Die schlimmsten Lügen erzählen wir uns selbst. Jeden Tag. Die meisten beginnen mit »Ich kann nicht« oder »Ich muss«. Und wir erzählen sie unseren Mitmenschen: »Ich kann nicht zu deinem Geburtstag kommen. Ich muss mich um meine Katze kümmern.« Diese Lügen überzeugen fast jeden, weil wir sie selbst glauben. »Ich kann die Einleitung für diesen Podcast jetzt nicht mehr fertigstellen, ich muss erst etwas essen.« Wir lügen, weil wir die Konsequenz der Wahrheit fürchten.
Diese Worte verfassen und dem Hunger widerstehen kostet Kraft. Die Wahrheit ist: Ich kann das, aber es strengt mich an. Es fühlt sich schwierig an. In dieser Episode spreche ich über
- häufige, meist unbemerkte Lügen die wir uns selbst erzählen, wie sie unser Leben erschweren und uns vergiften,
- warum Ehrlichkeit manchmal so schwierig scheint,
- warum wir lügen,
- warum weiße Lügen auch nur Lügen sind,
- wie unser täglicher Selbstbetrug ein zufriedenes Leben verhindert und
- wie die Gewohnheit des Selbstbetrugs unsere Gesundheit und unsere Leben ruiniert.
Unser täglicher Selbstbetrug
»Ich kann morgens keinen Sport treiben. Ich habe keine Zeit, ich muss arbeiten.« – Ophelia ist genervt von meinem wiederholten Hinweis darauf, dass Kraftsport nicht nur speziell für ihre Ziele, sondern allgemein nicht verhandelbar ist. Ihre Worte sind eine Reihe aus drei alltäglichen, millionenfach gedachten oder geäußerten Lügen. Sie ist körperlich in der Lage, morgens Sport zu treiben. Ihr stehen jeden Tag die gleichen 24 Stunden Zeit zur Verfügung wie jedem anderen Menschen. Und niemand zwingt sie zum Arbeiten. Sie muss nicht arbeiten, sie ist keine Sklavin, sondern hat sich für ihre Arbeit entschieden.
Niemand in diesem Land muss wirklich arbeiten. Es ist stets eine freie Entscheidung. Keine Frage: Davor steht meist der Wunsch nach einem Einkommen. Doch es ist eine Entscheidung. Kein Zwang.
Ich kann nicht. Ich muss. Die Wortwahl spielt eine Rolle, denn durch »ich muss arbeiten« geht Ophelia in die Opferrolle und gibt die Verantwortung aus der Hand. Jemand anders ist Schuld, schließlich »muss« sie arbeiten und kann keinen Sport treiben. Warum lügt sie? Weil sie in Wahrheit zu faul ist für Sport. Sie fürchtet die Anstrengung, fühlt den inneren Widerstand. Wer gesteht schon gern seine Faulheit? Ihr Betrugsversuch ist leicht durchschaut: »Dann steh morgens halt eine halbe Stunde früher auf. Und geh abends entsprechend früher ins Bett.«
Wer will, findet einen Weg – wer nicht will, findet Gründe
Ophelia antwortet, um 21:30 Uhr könne man doch noch gar nicht ins Bett gehen und außerdem müsse sie dann noch mit ihrem Mann Netflix schauen und überhaupt, so früh morgens sei es ja noch dunkel. Und so fort. Sie findet endlos Gründe gegen den Sport. Weil sie nicht will. Aber »Ich will keinen Sport treiben« wäre das Eingeständnis ihrer Faulheit. Das kommt nicht über ihre Lippen.
Wer will, findet einen Weg. Wenn ein Klient wirklich Gesund werden will, kommt es nie zu dieser Diskussion. Sicher kommt nicht jeder sofort auf die Idee, seine nutzbare Zeit am Morgen zu vermehren, indem man früher aufsteht. Doch spätestens, wenn ich den Vorschlag mache, sehe ich die Begeisterung in den Augen meines Gegenübers – wenn der Klient will.
Warum ich das so genau weiß? Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche: Bevor ich mit dem Kraftsport richtig durchgestartet bin, habe ich mindestens 100 Gründe gefunden, warum ich nicht mehr Sport treiben und mehr Gewicht heben sollte. Die abstrusesten Ideen. Und ich habe wirklich daran geglaubt.
