei Fakten finden:
1. Zucker ist nicht nur statistisch, sondern kausal direkt an der Entstehung schwerer Erkrankungen von Übergewicht über Bluthochdruck zu Diabetes und einer weiteren Vielzahl von Zivilisationskrankheiten beteiligt.
2. Zucker ist für den Menschen nicht lebensnotwendig, er ist kein essentieller Nährstoff.
Zucker ist also unnötig und potentiell schädlich. Wer in seiner Freizeit über Risikomanagement nachdenkt, kommt daher wohl zwangsläufig zu dem Schluss, ihn besser einfach gar nicht zu essen.
Begründungen, Beschreibungen und Wirkungswege zu beiden genannten Fakten finden Sie übrigens hier (keine Sorge, dort finden Sie auch Verweise auf externe Seiten, Studien und Verzeichnisse):
Die Situation scheint demnach eindeutig. Aber kann man Zucker wirklich als Gift bezeichnen?
Was ist ein Gift?
Schauen wir nicht in die Wikipedia (die dies bestätigt, jedoch keinen einwandfreien Ruf hat), sondern in den Duden (der ebenfalls nicht das Maß der Dinge ist, aber dennoch unerklärlich hohes Ansehen genießt), finden wir folgende Definition:
Gift, das: in der Natur vorkommender oder künstlich hergestellter Stoff, der nach Eindringen in den Organismus eines Lebewesens eine schädliche, zerstörende, tödliche Wirkung hat (wenn er in einer bestimmten Menge, unter bestimmten Bedingungen einwirkt)
Oder das Oxford Dictionary:
poison: a substance that is capable of causing the illness or death of a living organism when introduced or absorbed:
Die Definition eines Giftes ist demnach kaum strittig. Zucker ist ein Gift. Denn wenn man eine bestimmte Menge davon isst, hat er eine schädliche Wirkung.
Was ist nicht giftig?
Dosis sola venenum facit – „Die Dosis macht das Gift,“ schrieb Paracelsus, der Vater der Toxikologie (Giftkunde). Das ist vielen bekannt. Interessanter ist, was er noch schrieb: „Alles ist Gift, es ist Gift in allem.“
Wasser ist giftig
Dass man sich sogar mit Wasser vergiften könne, hat längst Einzug in Wissenschaftsformate im Fernsehen gefunden. Wer zu viel Wasser trinkt, kann an einer Hyponaträmie sterben. Das Stichwort lautet „zu viel“. Zu viel ist per Definition zu viel. Das gilt für jeden Stoff, jedes Lebensmittel. Nüchtern denkende Lebensmittelchemiker wissen um die Unmöglichkeit, eine Ernährung zusammenzustellen, die keinerlei Schadstoffe oder giftige Komponenten enthält. Auch die Paleo-Ernährung ist da keine Ausnahme, da kann sie verbreitete Anti-Nährstoffe ausschließen, so viel sie will.
Brokkoli ist giftig
Nämlich dann, wenn man zu viel davon isst. Oder Spinat: Denn der enthält Oxalate, welche Nierensteine oder Gicht verursachen können.
Aber irgendetwas muss man ja essen. Der Körper braucht Energie und Nährstoffe. Wichtig ist, sich mit diesen zu versorgen, ohne sich zu vergiften. Zu essen, ohne von einem Lebensmittel so viel zu essen, dass es zu viel und damit giftig wird.
Wie viel Zucker ist zu viel?
Zucker – ab hier geht es um Tafelzucker/Haushaltszucker – besteht praktisch nur aus Kohlenhydraten und für die optimale Kohlenhydratmenge gibt es verschiedene Theorien, eine davon auch bei Urgeschmack:
Die genannten Zahlen könnte man direkt auf den Zucker beziehen. Jedoch bleibt festzuhalten: Zucker liefert nichts als Kohlenhydrate; leere Energie ohne jeglich Nährstoffe. Wer sein selbst gesetztes Kohlenhydratkontingent daher allein durch Zucker ausschöpft, kann sich kaum noch durch nährstoffreiches Gemüse und Obst versorgen.
