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Gesünder essen durch klassische Musik

Wer sich gesund ernähren oder abnehmen möchte, schaut genau hin bei der Wahl seiner Lebensmittel und ist oft bereit, viel Zeit und Geld dafür zu investieren. Jedoch übersehen wir dabei Möglichkeiten, mit einfachen Mitteln unser Essverhalten selbst zu verbessern: Wie viel wir essen, wie es schmeckt und wie es uns befriedigt, steht unter dem Einfluss dessen, was wir oft Beiwerk nennen – Teller und Besteck, Tisch und Decke, Licht und Wandfarbe, Geräusche und Musik.

Unsere Sinne beeinflussen sich gegenseitig: Wie uns eine Tomate schmeckt, hängt nicht nur ab von ihrem Aroma, sondern auch von ihrer Farbe und Temperatur, sogar von der Gabel, mit der wir sie in den Mund stecken. Die Fachbegriffe dafür sind kreuzmodale und multisensorische Wahrnehmung: Kernthemen des Bereichs Gastrophysik, denen sich Wissenschaftler wie Charles Spence widmen.1 Die Ergebnisse seiner Arbeit können wir nutzen und damit unsere Umgebung gezielt zugunsten von Genuss und Gesundheit gestalten. Zum Beispiel durch die Wahl des Geschirrs:

Die Farbe einer Kaffeetasse verändert den Geschmack des Kaffees. Wie kann das sein? Es hat nichts zu tun mit Farbpartikeln, die sich im Kaffee lösen. Sondern es ist eine einfache Folge unserer Wahrnehmung: Sie entscheidet darüber, wie Reize der äußeren Welt im Inneren unseres Körpers oder Gehirns ankommen. Unsere Wahrnehmung ist ein Filter. Sie steht unter dem Einfluss vergangener Erfahrungen, aktueller Erlebnisse und unserer Erwartungen.2 Dadurch liefert sie uns stets ein verzerrtes Bild der äußeren Realität, sie fällt rein auf optische Täuschungen und unterliegt unserer Stimmung. Und ihre verschiedenen Kanäle – Sicht, Geruch, Geschmack, Tastsinn und Gehör – beeinflussen sich gegenseitig. Genau deswegen kann die Farbe einer Kaffeetasse wirklich den Geschmack des Kaffees verändern: Kaffee aus weißen Trinkgefäßen empfinden wir als intensiver, bitterer und weniger süß.3

Die Farbe Rot verbinden wir hingegen überwiegend mit süßem Geschmack. Das gilt unabhängig vom kulturellen Hintergrund, zumal auch Tiere dieselbe Farbe als Signal für reife Früchte deuten.4 Tatsächlich schmeckt eine rot gefärbte Zuckerlösung merklich süßer als eine ungefärbte, sogar wenn sie weniger Zucker enthält.5

Auch runde Formen verbinden wir zuverlässig mit Süße. Als die Produktentwickler von Cadbury im Jahr 2013 im Zuge einer Produktüberarbeitung bei ihrem berühmten Milchschokoladenriegel die Ecken abrundeten, bekamen sie viele Beschwerden, der Riegel schmecke nun viel zuckeriger. Jedoch hatte der Hersteller die Rezeptur nicht verändert.6 Obendrein bevorzugt der Mensch emotional runde Formen gegenüber kantigen.7 Derlei Zuordnungen und Vorlieben gelten kulturübergreifend und treten bereits bei Kleinkindern im Alter von zweieinhalb Jahren auf.8 Das Gehirn des Menschen verbindet verschiedene Sinneseindrücke also nicht willkürlich miteinander. Sondern die Verknüpfungen gelten in verschiedensten Kulturen, egal ob in Indien, Nordamerika, Island oder Afrika.9

Doch wie verhelfen uns diese Erkenntnisse zu gesünderer Ernährung?