Ich kann nicht, ich muss
So beginnen die schlimmsten Lügen. Jene, die wir uns jeden Tag selbst erzählen: Ich kann nicht. Ich muss.
»Ich würde ja auch Sport treiben, aber ich kann nicht: Ich habe eine Verletzung am Fuß.« – Dann mach Übungen für den Oberkörper, du Wurst.
»Ich kann nicht verreisen, ich muss mich um meine Katze kümmern.« – Herrlich: Die Katze wird es nicht stören, wenn ich sie als faule Ausrede für meine Trägheit missbrauche.
Ich sage das seien die schlimmsten Lügen, weil es jene sind, die wir nach kürzester Zeit selbst glauben. So sagt Ophelia: »Ich kann mittags nichts Gesundes zubereiten. Dann muss ich eben drei Maiswaffeln essen. So viele Kohlenhydrate sind da gar nicht drin.« Ehrlich wäre: »Ich möchte diese Sache fertigbekommen. Ich war zu faul und habe nichts zu essen vorbereitet. Ich könnte mir schnell einen Proteinshake machen. Aber Maiswaffeln habe ich auch da und die schmecken mir besser. Allerdings sind das recht viele schnelle Kohlenhydrate. Das ist für meinen Blutzuckerhaushalt nicht so gut.« Das wäre die Wahrheit.
Warum lügt Ophelia? Weil sie gerne ihrem niederen Trieb nachgibt und ihren Gaumen an den Maiswaffeln labt. Weil die Alternative ein wenig aufwändiger ist. Weil sie es gerne einfach hat. Weil die Wahrheit zumindest in dem Moment schwieriger scheint. Und weil die Wahrheit schmerzt, verdrängt Ophelia sie und glaubt nach wenigen Wiederholungen ihre Lüge. Denn würde sie die Unehrlichkeit eingestehen, täte auch das weh.
»Ich kann am Tag nie durchatmen, ich muss so viel leisten: Arbeit, Kinder, Haushalt, Verein … das geht halt nicht anders.« So jemand macht sich zum Opfer seiner eigenen Planung – oder Planungsunfähigkeit.
»Ich kann nicht abschalten ohne drei Bier am Abend. Das ist doch nicht viel. Andere trinken mehr.« So kann man sich seine Alkoholabhängigkeit zurechtlügen und sich auch noch gut dabei fühlen.
Man muss
Im Kollektiv geht das Lügen noch leichter über die Lippen, schließlich kann man sich dann in der schnöden Normalität der Gruppe verstecken:
»Man muss auch mal sündigen.«
»Man muss auch mal Süßigkeiten essen.«
»Man muss sich auch mal etwas gönnen.«
»Man muss auch mal ein Bier trinken.«
»Man muss sich auch mal besaufen.«
»Man muss alles mal ausprobieren.«
Ja? Wirklich? Was muss man denn noch alles? Muss man auch mal fremdgehen? Muss man mal Heroin ausprobieren? Betrunken Auto fahren? Eine besinnungslos betrunkene Frau abschleppen und mit ihr Sex haben?
»Man muss …« – so beginnen diese Rechtfertigungen der Feiglinge, die zu schwach sind, um zu ihrer Schwäche zu stehen. Wenn du faul auf dem Sofa liegen willst willst, dann sag: »Ich will faul sein« und tu nicht so, als würdest du gezwungen.
Andere Lügen, Lügen der Schwäche, klingen ungefähr so: »Jetzt habe ich eine halbe Stunde Sport gemacht, dann darf ich auch ein Eis essen.« Oder »Wenn man Sport treibt, muss man auch mal über die Stränge schlagen.« Oder auch: »Gar keine Süßigkeiten essen ist auch ungesund.« Stopf dir die Süßigkeiten rein – aber spar dir die Lügen zur Rechtfertigung. Gib es einfach zu: Du bist schwach und verfressen und willst dich mit Süßkram befriedigen.
Warum lügen wir?
Selbst jetzt, wo sie zu mir gekommen ist und vor mir sitzt, kann Ophelia nicht offen zugeben, dass sie zu dick ist. Sie möchte dringend abnehmen, ja, deswegen ist sie hier. Aber zugeben, dass sie 20 Kilo Übergewicht herumträgt? Nicht einmal hinter verschlossener Tür.
