Das Konzept der Steinzeiternährung beschreibt eine Ernährung zur Förderung optimaler Gesundheit. Dies beinhaltet den Verzicht auf Getreideprodukte und Hülsenfrüchte, die Minimierung zugesetzter Zucker und Zusatzstoffe und praktisch auch den Verzehr von Milchprodukten. Viele Menschen haben mit dieser Herangehensweise großen Erfolg, sie nehmen ab, bleiben schlank, sind fit, werden ihre Zipperlein los. Aber ist die Steinzeiternährung wirklich sinnvoll?
Warum Steinzeiternährung?
Steinzeiternährung fasst auf den ersten Blick zusammen, wofür das Konzept steht: Eine Ernährung auf Basis der Evolutionsforschung, die versucht, jene Lebensmittel auf den Speiseplan zu setzen, auf die der Mensch genetisch optimal vorbereitet ist.
Und da der Mensch den größten Teil seiner Existenz in der Steinzeit verbracht hat, sollte seine damalige Ernährung auch heute noch die optimale für ihn sein. Der Ackerbau und somit der Verzehr größerer Mengen Getreide markiert das Ende der Steinzeit und somit lässt sich eine einfache Linie durch den Speiseplan ziehen. Außerdem gab es in der Steinzeit kaum Zucker und keine künstlichen Zusatz- oder Konservierungsstoffe. Also eine prima Beschreibung. Oder?
Leider nein. Denn eine derartige Argumentation wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Sollte man dann auch Regenwürmer essen? Müssten wir dann nicht alle auch mehr oder weniger regelmäßig hungern? Und von welchem Ort in der Steinzeit sprechen wir überhaupt – sicherlich haben die Menschen nahe der Küsten anders gegessen als im Inland. Und was genau haben sie eigentlich gegessen?
Das sind Fragen, die der Begriff Steinzeiternährung unmittelbar aufwirft. Und wenn wir heute unseren Blumenkohl zerlegen und im Topf kochen, ist das dann Steinzeiternährung? Müsste er nicht roh sein? Gab es überhaupt all die kultivierten Gemüsesorten?
Hinzu kommen die Lebensumstände und der unausweichliche Hinweis auf die geringe Lebenserwartung in der Steinzeit. 30 Jahre stehen im Raum, wobei dies vornehmlich der mutmaßlichen, großen Säuglingssterblichkeit geschuldet ist.
Und was ist mit den übrigen Lebensumständen? Rennen wir noch immer täglich vor Säbelzahntigern weg? Jagen wir Mammuts? Schleppen wir regelmäßig große Lasten, Wasser, Vorräte? Unsere Welt und mit ihr unser gesamtes Verhalten hat sich verändert. Ist eine Ernährung wie in der Steinzeit da noch angebracht, nötig, sinnvoll?
Es gibt keine Steinzeiternährung
Wir wissen, dass wir nicht alles über die Steinzeit wissen. Aber wir können vermuten. So können wir mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass die Ernährung in der Steinzeit nicht nur je nach Geographie und Klimazone verschieden war, sondern sich auch im Verlauf der Steinzeit über immerhin mehr als 2,5 Millionen Jahre verändert hat. Es gibt also nicht die eine Ernährung der Steinzeit. Ein Grund mehr, diesen Begriff sehr vorsichtig zu verwenden.
Mehr offene Fragen
Und was ist mit den Naturvölkern, die sich traditionell auch heute noch von reichlich (fermentiertem) Getreide ernähren und sich bester Gesundheit erfreuen? Was ist mit den Massai, die viel Milch konsumieren und daran ebenfalls noch nicht zugrunde gegangen sind?
Wären diese Lebensmittel so schädlich, wie einige Proponenten der Steinzeiternährung erklären, dann müssten diese Völker doch, besonders angesichts einer schlechteren medizinischen Versorgung, längst ausgestorben sein.
Was ist die Alternative?
Bei Urgeschmack verweise ich schon seit Langem eher auf eine „natürliche Ernährung“ als auf die Steinzeitdiät. Denn eine „natürliche Ernährung auf Basis nährstoffreicher Lebensmittel“ lässt sich flexibel an regionale und klimatische Gegebenheiten anpassen – die Grundlage für eine nachhaltige Ernährung. Und sie lässt die Vereinbarung mit individuellen Vorlieben und Erkrankungen zu. Sie ermöglicht auf Wunsch eine vegetarische Ernährung oder eine bei sorgfältiger Vorbereitung harmlose Verwendung von Hülsenfrüchten. Und auch der Verzehr von fermentiertem Getreide ist drin. Sie bedarf wesentlich weniger Erklärungen als der Begriff Steinzeiternährung.
Gewiss formuliert „natürliche Ernährung“ keinen so scharfen Verzicht auf Getreide und die enthaltenen Anti-Nährstoffe oder auch Milchprodukte. Das bedeutet jedoch auch, dass eben dieser Verzicht nicht direkt im ersten Atemzug einer Erläuterung bedarf. Das Konzept als Ganzes kann, so denke ich, mehr Menschen erreichen als die Steinzeiternährung und insgesamt die Volksgesundheit sehr effektiv positiv beeinflussen. Unterm Strich vermutlich in größerem Maße als die Steinzeiternährung dies vermag.
Fazit: Ist Steinzeiternährung sinnvoll?
Kurze, griffige Bezeichnungen für komplexe Konzepte sind meistens unpräzise, gereichen jedoch oft wenigstens, um das Konzept eindeutig zu vermitteln. Im Falle der Steinzeiternährung sehe ich dies nicht gegeben. Der Begriff wirft sehr viele Fragen auf, von denen sich einige nicht, vielleicht niemals beantworten lassen. Die entsprechende Argumentation führt in viele Sackgassen. Dadurch ist die Steinzeiternährung leicht angreifbar und fällt schnell dem Missbrauch zum Opfer.
Eine Alternative wie „natürliche Ernährung“ formuliert weniger scharf und ist somit am Individuum in Einzelfällen ggfs. weniger wirksam. Jedoch erreicht sie in weiten Teilen die gleichen Effekte und kann in der Masse besser wirken.
Videos
Passend dazu habe ich zwei Videos erstellt, die jeweils auf die Vorteile und Nachteile der Steinzeiternährung eingehen:
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