Eine Antwort geben uns gehobene Restaurants, wenn auch indirekt. Sie wissen: Das Essen schmeckt den Gästen besser und sie empfinden es als ansprechender, appetitlicher und kunstfertiger, wenn die Speise kunstvoll angerichtet ist – am besten in einer nach rechts ansteigenden Linie.10 Die Zahlungsbereitschaft steigt auch, wenn im Hintergrund klassische Musik statt Pop läuft.11 Schnellere Musik erhöht die Ess- und Trinkgeschwindigkeit.12 Einige Fast-Food-Ketten nutzen diesen Einfluss der Musik und beschallen ihre Gäste gezielt je nach Tageszeit und Andrang. So beschleunigen sie zu Stoßzeiten den Kundenfluss und können andererseits die Verweildauer (und den Konsum) ihrer Gäste erhöhen. Und zurück zur Süße: Konsonante, langsame Musik schmeckt süß. Man kann ein Gericht wirklich durch Musik würzen und dafür Zucker (oder Salz) im Schrank belassen.13

Viele Umwelteinflüsse bestimmen also, wie uns das Essen schmeckt und wie schnell oder welche Menge wir essen. Diese Einflüsse sind wissenschaftlich nachvollziehbar. Deswegen können wir sie zuverlässig nutzen und dadurch gesünder oder einfach nur mit mehr Genuss essen.

Denn je aromatischer das Essen schmeckt, desto weniger essen wir.14 Ein Blick auf das Beiwerk des Essens lohnt sich also: Hintergrundmusik, Tisch und Stuhl, Tischdecke, Form, Farbe und Material von Geschirr und Besteck und die Farbe des Lichts steuern unser Essverhalten und beeinflussen so unsere Gesundheit Mahlzeit für Mahlzeit, Tag für Tag. Wir gestalten unsere Umgebung und unsere Umgebung formt uns.

Wie soll unsere Umgebung aussehen, damit wir darin genießen und gesund essen und, falls gewünscht, leichter abnehmen können? Lassen wir Laborversuche und unpraktische Aufbauten außen vor:

  • Iss an einem stabilen Esstisch mit angenehmer Oberfläche. Oder nutze eine Tischdecke aus behaglichem Material mit neutraler Farbe (zum Beispiel beige, warmgrau).15
  • Sitze beim Essen auf einem bequemen Stuhl.
  • Wenn du beim Essen Musik hörst, wähle langsame, beruhigende Musik in geringer Lautstärke, vorzugsweise Klassik. Achte auf eine akustisch angenehme Umgebung (kein Straßenlärm, wenig Hall).
  • Iss mit gutem, schweren Besteck.16 Speise von ästhetisch ansprechendem Geschirr.17 Nutze kleinere Teller und Schüsseln ohne Rand. Darauf sehen die Portionen größer aus.
  • Gib dir ein wenig Mühe beim Anrichten. Du musst keine Kunstwerke schaffen; doch wenn die Anordnung dem Auge gefällt, schmeckt das Essen auch besser.
  • Wenn du dich an den Tisch gesetzt hast, atme dreimal tief durch, bevor du mit dem Essen beginnst. Komme im Geiste am Tisch an, stelle dich auf die Mahlzeit ein und iss sie bewusst. Nimm bewusst Anteil am Essen.
  • Gelbes Licht erhöht den Appetit. Sorge für eine neutrale Lichtfarbe.
  • Nimm beim Essen möglichst viele Eindrücke auf: Schaue jeden Bissen an und rieche häufig daran. Je mehr Eindrücke dein Gehirn vom Essen bekommt, desto besser sind Sättigung und Befriedigung. Ertaste das Essen im Mund mit der Zunge. Iss möglichst wenig Brei oder Mus sondern bevorzuge starke und vielfältige Texturen. Nutze auf keinen Fall einen Trinkhalm, denn dadurch entgeht dir der Geruch des Getränks.
  • Hitze und Kälte betäuben die Geschmacksknospen. Meide daher besonders zum Essen kalte und heiße Getränke und iss dein Essen nicht zu heiß.
  • Verstecke deine Lebensmittel und Vorräte, räume alle Lebensmittel und besonders Snacks in Schränke und Schubladen. Schon der Anblick von Essen kann Hunger oder Appetit auslösen.
  • Und, ja, probier es aus: Wenn das Dessert süßer schmecken soll, verwende nicht mehr Zucker, sondern nutze die rote Farbe zum Beispiel eines Erdbeerpürees, serviere es auf einem runden Teller und lausche beim Essen Giacomo Puccinis Nessun Dorma.


