Soll man nach den Sternen greifen oder sich mit kleinen Erfolgen zufrieden geben? Warum nicht beides? Sofern du dein Ziel SMART formulierst und sorgfältig portionierst, kannst du nur gewinnen, wenn du etwas höher peilst.
Gewohnheit #9 aus meinem Buch Der Weg – Wie du einen gesunden Lebenswandel entwickelst und beibehältst heißt: Beiß mehr ab als du kauen kannst. In dieser Episode gehe ich ins Detail und erkläre:
- Wie diese Gewohnheit deine Leistung verbessert
- Warum diese Methode deinen Charakter stärkt
- Wie dich dieses Vorgehen vor Entmutigung schützt
- Warum dein Leben auf diesem Weg spannend bleibt
- Wie diese Methode deine Geisteshaltung gegenüber Arbeit transformiert
- Warum du auf diesem Weg auch deine mentale Gesundheit pflegst
Ein Beispiel aus dem Coaching
Elfriede, 39 Jahre, Kauffrau in Teilzeit, verheiratet, eine Tochter, hätte gerne einen größeren, runderen, knackigeren Hintern. Deswegen macht sie seit fünf Jahren täglich Kniebeugen. Jeden Morgen mittlerweile drei mal vierzig Kniebeugen und ihre Technik ist ziemlich gut. Aber nach anfänglichen Erfolgen tut sich nicht mehr viel. Sie ernährt sich gut, schläft hervorragend und hat ihren Stress im Griff. Die Kniebeugen machen ihr Spaß, auch weil sie versteht, wie wichtig diese Übung ist, damit sie auch im hohen Alter noch fit unterwegs sein kann. Aber ihr Hintern formt sich einfach nicht so, wie sie es gern hätte. Das hat einen guten Grund und der hat zu tun mit einem kleinen Ausflug in:
Gewohnheit #9: Beiß mehr ab als du kauen kannst
Die Balance ist nicht immer einfach: Wenn du zu viele Ziele hast, verlierst du den Fokus. Hast du allerdings nur genau ein extrem schmal definiertes Ziel, könnte dich jeder Misserfolg auf dem Weg dorthin entmutigen.
Eine Lösung ist: Fehler einplanen. Nimm dir zum Beispiel vor, drei Wochen lang jeden Tag vier Gewohnheiten umzusetzen. Eignest du dir in dieser Zeit nur drei Gewohnheiten an, hast du zwar dein Ziel verfehlt, aber dennoch viel geschafft.
Große Ambitionen erhöhen deine Leistung
Ein Aspekt SMARTer Zielsetzung, das A in SMART (englisch: Achievable, Attainable), ist die Formulierung eines erreichbaren Ziels. Der Gedanke dahinter: Ein unrealistisches Ziel ist zum Scheitern verurteilt und deswegen sollte man bei der Planung sicherstellen, dass man nicht zu hoch zielt.
Teil der Spannung und Begeisterung auf dem Weg zu einem neuen Ziel ist allerdings Ungewissheit. Das Abenteuer besteht größtenteils darin, dass alles oder vieles neu ist. Kennt man das Ergebnis hingegen schon zu Beginn, ist die Reise dorthin langweilig. Das gilt auch für andere Ereignisse: Das Autorennen eines Ferraris gegen eine Ente will kaum jemand sehen, denn das Ergebnis steht vorher fest. Spannend wird es erst, wenn Ungewissheit ins Spiel kommt und man einen Golf gegen einen Manta antreten lässt. Das ist ein echtes Kräftemessen. Larry Bird gegen Magic Johnson, Häkkinen gegen Schumacher; Björn Borg gegen John McEnroe.
Genau diese anregende Spannung kannst du jeden Tag auf dem Weg zu deinem Ziel und bei der Arbeit an deinen Projekten genießen. Wähle dafür einen ebenbürtigen Gegenspieler, der immer Zeit für dich hat: Dich selbst!
Du formulierst dein Ziel also durchaus SMART, das heißt realistisch und somit erreichbar. Doch woher weißt du, was genau für dich erreichbar ist? Egal, auf wie viele Erfahrungswerte aus vergleichbaren Herausforderungen oder von anderen Menschen du zurückgreifen kannst: 100 Prozent genau kannst du dein Limit nie einschätzen. Also setze ein realistisches Ziel – und dann addiere zehn bis zwanzig Prozent. Das ist eine wahre Herausforderung. Das hält dich auf Trab. Häkkinen und Schumacher haben sich gegenseitig zu besseren Fahrern gemacht. Ohne diese Herausforderung hätte sich keiner der beiden verbessert.