Die meisten Lügen denken oder sprechen wir, weil wir die Wahrheit schwer ertragen können. Niemand gibt gern zu, dass er faul ist oder verfressen, chaotisch oder süchtig. Solche Lügen dienen dem Selbstschutz, denn die Wahrheit tut oft weh.
Wenn Ophelia eingestünde, dass sie genau weiß, wie wichtig Kraftsport ist und dass sie selbstverständlich morgens früher aufstehen könnte, wäre das ein Eingeständnis ihrer Faulheit. Das wäre ihr unangenehm. Oder sie müsste den Kraftsport durchziehen. Auch das, glaubt sie, wäre unangenehm. So betrügt sie sich lieber selbst und glaubt ihre Lüge (macht also einen Glaubenssatz daraus), damit sie nicht mit dem Wissen leben muss, dass sie eine Lügnerin ist. »Ich kann nicht, ich muss« eignet sich dafür bestens, denn als Opfer ihrer Umstände muss Ophelia sich keine Vorwürfe machen.
Wir lügen so viel, dass wir den Lügen sogar Farben geben. Weiße Lügen gelten als akzeptabel, sie seien prosozial, dienten der Höflichkeit und dem Schutz sozialer Beziehungen. »Die Suppe schmeckt super; dein Hintern sieht in der Hose nicht fett aus; ich mag deine Mutter.« Dabei ist eine weiße Lüge auch nur eine Lüge: Besser als eine schwarze Lüge, aber trotzdem eine Lüge. Auch damit übt man das Lügen, verbiegt die Wahrheit und duldet Korruption.
»Ich würde dich gerne besuchen, aber an dem Tag muss ich meinen Sohn zu einem Fußballspiel bringen.« Auch eine Lüge. Ophelia muss ihren Sohn nicht bringen, sondern sie hat sich dafür entschieden. Korrekt wäre »Ich würde gerne zu deiner Party kommen, aber an dem Tag bringe ich meinen Sohn zu einem Fußballspiel.« Warum sagt sie das nicht? Weil es Ophelia schwer fällt, ihrer Freundin zu sagen, dass ihr Sohn wichtiger für sie ist. Da versteckt sie sich mit »ich kann nicht, ich muss« lieber in der Opferrolle, hinter dem vermeintlichen Zwang. Ihre Lüge ist eine Rechtfertigung. Dabei würde ihre Freundin ihr die ehrliche Formulierung nicht übelnehmen.
Eine Rechtfertigung ist eine Antwort auf eine Anschuldigung oder das eigene Gefühl, etwas falsch gemacht und jemanden falsch behandelt zu haben. Eine Legitimation ihrer Entscheidung – weil sie Angst hat, dass sie ihre Freundin durch ihre Entscheidung – die Wahrheit – verletzen könnte.
Woher kommt die Angst vor der Wahrheit?
In solchen Fällen lügen Menschen mit »ich kann nicht, ich muss« aus Angst. Angst davor, ihrem Gegenüber mit der Wahrheit vor den Kopf zu stoßen. Oder Angst davor, dass sie für die Wahrheit »Ich bin faul« nicht mehr gemocht werden.
Diese Angst ist die weit verbreitete Angst vor Ablehnung, die ich in diesem Podcast bereits vielfach thematisiert habe – zuletzt in der Episode So lernst du Nein sagen: Grenzen, Regeln, Konsequenzen. Aus dieser Angst folgt der Versuch, die Erwartungen anderer zu erfüllen und Konflikte zu vermeiden. Die Folge ist oft die Missachtung der eigenen Werte und Bedürfnisse und übertriebene Nettigkeit – Überanpassung, die tödlich sein kann.
Ursache dieser Angst ist ein mangelhaftes Selbstwertgefühl oder mangelnde Selbstachtung. Daraus folgt der Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit – reichlich thematisiert in der eben genannten Podcast-Episode.
Die Lüge zur Rechtfertigung – »ich kann nicht, ich muss« – kommt also aus einem geringen Selbstwertgefühl. Das Problem ist: Die Lüge selbst mindert die Selbstachtung. So beginnt ein Teufelskreis und die Lügen vervielfachen sich.
