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Verursachen Vegetarier mehr Blutvergießen als Fleischesser?

Verursachen Vegetarier mehr Blutvergießen als Fleischesser?Die industrielle Produktion von Fleisch verschwende Ressourcen, schade der Umwelt und sei ethisch inakzeptabel, meinen viele Befürworter des Vegetarismus. Die einzige Alternative, der einzige Weg, den Planeten zu retten, sei, gänzlich auf Tierprodukte zu verzichten und ganz einfach ausschließlich pflanzliche Lebensmittel zu essen. Wer es sich so einfach macht, erliegt jedoch nicht nur einem Trugschluss, sondern er verschlimmert potentiell genau die Probleme, die er vermeiden will.

Ist Vegetarismus nicht besser für alle?

Es ist kaum bestreitbar, dass die industrielle Fleischproduktion der Umwelt schadet und ineffizient mit Ressourcen umgeht, also nicht nachhaltig ist. Außer Frage steht auch, dass sie viel Leid verursacht. Nämlich dann, wenn – meist aufgrund des systemimmanenten Preisdrucks – zum Beispiel die Sorgfalt bei der Schlachtung leidet.

Dass in der extensiven Weidehaltung ein in allen Punkten diametral gegensätzliches Modell der Tierhaltung besteht, ignorieren Proponenten des Veganismus oder Vegetarismus gerne. Und wenn dieses nachhaltige Konzept doch beachtet wird, heißt es dennoch, es sei für uns alle immer besser, Pflanzen zu essen. Weidehaltung bedeutet unter anderem, dass Rinder eben kein Soja oder Getreide essen, sondern nur Gras. Somit stehen sie nicht mit dem Menschen in Nahrungskonkurrenz. Der zuvor genannte Link erklärt die Details.

Aber der Anbau von Pflanzen ist doch viel besser für die Natur. Und töten muss man dabei auch niemanden. Oder?

Der größte Irrtum vieler Vegetarier und Veganer ist, dass für ihre Ernährung niemand sterben müsse. Bei konsequenter Umsetzung ist sicher richtig, dass für Veganismus kein Stück eines getöteten Tieres auf dem Teller landet. Dies lässt jedoch die Kollateralschäden der Pflanzenproduktion außer Acht. Und diese sind teils 25 mal höher als bei der Produktion von Weidefleisch, schreibt Professor Mike Archer von der UNSW Australia. Richtig gelesen: Pro kg nutzbaren Proteins aus Getreide werden hier unter Umständen 25 mal mehr fühlende Wesen getötet als durch nachhaltige Fleischproduktion. Mehr noch: Auch die Umwelt kann stärker unter der Pflanzenproduktion leiden. (Quellen dafür weiter unten. Unter den Quellen. Wie immer.) (Noch einmal: Wir sprechen hier von Weidefleisch. Das entsteht auf Grünland, einem effektiven Kohlenstoffspeicher, mit dessen Produkt – Gras – wir Menschen ernährungsphysiologisch nichts anfangen können. Viele Grünlandflächen sind nicht geeignet für den Ackerbau (und müssten dafür ohnehin umgebrochen werden, was die Zerstörung eines Ökosystems bedeutet und oftmals auch nicht mehr erlaubt ist.))

Wie kann das sein?

Da die größte Kritik der konventionellen Fleischerzeugung zukommt, schauen wir uns das verbreitete, das konventionelle Modell der Erzeugung pflanzlicher Lebensmittel an: Wie wird Soja, die gern und meist genannte Alternative zu Fleisch, angebaut? In Monokulturen. Das betrifft übrigens nich nur Soja, sondern sondern praktisch alle konventionellen Pflanzenanbausysteme: Es sind Monokulturen, denn anders lässt sich kaum effizient arbeiten. Auch Gemüse bauen wir in Monokulturen an. Selbst der Einsatz von Fruchtfolgen ändert nichts an der Tatsache, dass es sich wenigstens temporär um Monokulturen handelt. Für diese werden in der Regel bestehende Ökosysteme beseitigt, Grünland umgebrochen und in Acker verwandelt. Grünland ist jedoch ein natürliches Ökosystem und Heimat vieler vielfältiger Tier- und Pflanzenspezies, die so durch den Acker ihren Lebensraum verlieren.

