Das Geschrei ist groß, wenn es um Gen-Lebensmittel geht. Sie seien unberechenbar und stellten eine mögliche Gefahr dar, könnten gar die Natur aus dem Gleichgewicht bringen. Die Rede ist von Gen-Kartoffeln, Gen-Mais und Gentechnik. Themen, die die Spendenkassen der Aktionisten füllen und Menschen auf die Straßen treiben. Doch der Großteil davon beruht auf Missverständnissen. Denn genetisch veränderte Lebensmittel sind etwas ganz natürliches.
Gentechnik ist natürlich?
Analysiert man die Inhalte und Reaktionen, zeichnet sich schnell ein bekanntes Bild ab: Jeder spricht von etwas anderem, die Hälfte ergibt gar keinen Sinn und die andere Hälfte stimmt nur bedingt. Schuld sind Unwissenheit, mangelnde Präzision und bewusste Panikmache zwecks Gewinnoptimierung.
Anders ist kaum zu erklären, dass Menschen in die Kamera kreischen, sie wollten ihren Kindern keine Gen-Kartoffeln auf den Teller legen. Doch was soll eine Gen-Kartoffel sein? Eine Kartoffel, die Gene enthält? Ihre eigenen womöglich? Das hoffe ich doch. Leider bedienen sich auch die Medien, sogar die als objektiv geltenden, dieses Vokabulars. Sie sprechen von Gen-Mais und Gen-Kartoffeln, als seien diese ein Problem. Aber natürlich enthalten Pflanzen Gene – so wie andere Lebewesen auf dem Planeten auch.
Gemeint ist allerdings nur das, was der Gesetzgeber als Gentechnisch Veränderte Lebensmittel definiert hat. Ein Gentechnisch Veränderter Organismus (GVO) ist laut §3 GenTG
ein Organismus, mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material in einer Weise verändert worden ist, wie sie unter natürlichen Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt;
Genetische Manipulation ist ein natürlicher Vorgang
Die Basis der Evolution ist genetische Veränderung. Die Natur manipuliert Gene so lange, bis das passende Ergebnis herauskommt. Und dann macht sie weiter. Einige Mutationen setzen sich durch, andere nicht. Dies passiert seit Anbeginn des Lebens vor rund 4 Milliarden Jahren auf der Erde. Wir nennen es natürliche Auslese.
Genetische Manipulation durch den Menschen findet seit Hunderten von Jahren statt. Wann immer wir zwei Pflanzen oder Tiere kreuzen, um erwünschte Charakteristika zu betonen, nehmen wir eine genetische Manipulation vor. Das ist künstliche Auslese.
Die beiden Vorgänge, natürliche und künstliche Auslese, unterscheiden sich biologisch nicht voneinander. Was ist also das Problem mit gentechnisch veränderten Organismen? Wie unterscheiden diese sich von den Produkten der Auslese?
Was ist gentechnische Veränderung?
Im Labor ist dies ein für Laien sehr komplizierter Prozess und seine detaillierte Erklärung spielt für die Abgrenzung eine untergeordnete Rolle. Im Wesentlichen können durch gentechnische Veränderung Gene völlig willkürlich transportiert werden. Daher auch der Begriff transgene Organismen. Ein Hundegen könnte so in einer Pflanze landen. Theoretisch. In der Praxis ist es eher so, dass nützliche Eigenschaften von beispielsweise Bakterien in Nutzpflanzen implementiert werden, um diese mit einem natürlichen Schutz vor Fraßfeinden oder Herbiziden zu versehen.
Letztlich zählt, dass durch gentechnische Veränderung Organismen entstehen, die es in der Natur nie hätte geben können. Man kann einen Hund nicht mit einer Kokosnuss kreuzen und ein Bakterium nicht mit einem Maiskolben.
Kritiker sehen darin besonders häufig zwei Gefahren.