Diesen Teufelskreis kann man allerdings wenigstens im Bewusstsein umgehen, indem man die Lüge glaubt. Wenn man oft genug sagt »ich kann nicht abnehmen, ich muss mit den Folgen meines schlechten Stoffwechsels leben«, dann glaubt man das irgendwann und dann leidet wenigstens das bewusste Selbstwertgefühl nicht mehr. Der Schaden bleibt jedoch, denn:
Lügen zerstören das Leben
Lügen sind eine Last. Wer große Lügengebilde spinnt und aufrecht halten möchte, benötigt ein gutes Gedächtnis und muss stets aufmerksam bleiben und wissen: Wann habe ich wem was erzählt? Das ist Stress, der den gesamten Körper belastet.
Doch auch die kleinen Lügen nagen an Lebensqualität und Lebenswert. Das ständige »ich kann nicht, ich muss« wird schnell zur Gewohnheit und aus den Äußerungen und Gedanken werden Glaubenssätze des Selbstbetrugs. So vergiftet man seinen Kopf. Solche Glaubenssätze beschränken die eigene Entwicklung. Viele Beispiele dafür lege ich in der Episode [Der gesunde Weg zum flachen Bauch für jeden (Sixpack)](Der gesunde Weg zum flachen Bauch für jeden (Sixpack)) dar.
Ophelia glaubt: »Ich kann nicht abnehmen, ich muss mit meinem langsamen Stoffwechsel leben und dick bleiben« und »Ich kann morgens keinen Sport treiben, ich muss zur Arbeit.« Solange sie das glaubt, kann sie ihre Ziele – bessere Gesundheit und eine Figur, die ihr selbst gefällt – nicht erreichen.
»Ich kann nichts Neues lernen, das ist zu schwierig», »ich muss arbeiten, das macht keinen Spaß«, »ich kann das nicht, dafür bin ich zu alt« – das sind beschränkende Glaubenssätze. Lügen. Allesamt dienen dem Selbstschutz. Wer das glaubt und praktiziert, kann in seiner Komfortzone bleiben und muss sich nicht verändern – kann aber auch seine Ziele nicht erreichen, steht still im Fluss des Lebens und säuft ab.
Ein Gegenmittel ist Gewohnheit #109 aus meinem Buch Der Weg – Wie du einen gesunden Lebenswandel entwickelst und beibehältst.
Gewohnheit #109: Sage nie wissentlich die Unwahrheit
Warum nicht einfach niemals lügen? Weil wir die Wahrheit nicht immer kennen. Manchmal sagt man die Unwahrheit, weil man es nicht besser weiß und ohne, dass man es merkt. Manchmal kennen wir auch unsere eigenen wahren Gefühle oder Absichten gar nicht. Deswegen ist immer die Wahrheit sagen praktisch unmöglich, obwohl es einfach klingt.
Doch wir können uns schwören, niemals wissentliche die Unwahrheit zu sagen. Radikale Ehrlichkeit verbessert Beziehungen – auch zu sich selbst. Manchmal erschwert Ehrlichkeit kurzfristig unser Leben. Manchmal auch langfristig. Doch eine Lüge ist den Gewinn nie wert. Wenn du einen Menschen belügst, musst du den Rest deines Lebens mit dem Wissen leben, dass du nicht ehrlich warst.
Ehrlichkeit steckt an, sie ist attraktiv und schützt dich vor Selbstbetrug, sie gibt Hoffnung, und schafft Sicherheit.
Wie schafft man das? Wie erkennt man eine Lüge, die man selbst glaubt?
Tilge »ich kann nicht« und »ich muss« aus deinem Wortschatz
Ophelia achtet nun auf ihre eigenen Worte. Sie richtet gedanklich einen Alarm ein, wann immer sie »ich kann nicht« und »ich muss« sagt oder auch nur denkt. Denn die meisten Dinge kann man, die wenigsten Dinge muss man. Wenn sie sich dabei ertappt, korrigiert sie ihre Gedanken und Worte. Statt »ich kann nicht« sagt sie »ich möchte nicht«. Statt »ich muss« spart sie sich die Erklärung – die ungefragte Rechtfertigung – oder sie sagt »ich habe entschieden.« Und sie betrachtet die Dinge, die sie nicht möchte und tritt ihrer Angst davor entgegen.
Sie achtet auch darauf, wie oft sie sich ohne Anlass rechtfertigt, wie oft sie Angst hat, mit ihrer Entscheidung jemanden zu verletzen und dafür nicht mehr gemocht zu werden.