Für persönliche Ziele kann man schwer einen Rivalen finden. Also miss dich mit dir selbst. Durch dieses Vorgehen kannst du dich auf deinem Weg nicht zurücklehnen und unter Wert verkaufen. Denn im Wesentlichen versuchst du, deinen Rekord zu schlagen. Nur so verbesserst du deine Leistung. Das ist auch ein Schlüssel zur Lösung von Elfriedes Problem. Doch dazu kommen wir später.
Wenn du zu den Menschen gehörst, die morgens lieber nicht aus dem Bett aufstehen mögen, kann dieser Wettkampf mit dir selbst dein Leben verändern. Wofür aufstehen? Um es dir selbst zu zeigen. Aber so richtig.
Anders ausgedrückt: Diese Gewohnheit ist das Vorhaben und der aufrichtige Versuch, jeden Tag etwas besser zu sein als am Vortag.
So stärkst du deinen Charakter
Wenn du auf deinem Weg alles gibst, kannst du nicht lügen. Und wenn du per Gewohnheit versuchst, alles zu geben, lernst du falschen Stolz (Dünkel) vermeiden.
Vielleicht scheiterst du trotz aller Bemühungen am etwas zu hoch gesteckten Ziel. Vielleicht kommst du, statt auf dem Fahrrad sitzend, auf dem Gipfel des Berges nur an, indem du den Drahtesel schiebst, während dir die Zunge aus dem Hals hängt. Das lehrt dich Demut. Du erlebst deine Grenzen, welche wiederum zur Bescheidenheit gemahnen.
Ist Scheitern gut? Zumindest sollte es Teil des Lebens sein. Es kann einem nicht alles gelingen. Scheitern ist nur dann schlecht, wenn man sich davon entmutigen lässt. Doch vergiss nicht: Dein Ziel hast du in diesem Fall bewusst etwas zu hoch gesetzt. Also hast du trotzdem viel erreicht. Der zweite Platz bei der Tour de France ist keine Schande.
Als Absicherung hast du gewiss den Weg zu deinem Ziel portioniert, also durch kurz- und mittelfristige Ziele deine Motivation ideal genutzt und etwas über Effizienz und das Einteilen deiner Kräfte gelernt – so beschrieben in der Episode über Gewohnheit #8.
Wenn du scheiterst und trotzdem weitermachst, immer wieder zu hohe Ziele ansteuerst und daraus lernst, nennt man das: Resilienz. Elfriede ist offenbar resilient, denn sie kämpft trotz ausbleibenden Fortschritts seit Jahren hartnäckig. Das ist längst Teil ihres Charakters und diese Einstellung trägt sie in jeden Bereich ihres Lebens: Nicht unterkriegen lassen.
Ehrlichkeit, Demut, Bescheidenheit, Resilienz: Das nenne ich gute Charaktereigenschaften durch gesunden Lebenswandel.
Der Schutz vor Entmutigung und Verzagen
Wenn du dich nur für dich selbst mit dir selbst misst, kannst du nicht versagen und auch nicht wirklich scheitern. Du trägst nur eine Schuld, und zwar dir selbst gegenüber: Du musst auf deinem Weg ehrlich sein und dein Bestes geben. Wenn du das tust, bist du ein Gewinner. So wie Elfriede: Sie tut, was sie kann, und lässt nicht locker.
Bedenke: Wenn du dir realistisch zehn Ziele setzt und dann nach dieser Methode 20 Prozent aufschlägst und zwölf Ziele daraus machst und dann aber trotz aller Bemühungen nur zehn oder elf dieser Ziele erreichst, dann ist das kein Grund zur Enttäuschung.
Das bedeutet: Dieser niemals endende, steinige Pfad zu deinem besten Selbst ist der goldene Weg der Gewinner. Denn auf diesem Weg gewinnst du sogar, wenn du mal scheiterst. Immer wenn du dein Bestes gibst, hast du automatisch gewonnen.
So transformierst du deine Geisteshaltung gegenüber Arbeit
Du verlagerst mit Hilfe dieser Gewohnheit deinen Fokus weg vom Ziel hin auf den Weg, also deine Bemühung. Dementsprechend ist nicht das Ziel oder Ergebnis dein Lohn, sondern die Arbeit selbst. So kannst du dich an jedem Schritt erfreuen statt nur an der Ziellinie. Das erschließt dir praktisch niemals endende Motivation. Du folgst deinen Bestrebungen um ihrer selbst willen und nicht für ein Ergebnis.
