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Wenn gesunde Ernährung krank macht

Gesundheit und eine gute Figur: Kein Ziel verschlägt uns häufiger ins Ernährungsdickicht. Die Suche nach gesunder Ernährung führt durch Dornenbüsche der Entfremdung, Schlangengruben der Moral und den Treibsand der Wissenschaft. Auf diesem Pfad schadet uns die Jagd nach gesunder Ernährung oft mehr als der fettigste Hamburger das jemals könnte.

Die Suche nach dem richtigen Essen ist für viele Menschen verbunden mit psychischem Stress. Denn mit ihr kommt die Angst vor dem Verzehr ungesunder Lebensmittel und ständige Unsicherheit darüber, was denn eigentlich gesund ist. Je nach Ausprägung schadet solcher Stress der Gesundheit mehr als unausgewogene Mahlzeiten.

Den einen bereitet das Essen Sorgen, den anderen Genuss. Wie sich dieser Unterschied auswirkt, das können wir im Vergleich der Nationen und Kulturen und auch der Geschlechter beobachten. Während Franzosen ihre Gedanken an Essen in der Regel mit Genuss verbinden, überwiegen in den USA hierbei gesundheitliche Bedenken. Traurige Ironie: Gerade Amerikaner betreiben den größten Aufwand für gesunde Ernährung, schätzen sich gleichzeitig jedoch am wenigsten als gesunde Esser ein; so erleiden sie doppelten Stress.

Ähnlich deutlich ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen: In allen untersuchten Ländern neigt das weibliche Geschlecht eher zur Verknüpfung von Essen mit Gesundheit statt Genuss.1 Obendrein bemühen sie sich mehr um ihre Figur und sind damit zugleich weniger zufrieden.2 Zwischen solchen Sorgen und schlechter Gesundheit gibt es zahlreiche Verbindungen; ebenso zwischen Befriedigung und guter Gesundheit.3

Wenn wir ein Croissant beherzt mit Butter beschichten, darauf Marmelade häufen und es dann verspeisen, schadet das also nicht unbedingt unserer Gesundheit. Ob es womöglich gar das Leben verlängert, hängt vom Zusammenhang ab und besonders davon: wie wir damit umgehen; wie unsere Esskultur aussieht.

Kultur beeinflusst die Gesundheit. Das unterschiedliche Verhältnis zum Essen der US-Amerikaner und Franzosen findet seine Ursache gewiss auch darin: Amerikaner und die amerikanische Medizin betrachten Krankheiten eher als Folge externer Ursachen wie Keime, Gifte und Ernährung. Franzosen und die französische Medizin machen eher innere Ungleichgewichte verantwortlich.4

Diese Sichtweise bietet auch eine Erklärung des französischen Paradox: Trotz hohen Fett- und Alkoholverzehrs leben Franzosen durchschnittlich länger als zum Beispiel Amerikaner oder Deutsche. Schiebt man das allein auf die Wahl der Lebensmittel, besonders den vermeintlich in Maßen gesunden Rotwein, ergibt sich keine schlüssige Erklärung. Wollen wir solche gesundheitlichen Unterschiede zwischen Ländern bewerten, müssen wir über die Wahl der Lebensmittel hinausgehen und die Einstellung zu Essen und Gesundheit sowie die Verhaltensmuster beim Essen berücksichtigen.

Schaden also Fast Food und Fertiggerichten der Gesundheit nicht, wenn man sie nur ausreichend genießt? So einfach ist es nicht. Auch das zeigen die Unterschiede im traditionellen Essverhalten: Franzosen legen beim Essen Wert auf Mäßigung und hohe Qualität, Amerikaner hingegen auf große Mengen.5 Und: Franzosen verbringen täglich fast 20 Minuten mehr in der Küche.6

Die Qualität unserer Lebensmittel ist also wichtig; unser Verhältnis zum Essen jedoch ebenso. Gemüse, Obst und Salat essen, ja; aber nicht aus Angst vor Körperfett oder verkalkten Arterien. Sondern aus Genuss.

Qualität der Lebensmittel und ein genussvolles Verhältnis zum Essen: Beide Voraussetzungen erfüllen ist nicht schwierig, doch es braucht Achtsamkeit. Nur wer achtsam isst und schmeckt, kann überhaupt die höchste Qualität erkennen lernen. Die haben Lebensmittel nicht in Form von Fertiggerichten und Fast Food, sondern als frische Ware. Frisches Gemüse, Obst, Fleisch bekommt man am besten direkt vom Erzeuger. Am kürzesten sind die Wege in der eigenen Region. Die leckersten Lebensmittel stammen von gesunden, gepflegten Böden; von Landwirten, die mit Rücksicht auf ihr Ökosystem arbeiten. Und so weiter.

Wer diese Zusammenhänge erkennt und respektiert, begreift Lebensmittel oft als mehr als die Summe ihrer Nährstoffe. Das Essen sollte dann keine eindimensionale Frage nach Gesundheit oder Hüftzuwachs aufwerfen. Stattdessen wird es Teil des Lebens, verwoben mit der lokalen Umwelt und Gemeinschaft.

Fußnoten

  1. Rozin et al. (1999) Attitudes to Food and the Role of Food in Life in the U.S.A., Japan, Flemish Belgium and France: Possible Implications for the Diet–Health Debate. Appetite, 1999, 33, 163–180.
  2. Rozin, P. & Fallon, A. E. (1988). Body image, attitudes to weight, and misperceptions of figure preferences of the opposite sex: a comparison of males and females in two generations. Journal of Abnormal Psychology, 97, 342–345.
  3. Netter, P. (1996). Health and pleasure. In D. M. Warburton & N. Sherwood (Eds), Pleasure and quality of life, pp. 81–89.
  4. Payer, L. (1988). Medicine and culture. New York: Henry Holt.
  5. Stearns, P. (1997). Fat history. New York: New York University Press.
  6. David M. Cutler, Edward L. Glaeser and Jesse M. Shapiro (2003) Why Have Americans Become More Obese? Journal of Economic Perspectives, Volume 17, Number 3, Summer 2003, Pages 93-11.

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