Wir erinnern uns: Zucker ist nicht essentiell, er enthält keinen Nährstoff, den wir nicht anderswo auch bekämen. Überhaupt enthält er – je nach Sorte – nur wenige Nährstoffe.
Wie viel Zucker ist gesund?
Eine Frage, deren Beantwortung mir Unbehagen bereitet, weil Zucker keine gesundheitsförderlichen, sondern lediglich potentiell schädliche Wirkungen hat. Formulieren wir sie um: Wie viel Zucker ist OK?
Dies beantworte ich mit dem bereits oben genannten Artikel: Wie viel Kohlenhydrate soll ich essen? Kurz gefasst: Mehr als 150g Zucker sollte man im Normalfall pro Tag nicht essen und die meiste Zeit sollte man sich Erfahrungsgemäß höchstens im unteren zweistelligen Bereich aufhalten: 20-30g Zucker plus Kohlenhydrate aus Obst und Gemüse täglich scheint ein sicherer und zugleich für den Genuss praktikabler Wert zu sein. Wer ihn gelegentlich überschreitet, sollte keine Schäden davon tragen. Für Leistungssportler und körperlich schwer arbeitende Menschen kann dies anders aussehen, da sie in der Regel mehr Kohlenhydrate umsetzen.
Bei dieser Betrachtung wird auch klar, dass purer Zucker in erheblich geringeren Dosen schädlich ist als zum Beispiel die diversen Gemüsesorten. Dies zu erwähnen gebietet die Fairness.
Warum ist Zucker nicht Paleo?
Wenn Brokkoli ebenso in die Kategorie Gift fällt wie Zucker und eigentlich jedes andere Lebensmittel, warum wird gerade Zucker als „nicht Paleo“ betrachtet? In der Tat hat man ihn in der heutigen Form wohl in der Steinzeit nicht gehabt, aber das gilt ebenso für Brokkoli und fast jedes Gemüse, das wir heute essen. Ein Grund mehr, warum die historische Begründung der Steinzeiternährung unfug ist.
Auch der Grad der Zuckerverarbeitung, die Raffination muss (z.B. bei Vollrohrzucker) bei weitem nicht so stark erfolgen, dass dies zum Beispiel vom Gewinnen einer Knochenbrühe stark abweiche.
Wer ehrlich ist, wird feststellen, dass einige Zuckersorten nicht stärker verarbeitet oder „unnatürlicher“ oder unechter sind als viele der Lebensmittel, auf die wir eine weiße Weste projizieren.
Stattdessen prinzipiell zu Honig oder gar Agavensirup zu greifen mit dem Argument, diese seien viel gesünder oder viel natürlicher scheint daher naiv. Die ernährungsphysiologischen Auswirkungen sind sehr ähnlich und teilweise (wie im Falle des Agavensirups, welcher größtenteils aus Fructose besteht) sogar noch drastischer als die des Haushaltszuckers.
Wer also sorglos Honig verwendet, könnte genauso zu einem Zucker greifen.
Fazit
Ob Zucker Gift ist oder nicht, es bleibt dabei: Zucker ist für den Menschen nicht nötig, die meisten Haushaltszucker enthalten praktisch keinerlei Nährstoffe und nur leere Energie. Und Zucker ist potentiell schädlich. Und zwar bereits in signifikant geringeren Mengen als Gemüse.
Zugleich ist Zucker unersetzlich: Kulinarisch und kulturell. Nichts kann den Geschmack und die Eigenschaften des Zuckers zugleich ersetzen, seine Eigenschaften sind einzigartig. Ein Gebäck-Rezept mit Zucker wird ohne ihn niemals genau so funktionieren.
Es scheint: Wer sich den verantwortungsvollen Umgang zutraut, kann ihn in seinen Alltag integrieren und so normal mit ihm leben, wie mit Brokkoli, Karotte und Frühstücksei.
Zu einem solchen verantwortungsvollen Umgang gehört die Kenntnis seiner Gefahren, jedoch auch seiner Varianten und verschiedenen Ausführungen. Themen, um die es in diesem Folgeartikel geht: Welcher Zucker ist besser?
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