Dieser Fokus auf dein Handeln anstelle des Ziels verbessert natürlich auch die Qualität deiner Arbeit oder anderer Bemühungen. Und es klärt den Kopf, weil du einfacher im Moment, im Jetzt der jeweiligen Handlung bleibst, statt dir den Kopf über die Zukunft zu zerbrechen.
Und das funktioniert mit jeder noch so vermeintlich niederen Arbeit. Du weißt: Wer seine Arbeit gern tut, macht sie gut. Nehmen wir an, deine Aufgabe ist das Wegkratzen von Kaugummis unter Schulbänken. Dann wird die Begeisterung dafür dir leicht fallen, wenn du dich täglich bemühst, der beste Kaugummikratzer der Welt zu sein – statt darüber zu grübeln, welcher Job wohl besser wäre.
In einer Anstellung wird dir dein Pensum oft zugeteilt und ein Ziel von außen vorgegeben. In vielen Situationen ist es möglich, mehr zu leisten. Wenn du selbst dein Ziel höher setzt, nimmst du die Kontrolle über die Situation in die Hand und gewinnst Selbstbestimmung. Man kann darüber diskutieren, ob der Arbeitgeber von deinem Mehreinsatz profitieren sollte – oder man macht es einfach, nämlich für sich selbst (ein Wettkampf für sich und mit sich selbst). Solange die Denkweise positiv bleibt und das Vorgehen nicht in Besessenheit ausartet, sollte das kein Problem darstellen.
So gibst du deiner Arbeit selbst Bedeutung und Stellenwert, statt auf die Bewertung deiner Tätigkeit durch Vorgesetzte, Kollegen, soziales Umfeld oder Gesellschaft im Allgemeinen zu schauen. Damit erübrigt sich die Frage nach Sinn oder Bedeutung deines Lebens: Sinn und Bedeutung deines Lebens sind genau das, was du entscheidest. Selbstbetrug ist dabei allerdings zwecklos. Tief im Inneren wirst du immer wissen, dass bloßes Herumgammeln auf dem Sofa dich nicht erfüllen kann.
Die Lösung für Elfriedes Problem: So bekommt sie einen knackigen und starken Hintern
Elfriede tut, was sie kann. Aber nicht mehr. Nicht aus Absicht, sondern weil sie nicht daran gedacht hat. Sie wusste: Kniebeugen sind eine gute Übung für einen starken Hintern. Doch wenn man immer nur tut, was man kann, dann wird man nicht stärker. Wenn du gelernt hast, deinen Namen zu schreiben, dann kannst du deinen Namen tausendmal schreiben: Du wirst dadurch nichts Neues lernen und daran nicht wachsen.
Und genau so geht es Elfriedes Hintern: Er tut nur, was er schon kann. Und deswegen wächst er nicht. Denn er bekommt keinen Wachstumsreiz. Die Lösung ist einfach: Elfriede muss mehr tun, als sie kann: Im Muskeltraining nennt sich ein solches Konzept: Progressive Overload. Unterm Strich ist das eine Steigerung der Leistung. Allerdings ist in Elfriedes Fall nicht eine größere Zahl Kniebeugen die Lösung. Im Gegenteil: Sie kann die Anzahl der Wiederholungen deutlich reduzieren, wenn sie künftig mit einem steigenden Gewicht arbeitet, also immer etwas mehr hebt, als sie kann. Elfriede beginnt mit den 20 Kilo Eigengewicht einer Langhantelstange und macht damit drei Sätze mit jeweils 15 Kniebeugen. Schnell gewöhnt sie sich an die veränderte Bewegung, es fällt ihr leichter – der Hintern wird stärker. Nun erhöht sie nicht die Zahl der Wiederholungen, sondern das Gewicht. Jede Woche legt sie 2,5 Kilo mehr auf die Stange. Immer ein klein wenig mehr, als sie vorher konnte. Immer ein wenig raus aus der Komfortzone.
Diese Gewohnheit stützt deine geistige (und körperliche) Gesundheit
Für die Gesundheit der Psyche ist essenziell, dass wir eine Vorstellung von der Bedeutung unseres Lebens haben, dass wir uns nützlich fühlen und somit ein Gefühl von unserem Platz im Leben haben. Das ist ein Ergebnis dieser Gewohnheit.
Die ständige Motivation, also die tägliche Vorfreude, anregende Spannung und Begeisterung – eine Form von Leidenschaft – haben sich in zahlreichen Studien als elementare Faktoren zum Erhalt der psychologischen und mentalen Gesundheit erwiesen.1
Psychologische und mentale Gesundheit wiederum wirken über Hormone direkt auf die physische Gesundheit.