Besonders kritisch prüft Ophelia ihre Glaubenssätze. Die meisten Glaubenssätze über uns und unser Leben stehen auf wackeligen Beinen.
Wenn du »ich kann nicht« und »ich muss« aus deinem Wortschatz und Gedanken tilgst, verhinderst du nicht jede Lüge. Doch so minderst du Selbstbetrug drastisch und damit auch einen weiteren Verfall deiner Selbstachtung. Wer seine Selbstachtung stärkt, bildet ein starkes Mittel gegen viele rechtfertigende Lügen, die mit genau diesen Worten »ich kann nicht, ich muss« beginnen.
Viel Kraft gewinnen Selbstwertgefühl und Selbstachtung durch diese Anweisung:
Stehe zu deinen Entscheidungen
Übernimm die Verantwortung. Nimm dein Leben in die Hand. Steh zu dir. Wenn du es nicht tust, warum sollte es jemand anderes tun?
Wenn du eine Entscheidung triffst und sie stimmt überein mit deinem Wissen und Gewissen, dann stelle sie nicht infrage. Du wirst jeden Tag Entscheidungen treffen, die dir ein schlechtes Gewissen bereiten. Das ist so, weil du häufig nur die Wahl hast zwischen einem schlechten Gewissen und Ressentiments: Ein schlechtes Gewissen weil du glaubst, die Erwartungen eines anderen Menschen nicht zu erfüllen; oder Ressentiments, weil du gegen dein Wissen und Gewissen verstößt (also ein schlechtes Gewissen dir selbst gegenüber). Mach dir das klar. Fühle in dich hinein, damit du diesen Zwiespalt begreifst. Verdeutliche dir, dass es oft keine Alternative gibt. Und dann lerne Akzeptanz, begreife das schlechte Gewissen als Teil des Lebens, als ständigen Begleiter. So kannst du eine Überempfindlichkeit auf das schlechte Gewissen abbauen und besser mit deinen Entscheidungen leben.
Also nicht »Ich musste mich von meinem Freund trennen, weil der so viel gefurzt hat. Das konnte ich nicht anders entscheiden. Das ging nicht anders.« Sondern: »Ich habe mich von meinem Freund getrennt, weil ich sein Rumgefurze nicht toleriere.«
Nicht »Da kann ich nicht mit dir Tennis spielen, da muss ich mit einem Klienten sprechen«, sondern: »Da habe ich schon einen Termin.« Diese Aussage impliziert, dass der Termin wichtiger ist als das Tennisspielen. Das ist eine freie Entscheidung, zu der man stehen kann und muss.
Nicht »Ich kann nicht zu deiner Party kommen, ich muss früh ins Bett, sonst kann ich nicht schlafen.« Das ist eine Lüge. Du musst nicht früh ins Bett, sondern du möchtest. Sondern: »Ich komme nicht zu deiner Party, weil ich früh ins Bett gehe.« Früh ins Bett gehen ist deine Entscheidung (und dein Recht), also steh dazu. Das ist die Wahrheit.
Die Folge der Wahrheit ist immer gut
Die Wahrheit kann weh tun, sie ist oft ungemütlich oder hart. Doch sie ist immer gut. Die Wahrheit ist attraktiv, sie schafft Hoffnung und Sicherheit. Ophelias Mann ist immer ehrlich. Das passt ihr besonders dann nicht, wenn sie ihn fragt, ob sie in einem Kleid zu dick aussieht. Denn sie ist dick. Und ihr Mann lügt nicht. Einerseits stört sie das – andererseits weiß sie: Auf ihren Mann ist Verlass.
Die Folge der Wahrheit ist auch dann gut, wenn sie große Opfer fordert. Wenn man sich von einem Menschen trennt, weil man sich mit dieser Person einfach nicht wohlfühlt, dann kann das eine Familie spalten und emotional verheeren. Aber es ist besser als das Leben mit einer Lüge unter der mindestens einer, oft mehrere Menschen still leiden.
Schlimme Dinge können geschehen aufgrund der Wahrheit: Umwälzungen und Kriege, Gefängnis und Armut. Doch die einzige Alternative ist ein Leben mit Lügen. Und Lügen nehmen dem Leben den Sinn. Wenn Lügen und Betrug gewinnen, ergibt das Leben keinen Sinn mehr.