Gefahren der Gentechnik
Auf der einen Seite ist unklar, wie sich gentechnisch veränderte Lebensmittel im Menschen verhalten. Es wäre möglich, dass Bestandteile dieser für den Menschen fremden Nahrung gesundheitliche Schäden anrichten können. Schäden, die sich erst nach jahrzehntelangem Konsum zeigen, sich womöglich erst im Nachwuchs manifestieren.
Besonders plausibel klingt dies, weil der Mensch sich in Co-Evolution mit der Natur und deren Auslese entwickelt hat, also auf natürliche Stoffe vorbereitet sei, jedoch nicht auf völlig fremde, unnatürliche Produkte.
Demnach fielen gentechnisch veränderte Lebensmittel allerdings in die gleiche Kategorie wie Konservierungsstoffe und andere künstliche Zusatzstoffe. Auch diese sind dem Menschen während des Großteils seiner Existenz fremd gewesen. Wer also munter veganen Analog-Käse isst oder wem die vielsilbigen Inhaltsstoffe seiner mit E-Nummern gespickten Produkte bislang egal waren, sollte demnach auch bei gentechnisch manipulierten Lebensmitteln wenig Anlass zur Aufregung sehen.
Genau dazu passt auch die Warnung vor neuen oder vermehrten Allergien durch gentechnische Manipulation von Lebensmitteln: Schon die altmodische Kreuzung zum Beispiel von Getreidesorten hat für Produkte mit stärkeren Allergenen gesorgt, gleiches gilt für die durch die Industrie in Umlauf gebrachten Zusatzstoffe wie Konservierungsmittel.
Gentechnik in freier Wildbahn
Die zweite wesentliche Kritik gilt der Auswirkung der GVO in der Natur. Wenn wir gentechnisch veränderte Pflanzen (oder Tiere) in freier Natur anbauen, verlieren wir zwangsläufig die Kontrolle. Und wir wissen nicht, was diese Organismen mittel- oder langfristig anrichten werden. Einige Kostproben aus den USA haben wir bereits bekommen: Vor 20 Jahren wurde dort eine GVO-Sojasorte für den Anbau zugelassen, die Roundup-Ready ist. Das heißt: Das Breitbandherbizid Roundup (wesentlicher Wirkstoff: Glyphosat) kann ihr nichts anhaben. Nach zwei Dekaden freigiebiger Roundup-Anwendung haben sich durch Mutation nun Unkrautsorten gebildet, die Roundup-Resistent sind. Kein bekanntes Herbizid kann sie beseitigen.
In anderen Fällen sind gentechnisch veränderte Lachse aus Aquakulturen entwischt und machen sich in der Natur breit, wo sie andere Lachse aus ihrem Lebensraum verdrängen. Denn natürlich machen Pflanzen und Tiere bei der Fortpflanzung, was sie wollen. Der Wind treibt Pflanzensamen beliebig in der Welt umher und Tiere tun das, was Tiere nun mal tun: Überleben und sich paaren.
Das mag beängstigend klingen. Kommt so das natürliche Gleichgewicht durcheinander? Die Frage setzt voraus, dass es ein solches Gleichgewicht überhaupt gibt. Das Leben auf der Erde hat sich in den vergangenen 4 Milliarden Jahren immer wieder massiv verändert. Leben scheint ohnehin Chaos zu bedeuten.
Stellen wir die Frage daher anders: Können die GVO in der Natur so viel oder noch mehr Schaden (oder Veränderung) hervorrufen, wie die vielen anderen durch Menschen verursachten Neobiota? Opossums und Katzen in Neuseeland, Waschbären in Deutschland, Kartoffeln in Europa – wenn es etwas durcheinanderzubringen gibt, haben wir das längst getan. Das eigentliche Problem ist demnach die Frage, ab wann wir einen Punkt erreichen, an dem das Leben unserer Spezies auf dem Planeten bedroht ist. Und selbstverständlich können wir uns darüber Gedanken machen, bevor Riesenspinnen, Megakrokodile und Killerkaninchen ganze Kleinstädte vernichten.
Gentechnisch veränderte Lebensmittel: In aller Munde?