Auch dein Dopaminsystem genießt durch diese Gewohnheit ideale Ansprache. Dopamin ist ein Neurotransmitter. Vereinfacht ausgedrückt ist Dopamin ein Antrieb. Wir schütten Dopamin aus, wenn wir eine Belohnung erwarten; es ist praktisch der Stoff der Vorfreude. Belohnungen in diesem Sinne können sehr klein ausfallen, etwa ein Like nach einem Social-Media-Post; ein Stück Schokolade; der Geruch von Keksen im Backofen; oder die Freude, wenn man zum ersten mal eine 50-Kilo-Hantel heben kann.
Billige Dopamin-Kicks sind solche Dopamin-Ausschüttungen, welche wir uns kaum erarbeiten müssen: Süßigkeiten, Social-Media-Gedaddel, Junk Food, Pornos usw. funktionieren, weil sie einen Dopamin-Ausstoß verursachen. Das Problem solcher Dopamin-Ausschüttungen ohne echten Einsatz: Das System wird erschöpft und man benötigt immer häufigere oder größere Belohnungen, um das gleiche Gefühl zu erhalten.
Langfristig schaffen wir den besten Ausgleich des Dopaminkreislaufs, wenn wir uns die Belohnung erarbeiten müssen: Kraftsport, Arbeitseinsatz – kurz: jegliche nennenswerte Herausforderung vor der Belohnung schützt dieses System vor einer Fehlfunktion.
Forderst du dich bei jedem Vorhaben heraus, schützt du zum einen dein Dopaminsystem. Zum anderen verstärkst du dein ohnehin positives Verhalten. Denn wenn deine Belohnung größer ist als erwartet, du mittels deiner Arbeit also elf oder zwölf anstelle deiner zehn realistisch gesetzten Ziele erreichst (ein positiver Vorhersagefehler), erhöht sich der Dopaminausstoß deutlich.2
Zusammenfassung
Gewohnheit #9: Mehr abbeißen als du kauen kannst, bedeutet: Du formulierst ein realistisches Ziel und setzt es dann zehn bis zwanzig Prozent höher an. Das funktioniert mit SMARTer Zielsetzung und Portionierung.
Damit trittst du in den Wettkampf mit dir selbst, einem ebenbürtigen Rivalen. Du genießt auf deinem Weg zu diesem Ziel eine anregende Spannung, welche dich zu Höchstleistungen motiviert: Du wächst an dir selbst.
Diese Reise stärkt deinen Charakter und fördert deine Ehrlichkeit, Demut, Bescheidenheit und Resilienz. Du lernst einen besseren Umgang mit Fehlschlägen. Mehr noch: Du kannst nicht verlieren. Denn solange du immer dein bestes gibst, kannst du nur gewinnen – zumal du dein realistisch gesetztes Ziel sehr wahrscheinlich immer erreichst.
Diese Methode transformiert deine Haltung gegenüber allen Anstrengungen im Leben eingeschlossen deiner Arbeit. Du verrückst deinen Fokus weg von der Belohnung hin auf die Tätigkeit selbst und findest dementsprechend Motivation in jedem Handschlag anstelle nur eines Zielpunktes. Damit nimmst du die Entscheidung über Sinn und Bedeutung deines Lebens in die Hand und überlässt sich nicht anderen.
Diese Gewohnheit pflegt deine mentale und damit auch deine physiologische Gesundheit. Außerdem schaffst du durch die Anstrengung einen Ausgleich deines Dopaminkreislaufs und schützt dich besser gegen billige Dopamin-Kicks.
Gewohnheit #9 ist somit ein weiteres hilfreiches Werkzeug zum Erreichen deiner Ziele und für einen gesunden Lebenswandel im Allgemeinen.
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Fußnoten
- Rice EL, Fredrickson BL. Of passions and positive spontaneous thoughts. Cognit Ther Res. 2017 Jun;41(3):350-361. doi: 10.1007/s10608-016-9755-3. Epub 2016 Feb 3. PMID: 35655861; PMCID: PMC9159683; Vallerand, R.J. The role of passion in sustainable psychological well-being. Psych Well-Being 2, 1 (2012).
- Schultz W. Dopamine reward prediction error coding. Dialogues Clin Neurosci. 2016 Mar;18(1):23-32. doi: 10.31887/DCNS.2016.18.1/wschultz. PMID: 27069377; PMCID: PMC4826767.