Herzlicher Dank gilt Judith Henzler, Heike Woltmann und allen anderen Stiftern dieses Beitrags mittels Patreon, PayPal und Überweisung.

Fußnoten

  1. Spence, Charles (2017) Gastrophysics – The new science of eating.
  2. Siehe auch: Olschewski, Felix (2017) Wie Anteilnahme die Ernährung verbessert. Urgeschmack.
  3. Van Doorn et al. (2014) Does the colour of the mug influence the taste of the coffee? Flavour 2014, 3:10.
  4. Spence, Charles et al. (2015) On tasty colours and colourful tastes? Assessing, explaining, and utilizing crossmodal correspondences between colours and basic tastes. Flavour 2015, 4:23
  5. Johnson, Clydesdale (1982) Perceived Sweetness and Redness in Colored Sucrose Solutions. Journal of Food Science 47(3):747 – 752, May 1982.
  6. Spence, Charles (2017) Gastrophysics – The new science of eating. p. 45
  7. Sibel S. Dazkir, Marilyn A. Read (2012) Furniture Forms and Their Influence on Our Emotional Responses Toward Interior Environments. Environment and Behavior, Vol 44, Issue 5, 2012.
  8. Velasco C., Woods AT. et al. (2015) Hedonic mediation of the crossmodal correspondence between taste and shape. Food Quality and Preference 01/04/2015, Vol. 41, p. 151 – 158
  9. Siehe auch den Bouba/kiki-Effekt.
  10. Youssef, Juravle et al. (2015) Aesthetic plating: a preference for oblique lines ascending to the right. Flavour 2015, 4:27
  11. North et al. (2003) The Effect of Musical Style on Restaurant Customers‘ Spending. Environment and Behavior, Vol 35, Issue 5, 2003; Wilson, Stephanie (2003) The Effect of Music on Perceived Atmosphere and Purchase Intentions in a Restaurant. Psychology of Music, Vol 31, Issue 1, 2003; North et al. (1998) The Effect of Music on Atmosphere and Purchase Intentions in a Cafeteria. Journal of Applied Social Psychology, Volume 28, Issue 24, December 1998 , Pages 2254 – 2273; Areni, C. S. & Kim, D. (1993). The influence of background music on shopping behavior: classical versus top-forty music in a wine store. Advances in Consumer Research, 20 336 – 340.
  12. Stroebele N, De Castro Jm (2006) Listening to music while eating is related to increases in people’s food intake and meal duration. Appetite. 2006 Nov;47(3):285 – 9; Stroebele N, De Castro JM. (2004) Effect of ambience on food intake and food choice. Nutrition. 2004 Sep;20(9):821 – 38; Roballey et al. (1985) The effect of music on eating behavior. Bulletin of the Psychonomic Society, March 1985, Volume 23, Issue 3, pp 221 – 222; McElrea, Standing (1992) Fast Music Causes Fast Drinking. Perceptual and Motor Skills, Vol 75, Issue 2, 1992.
  13. Kantono K (2016) Listening to music can influence hedonic and sensory perceptions of gelati. Appetite. 2016 May 1;100:244 – 55; Kantono, K (2015) The effect of background music on food pleasantness ratings. Psychology of Music, Vol 44, Issue 5, 2016
  14. René A De Wijk (2012) Food aroma affects bite size. Flavour 2012, 1:3.
  15. Leinen finde ich Klasse. Vielleicht so etwas von Linen & Cotton.*
  16. Zum Beispiel so etwas: WMF Palma Besteck-Set*
  17. Es muss sich hochwertig anfühlen und gefallen. Es kann bunt sein (zum Beispiel so: Creatable Kombiservice*), dann sollte man allerdings nicht den Einfluss der Geschirrfarbe auf den Geschmack vergessen.)

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