Als Futtermittel für Tiere sind GVO in der EU längst uneingeschränkt erlaubt. Auf diesem Weg haben viele von uns also schon indirekten Kontakt mit GVO gehabt. Wie sich das auswirkt, wissen wir (noch) nicht.
Lebensmittel müssen entsprechend gekennzeichnet werden, doch auch dies garantiert keine absolute GVO-Freiheit. Oberflächliche Recherchen ergeben, dass rund 60-80% aller Lebensmittel in ihrer Produktion mit Gentechnik in Kontakt kommen.
Wir wissen nicht, wie sich der Anbau gentechnisch manipulierter Pflanzen langfristig auswirken wird. Zweifelsohne verändert sich etwas in der Natur. Das geschah auch durch den Import der Kartoffel aus Südamerika nach Europa.
Fazit: Gentechnik – ein großes Missverständnis
Unwissenheit führt zu Angst. Menschen fürchten, was sie nicht verstehen. Und verängstigte Menschen kann man gut kontrollieren und ihnen noch besser etwas verkaufen. Das spielt sicherlich eine Rolle bei der mangelnden Aufklärung zu diesem Thema. Wir wissen nun genauer, wovon wir sprechen:
- Gen-Mais und Gen-Kartoffeln sind gut. Bedenklich (und unnatürlich) wäre, wenn die Pflanzen keine Gene mehr enthalten.
- Genetische Manipulation ist ein natürlicher Vorgang. Die Natur macht das seit rund 4 Milliarden Jahren, der Mensch seit Hunderten.
- Gentechnische Veränderung ist der komplexe Prozess im Labor mit fremden Genen (transgene Organismen). Die langfristige Wirkung dieser GVO ist unbekannt und durchaus Anlass zur Vorsicht.
- Es gibt keine eine gentechnische Veränderung: Die Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt und viele dieser Wege weichen kaum von den Ergebnissen klassischer Kreuzungen ab. Es wäre fatal, das gesamte Spektrum gleich zu be- oder verurteilen.
Gentechnik bietet neben einigen Risiken auch große Chancen. Chancen so groß wie die, welche die Zucht, Manipulation und Verbreitung der Kartoffel als in Europa fremde Pflanze ermöglichte. Menschen könnten weltweit gesünder leben, müssten keinen Hunger mehr leiden, Lebensumstände könnten sich verbessern.
Indem wir eine Technologie schmähen, nur weil sie neu ist oder die breite Masse sie (noch) nicht versteht, berauben wir uns vieler Chancen, zum Beispiel einer signifikant effizienteren Nahrungsmittelproduktion. Dies könnte unserer Spezies mit großer Wahrscheinlichkeit eine ähnliche kulturelle Entwicklungsbeschleunigung verschaffen wie die durch Beginn der Landwirtschaft einsetzende Sesshaftigkeit vor rund 12.000 Jahren.
Gentechnik ist eine relativ neue Technologie, deren mögliche Folgen wir nicht unterschätzen sollten. Gesunde Vorsicht ist ihr gegenüber sicher angebracht. Es klingt absolut vernünftig, GVO in der Ernährung zu meiden, bis sie sich als wirklich harmlos erwiesen haben. Das sollte jeder so handhaben können, wie er möchte. Eine eindeutige Lebensmittelkennzeichnung ist dazu hilfreich.
Zugleich sollten wir uns nichts vormachen: Die Natur und das Leben sind sehr robust. Sie haben über 4 Milliarden Jahre überstanden. Das Leben wird weitergehen, auch wenn wir bisherige Ökosysteme verändern. Sicherlich könnte es sein, dass es ohne unsere Spezies weitergeht. Und daran könnten wir selbst Schuld sein.
Notiz am Rande: Im englischen Sprachraum existiert eine ähnliche Verwechselung: Genetically Modified Organism (GMO) ist das, was die Natur ohnehin produziert, Genetically Engineered (GE) hingegen meint in der Regel transgene Organismen aus dem Labor.
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