Solange Ophelia sich belügt und glaubt, sie sei nicht übergewichtig, hat sie auch keinen Grund oder Anlass zum Abnehmen. Erst wenn sie die Wahrheit akzeptiert und sich eingesteht, dass sie zu dick ist und dringend abnehmen muss, kann sie daraufhin handeln, sich besser ernähren und ihr Übergewicht abbauen.
Erst wenn ein Drogensüchtiger einsieht und zugibt: »Ich bin süchtig«, kann er den Weg heraus aus der Sucht antreten.
Die Wahrheit befreit. Das ist paradox: Menschen lügen aus Angst vor den Folgen der Wahrheit. Dabei ist die Folge der Wahrheit immer Freiheit. Auch, wenn man dafür ins Gefängnis kommt.
Du musst nicht jede Wahrheit sagen
Ehrlichkeit ist gar nicht so schwierig, wenn man sie auch mal für sich behält. Dass man wissentlich keine Unwahrheit sagen sollte, ist keine Anweisung zum ungefilterten Herausplappern aller Gedanken. Und selbst wenn man gefragt wird, darf es oft eine Antwort sein wie »Das solltest du mich nicht fragen« oder »Die Antwort möchtest du nicht hören.«
Viele Wahrheiten sind Meinungen und Ansichten, die wir über andere Menschen sammeln. Ophelia darf natürlich ungefragt sagen, dass sie ihre Kollegin für schlecht erzogen hält, ihren Chef für arrogant und dass sie findet, ihr Mann esse zu viel Brokkoli. Doch solange die Menschen um sie herum ihre Freiheit und Wohlbefinden nicht einschränken gibt es dazu keinen Anlass. Zwecklose Diskussionen kann man sich in solchen Fällen sparen, zumal Erziehung, Arroganz und Brokkolimengen schlichtweg Ansichtssache sind.
Zusammenfassung: Zufriedenheit durch radikale Ehrlichkeit
Wer lügt, möchte sich beschützen: Sein Ansehen, sein Selbstbild oder seine Bequemlichkeit. Am meisten betrügen wir dafür uns selbst. Wir erfinden Gründe und Ausreden und rechtfertigen damit unsere Faulheit, damit wir in der Komfortzone bleiben, keine Veränderung wagen und Anstrengung auf uns nehmen müssen.
Solche Lügen beginnen oft mit den Worten »Ich kann nicht …« oder »Ich muss …« und wir sagen oder denken sie fast täglich. Mit diesen Formulierungen begeben wir uns in die Opferrolle und nehmen uns die Fähigkeit zum Handeln. Solche Aussagen werden zu Glaubenssätzen, zu unserer eigenen Wahrheit, die unser Fortkommen im Leben verhindert – und damit den Weg zur Zufriedenheit versperrt.
Die Angst vor der Wahrheit rührt häufig auch aus mangelnder Selbstachtung oder einem geringen Selbstwertgefühl. Aus Furcht vor dem Verlust sozialer Kontakte, Zuneigung oder Zugehörigkeit sind Lügen aus Höflichkeit oder Nettigkeit weit verbreitet. Doch auch durch solche Unwahrheiten üben wird das Lügen und machen Betrug und Korruption akzeptabel.
Radikale Ehrlichkeit ist eine sinnvolle Gewohnheit als Mittel gegen solchen Selbstbetrug. Ehrlichkeit gibt Hoffnung, schafft Vertrauen und Sicherheit. Prüfe dafür deine Gedanken und Worte, tilge »Ich kann nicht …« und »Ich muss …« aus deinem Wortschatz. Das beseitigt nicht jeglichen, aber den meisten Selbstbetrug und verringert gewohnheitsmäßige Unwahrheit.
Stehe zu deinen Entscheidungen und übernimm die volle Verantwortung für dein Leben und deine Umstände. Nur wenn du die Wahrheit akzeptierst, kannst du die Realität verändern und deine Ziele erreichen. Von der Lüge aus führt kein Weg zum Ziel.
Begrüße die Wahrheit und all ihre Folgen, so schmerzhaft sie auch sein mögen. Die Wahrheit ist immer richtig und sie ermächtigt. Wahrheit schafft Freiheit und Zufriedenheit.
Podcast: Play in new window
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