Monokultur bedeutet, dass hektarweise immer ein und dieselbe Pflanze wächst, um bei der Pflege und der Ernte den Größenvorteil nutzen zu können. Gesunde Ökosysteme sind allerdings nie Monokulturen, denn diese sind anfällig: Wenn in einer Monokultur eine Krankheit ausbricht, sind in der Regel alle Pflanzen betroffen. Weiterhin mangelt es an Vielfalt, um das System zu stabilisieren. Die Mais- und Sojawüsten sind kein gesunder Lebensraum für Wildtiere und selbst Insekten können relativ wenig mit Monokulturen anfangen.

Der Anbau pflanzlicher Lebensmittel führt so zu Bodendegradierung, langfristig kann dies in Desertifikation enden. (Und noch einmal die Betonung: Das alles trifft natürlich auch auf die Futtermittelproduktion für die industrielle Rinderhaltung zu. Deswegen schließt dieser Beitrah sie schon weiter oben als gangbar aus.)

Sterben wirklich mehr Tiere durch Pflanzenanbau als durch Tierzucht?

Darüber hinaus kommen bei der Gemüseproduktion Herbizide, Pestizide, Insektizide und große Mengen synthetischen Düngers zum Einsatz, die allesamt eine schwere Belastung der Ökosysteme darstellen und direkt für den Tod von Tieren verantwortlich sind.

Der renommierte Ethiker Peter Singer sagt, dass, wenn wir mehrere Möglichkeiten haben uns zu ernähren, wir uns für den Weg entscheiden sollten, der das geringste unnötige Leid für Tiere bedeutet.

Ich stimme ihm zu. Wenn wir uns ernähren – oder eigentlich immer – sollten wir uns so verhalten, dass wir möglichst wenig Leid verursachen.

Doch was ist mit den Hunderten vergifteter Mäuse auf unseren Getreidefeldern? Anders als die für den Verzehr eingeplanten Tiere, sterben sie regelmäßig einen langsamen, schmerzhaften Tod. Weibchen lassen im Durchschnitt 5-6 Säuglinge zurück, die verhungern, verdursten oder Raubtieren zum Opfer fallen. Zur Statistik gehören auch die Millionen von Wildtieren (u.a. Rehkitze), die den Erntemaschinen zum Opfer fallen.

Veganismus bezieht sich in der Regel nur auf fühlende Wesen. Eine oft bequeme, jedoch willkürlich gezogene Grenze, um letztlich beispielsweise zu Heuschrecken als Nahrungsquelle greifen zu können – dies schließt freilich auch Milchsäurebakterien aus fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut ein. Doch woher kommt diese Gewissheit? Sind Spinnen und Insekten wirklich gefühllos und ohne Bewusstsein? Noch vor wenigen hundert Jahren war die Auffassung geläufig, Tiere seien lediglich Automaten, Maschinen und eines Wesens nicht fähig. Dies hat sich geändert. Sollten wir ausschließen, dass auch Spinnen und Insekten zum fühlen fähig sind?

Wie schlimm ist Pflanzenproduktion?

Die Produktion pflanzlicher Lebensmittel kann Ökosysteme zerstören, Ressourcen verschwenden,die Umwelt belasten und viel Tierleid verursachen. Ob sie nun besser oder schlechter als die Produktion tierischer Lebensmittel ist, sei dahingestellt. Statistikfans und -Verbieger mögen sich daran wund streiten, wobei die verfügbaren Zahlen eine eindeutige Sprache sprechen. Es mag auch jeder entscheiden, ob nun das Leid einer Maus weniger schlimm ist als das einer Kuh.

Mehr noch: Spielen die Zahlen eine Rolle? Sind Tod und Leid kumulativ? Wäre es wirklich relevant, dass für die Ernährung eines Menschen möglichst „wenig“ Tiere sterben, würden wir zur Geburt eines jeden Menschenkindes einen Blauwal schlachten und dessen Fleisch einfrieren. Das reicht gewiss für den Rest des Lebens und so muss nur ein einziges Tier sterben, um den Menschen zu ernähren. Es versteht sich von selbst, dass auch das keine Lösung sein kann.

