Sind Mikrowellen ungesund? Sind sie schädlich? Zerstören sie jedes Lebensmittel, das man mit ihnen erhitzt? Der Mikrowellenofen ist und bleibt das Objekt großer Skepsis und Kritik. Zahlreiche Diskussionen hat er entfacht und kaum eine davon bleibt frei von einer Handvoll Mythen, während wissenschaftliche Ergebnisse scheinbar Mangelware sind. Was ist der Stand der Dinge?
Mit diesem Beitrag setze ich den Artikel Sind Mikrowellen sicher? fort und greife auch die dortige Kritik, Kommentare und Zuschriften auf. Der vorangegangene Artikel ist zugleich die Grundlage für diesen Beitrag und auch für das Verständnis von Mikrowellen.
An dieser Stelle betone ich erneut: Ich verkaufe keine Mikrowellen und profitiere auch sonst nicht vom guten (oder schlechten) Ruf dieser Geräte. Ich selbst benutze sie praktisch auch gar nicht mehr. Warum? Weil mich das ungleichmäßige Hitzemuster stört, welches das derzeit in meiner Küche befindliche Gerät hinterlässt. Wenn ich den Vorgang ständig unterbrechen muss, um umzurühren, kann ich auch gleich einen Topf auf den Herd stellen.
Aber Hysterie und unnötige Panikmache halte ich für Unfug. Und nach wie vor gibt es keinen Nachweis dafür, dass Lebensmittel, die in einer Mikrowelle erhitzt werden, per se schädlich seien. Die Mikrowelle als solche ist ein praktisches Gerät, das vielen Menschen den Alltag erleichtert. Sie zu verteufeln, nur weil sie modern ist, scheint naiv.
Gibt es neue Forschungsergebnisse?
Die gibt es immer. Und es gibt auch Studien, die man übersieht. Paul Jaminet, Autor von „Perfect Health Diet“ hat einige davon zusammengetragen und untersucht. Sein Fazit bezieht sich auf den Erhalt der Flavonoide, einer Reihe sekundärer Pflanzenstoffe in Lebensmitteln, darunter Antioxidantien:
- Grüner Tee (Mikrowellenhitze erhält Flavonoide besser als andere Methoden)
- Zwiebeln (in der Mikrowelle besserer Erhalt als beim Braten oder Kochen)
- Violette Kartoffeln (kein Pigmentverlust in der Mikrowelle)
- Olivenöl (Geringster Polyphenol-Verlust)
Demnach gibt es keine eindeutigen Hinweise darauf, dass die Mikrowelle besonders schädlich auf Mikronährstoffe in Lebensmitteln wirke.
Weitere Studien zeigen, dass Mikrowellenöfen die Antioxidantien in Gemüse mit am besten erhalten und dass mikrowellenerhitzter Speck (Bacon) weniger Nitrosamine (die als krebserregend geltenden Stoffe, die oft beim Grillen entstehen) enthält.
Mikrowellen mit niedriger Energie zu benutzen, zeigt sich als vorteilhafte Möglichkeit hinsichtlich der Entstehung schädlicher Stoffe. Mit anderen Worten: Wer sein Fleisch in einer 1000 Watt-Mikrowelle stets bei voller Leistung für 20 Minuten zubereitet zurichtet, darf sich nicht wundern, wenn es nicht mehr gesund ist (und nicht schmeckt). Dies ist kein Problem der Mikrowelle an sich, sondern ihrer Verwendung. Wer sich mit dem Hammer auf den Daumen hat, ist selbst Schuld. Lebensmittel unbrauchbar machen kann man auch mit dem guten alten Feuer.
Mythos 1: Mikrowellen sind in Russland verboten!
Nämlich, weil sie so gefährlich seien. Diese Behauptung findet man im Internet vielerorts, besonders häufig auf Verschwörungsseiten. Weist man darauf hin, dass es in Russland Mikrowellen zu kaufen gibt wie in anderen westlichen Ländern, wird entgegnet, das Verbot sei durch Druck der westlichen Wirtschaft wieder aufgehoben worden. Wie praktisch. Niemand weiß etwas von einem Verbot, ein Nachweis ist unmöglich. Nur relativ wenige Menschen im Westen lesen russisch und können tiefer recherchieren. Keiner der von mir befragten russischen Mitbürger wusste etwas von einem Mikrowellenverbot.
Mythos 2: Hertel hat bewiesen, dass Essen aus der Mikrowelle schädlich ist!
Ein weiterer vermeintlicher Nachweis dafür, dass Mikrowellen ungesund seien, ist die Geschichte von Dr. Hertel. Dieser habe eine Studie veröffentlicht, die belege, dass Menschen, die sich von Essen aus der Mikrowelle ernährten, krank würden. Die Studie hat nie ein peer review durchlaufen, wurde also nie von anderen Wissenschaftlern geprüft und entsprechend veröffentlicht. Natürlich ist auch hier wieder die Mikrowellenindustrie schuld, die Herrn Hertel persönlich verfolgt, mundtot macht, womöglich in einer Mikrowelle gefangen hält und längst gegart hat.