Die titelgebende Frage zu beantworten, wäre demnach unmöglich. Denn messen wir die Menge des Blutes in Litern oder die Anzahl der Wunden? Zählen wir die direkten Tode oder auch die indirekten? Wie messen wir Leid? Es spielt keine Rolle. Unbestreitbar ist in jedem Fall: Die Produktion pflanzlicher Lebensmittel kann per se keine nachhaltige Ernährung garantieren und kein Tierleid vermeiden.

Aber Bio ist doch besser, oder?

Der ökologische Landbau ist ein Versuch, in allen landwirtschaftlichen Bereichen nachhaltiger zu handeln und zu wirtschaften. Der aktuelle Stand zum Beispiel der EG-ÖKO Verordnung, welche Voraussetzung für das sogenannte Bio-Siegel ist, erfüllt jedoch in keiner Weise die Anforderungen an wirklich nachhaltige Landwirtschaft. Es handelt sich gewiss um einen Schritt in die richtige Richtung, aber das System bewegt sich weiter auf einen Abgrund zu. Praktisch allen industriell und/oder global orientierten Systemen ist mangelnde Nachhaltigkeit gemein. Ganz gleich, ob in der Produktion tierischer oder pflanzlicher Lebensmittel. (Nachtrag am 1.2.2014: Um nur ein Beispiel von vielen zu nennen: Auch Ökolandbau findet auf Äckern statt, für die grundsätzlich bestehende, natürliche Ökosysteme (und somit die Lebensgrundlage vieler Tiere) umgebrochen und zerstört werden. Das bedeutet auch, dass konsequent bewirtschaftete Weidehaltung (d.h. der Erhalt und die Pflege von Grünland) grundsätzlich einen geringeren Eingriff in die Natur bedeutet, als der Ackerbau.)

Was ist die Lösung?

Die Lösung ist relativ einfach. Sie liegt darin, zu akzeptieren, dass beim Essen immer jemand das Nachsehen hat. Pflücke ich eine Heidelbeere, kann der Vogel sie nicht mehr essen. Pflücke ich einen Salat oder auch nur ein Wildkraut, muss das Kaninchen hungern. Lege ich einen Acker an, zerstöre ich ein Ökosystem und den Lebensraum für andere Tiere. Das von mir bewohnte Haus belegt Fläche, die sonst Lebensraum für andere Tiere wäre. Das ist das Leben, der Kreislauf aus Gedeih und Verderb, Fressen und gefressen werden, Leben und Tod. Die Realität.

Frutarier meinen, die einzig richtige Ernährung könne auf Basis von Obst erfolgen, da nur dies von der Natur für den Verzehr vorgesehen sei. Solange sie auf eine Toilette gehen, unterbrechen aber auch sie die Weiterverteilung der Samen.

Sind wir also alle dem Untergang geweiht? Müssen wir den Planeten ruinieren, um zu leben? Theorien darüber, wie viele Menschen der Planet Erde ernähren kann, gibt es reichlich. Da wir nicht wissen, was die Zukunft bringt, ist es wohl müßig darüber zu diskutieren, ob nun 10 oder 12 oder 15 Milliarden Menschen zu viel sind oder ob wir längst den kritischen Punkt überschritten haben.

Um den Planeten zu retten ist sicherlich der beste Weg, bei der Ernährung nachzudenken und lokale Gegebenheiten zu beachten. Das ist so einfach, wie es klingt: Weideland wie die amerikanischen Great Plains eignet sich hervorragend zur nachhaltigen Tierhaltung. Permakulturen und der Einsatz mehrjähriger Pflanzen zeigen, dass nachhaltige Ernährung auf Pflanzenbasis durchaus möglich ist. Wer in Gegenden mit weniger fruchtbarem Grünland wohnt, für den macht eine Ernährung durch Weidetiere durchaus Sinn. In Küstenregionen ist der Griff zu Fisch zweifelsohne sinnvoller, in den Tropen wächst reichlich Obst. Überall bestehen (noch) gesunde, traditionelle Ökosysteme, die blühen und vielen Menschen ein Überleben ermöglichen.