Mythos 3: Wenn man Pflanzen mit Wasser aus der Mikrowelle gießt, gehen sie ein!
Und eine weitere Geschichte, diesmal mit Bildern, geht um: Eine neugierige Schülerin hat zwei gleiche Pflanzen mit abgekühltem Wasser gegossen. Das Wasser für eine Pflanze erhitzte sie zuvor in der Mikrowelle, das Wasser für die andere kochte sie auf dem Herd. Nach neun Tagen war erstere Pflanze eingegangen.
Ist das ein eindeutiger Beweis? Die Fotos dazu sehen spektakulär aus. Doch es gibt eine Vielzahl von Problemen mit diesem Versuch:
- Die Anzahl der Proben: EINE Pflanze ist eine Anekdote und sie genügt keinem wissenschaftlichen Standard. Daran schließen sich eine Reihe weiterer Probleme an.
- Eine Pflanze könnte einfach krank gewesen sein.
- Die Erde könnte schlecht gewesen sein.
- Das Gefäß zum Gießen war möglicherweise kontaminiert.
- Das Wasser wurde eventuell auf unterschiedliche Temperaturen oder für unterschiedliche Zeiten erhitzt.
- Andere externe Faktoren (Licht, Tiere etc.) könnten unterschiedlich gewesen sein.
- Es war kein Blindtest, die Schülerin kann das Experiment anders beeinflusst haben.
Das sind viele Spekulationen. Glücklicherweise haben sich andere Menschen schon die Mühe gemacht, das Experiment unter kontrollierteren Bedingungen nachzuvollziehen. Ihr Ergebnis nach neun Tagen als Bild:
Und in Worten: Die Pflanzen lassen sich vom Wasser aus der Mikrowelle wohl doch nicht besonders beeindrucken. Hier erfahren Sie mehr über den Versuch.
Sind Mikrowellen ungesund?
Es bleibt dabei: Mikrowellen sind natürlich ungesund – wenn man sie mit großer Energie auf den Menschen richtet. Dann können sie ihn genauso töten, wie Feuer das kann. Doch es gibt keinen einzigen Nachweis dafür, dass in der Mikrowelle erhitzte Lebensmittel per se schädlich oder ungesund für den Menschen seien. Im Gegenteil kann solches Essen unter Umständen Vorteile mit sich bringen, wie wir bei der Nährstoffanalyse gesehen haben.
Sind Mikrowellen gut? Kultur und Tradition…
Die Mikrowelle ist ein relativ neues Gerät. Deswegen stehen viele Menschen ihr skeptisch oder mit Angst gegenüber. Irgendwann war auch der elektrische Herd mal neu. Und der Gasherd. Alles war mal neu und wurde mit Skepsis beäugt. Viele Grillfans schwören bis heute auf Holzkohle für den einzig wahren Geschmack. Mit Recht. Nur Holzkohle schmeckt wie Holzkohle. Dennoch ist ein Gasgrill praktisch und er hat seinen Platz in der Küche. Das gleiche gilt für den elektrischen Herd. Und für die Mikrowelle. Jedes Gerät hat seine Stärken und bietet Vorteile. Und Nachteile.
Ein pragmatischer Koch nutzt die Geräte als schlichte Werkzeuge gemäß der Anforderungen. Er achtet Traditionen, wo es Sinn macht und setzt sie fort, erdrückt sie nicht mit einem beschränkten Horizont, sondern heißt Veränderung mit Bedacht Willkommen.
Traditionen sterben nicht und das Abendland geht nicht unter, wenn wir Mikrowellen mit Verstand in unseren Kochalltag integrieren.
…und Liebe
Der tatsächlich größte Schaden, den die Mikrowelle anrichten kann, ist die Zerstörung der Esskultur. Schnell eine Packung aufreißen oder eine vorbereitete Schüssel aus dem Kühlschrank holen, in die Mikrowelle stellen, die Uhr stellen, Start drücken und dann wieder hektisch einer anderen Tätigkeit nachgehen, bis es „Ping!“ macht. Das Essen wurde gedankenlos und ohne Liebe zubereitet und wird oft ebenso verzehrt. Und so schmeckt es dann meist auch. Niemand muss sich mehr um das Essen kümmern, sorgfältig umrühren, den Herd ausschalten, aufpassen, Zeit investieren.
Investierte Zeit ist Liebe. Sie ist Sorgfalt. Sie macht gutes Essen zu dem, was es ist.
Die Mikrowelle kann dies zerstören und sie hat es vielerorts. Aber ist ihr das anzulasten? Ist die Kettensäge Schuld, wenn der Förster sich damit das Bein absägt? Oder, um beim Thema zu bleiben: Ist das Feuer Schuld, wenn ich mir die Finger daran verbrenne?
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