Fazit

Die beste und, wie ich meine, einzig richtige Antwort auf die Frage, wie wir alle uns ernähren sollten ist: Gar nicht. Eine pauschale, globale Lösung kann es nicht geben und es hat sie nie gegeben. „Wir alle sollten Fleisch essen!“ scheint daher genauso falsch wie „Wir müssen Gemüse essen, weil das effizienter ist!“ Es ist müßig, aufrechnen zu wollen, welche Ernährung die bessere sei: Es ist schlichtweg unmöglich.

Stattdessen sollte jeder einzelne für sich und seine Situation ermitteln, was das beste für ihn und seine direkte Umwelt ist. Regionale, saisonale Lebensmittel sind dabei ein wichtiges Stichwort. Wer die Welt verbessern möchte, sollte vor der eigenen Haustür anfangen.

Quellen und weiterführende Informationen

„Wenn du im südlichen Los Angeles und San Diego wohnst und Vegetarier sein möchtest: Prima. Das solltest du. Aber wenn du in New England leben und die ökologischen Bedingungen deiner Region verbessern möchtest, dann isst du Fleisch. Da besteht keine Frage. Es gibt kein gesundes Ökosystem, das keine Tiere beinhaltet.“— Dan Barber

Hinweis am 23.1.2014: 

Liebe Leser – die Kommentarfunktion ist bis auf Weiteres deaktiviert. Warum? Weil offenkundig viele – besonders Vegetarier und Veganer – den Artikel ungelesen kommentieren und redundante Kommentare hinterlassen. Das führt niemanden weiter. Ich habe überwiegend positive Reaktionen erhalten und finde es schade, dass ich diese Entscheidung treffen musste.

Viele Leser haben bewiesen, dass sie nur aufmerksam lesen und ein wenig nachdenken müssen, um folgendes zu erfahren:

  • der Autor hält die industrielle Fleischproduktion (das beinhaltet die ineffiziente Verfütterung von Soja und Mais) für indiskutabel (siehe 2. Absatz mit Verbindung zum 3. Absatz),
  • der Autor greift weder Vegetarier/Veganer noch Fleischesser an (der Titel ist eine Fragestellung),
  • der Autor schreibt nicht, welche Ernährung besser oder schlechter sei, sondern zeigt die Probleme der bestehenden Modelle auf,
  • der Autor weist darauf hin, dass eine nachhaltige und umweltfreundliche Ernährung vermutlich nur lokal erfolgen kann.

Leider entgeht dies einigen aufgeregten Lesern, die stattdessen ihr Gehirn ausschalten und wüste, persönlich beleidigende Kommentare schreiben und damit ihre Zeit verschwenden.

Einige Veganer und Vegetarier (und auch Anhänger der Paleo-Ernährung) betreiben ihre Ernährung wie eine Art Religion und sie fühlen sich persönlich angegriffen, gar in ihrer Existenz bedroht, wenn jemand Mängel in ihrem Glaubenssystem aufzeigt. In der Folge reagieren sie defensiv, oft aggressiv. Das ist menschlich. Ich vergebe ihnen allen.

Hinweis am 25.1.2014: 

Ich lese immer wieder die Klagen über einen „unlogischen“ Vergleich – was auch immer das sein mag. Dies ist kein Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Es ist durchaus ein Vergleich zwischen gezielt ausgesuchten, einwandfreien Äpfeln und verschimmelten, wurmstichigen Äpfeln.

Wie ich im Artikel auch ausdrücklich schreibe, halte ich es für müßig die konkreten Zahlen auszudiskutieren. Denn es ist an der Stelle bereits hinreichend belegt, dass jede Ernährungsform Tod verursacht. Nur das ist wichtig, um auf das genannte Fazit zu kommen.

Der Titel des Artikels ist übrigens eine Frage, keine Behauptung. Das lässt sich an der Satzstellung und an dem Fragezeichen erkennen.

 

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