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Fehlgeburt. Das ist ein Wort, das niemand gerne hört. Fehlgeburt. Das klingt hässlich und das ist es auch. Ich habe zusammen mit meiner Frau drei Fehlgeburten erlebt. Wir sind, wie man wohl sagt, unfreiwillig kinderlos. Und es war hart. Und ich spreche heute darüber, weil das wichtig ist.
Wir sprechen nämlich viel zu wenig darüber. Fehlgeburten sind ein Tabuthema. Ich sehe hier gerade eine Seite im Internet von Quarks.de, da geht es um Fehlgeburten. Da steht drüber „Wir sollten offener über Fehlgeburten sprechen.“ Und das geht los mit: „Darum geht’s: Jede sechste schwangere Frau hat eine Fehlgeburt.“ Das ist eine ganze Menge übrigens.
Und dann gibts eine Menge Zahlen. Und da wird gesagt „ab der 24. Schwangerschaftswoche und unter 500 Gramm und vor der 24. Schwangerschaftswoche…“ und so weiter – ab wann das wirklich eine Fehlgeburt ist. Das spielt gar keine Rolle
Dann geht es um Häufigkeiten von Fehlgeburten. Ich hatte damals gelesen von „20% aller Schwangerschaften enden in einer Fehlgeburt.“ Das spielt keine Rolle. Man muss immer das Alter beachten. Und ich glaube allen Menschen, die darüber nachdenken, Kinder zu kriegen, denen ist bewusst, dass so etwas passieren kann. Aber weil so wenig darüber gesprochen wird, haben sie keine Vorstellung, wie wahrscheinlich das eigentlich ist, dass es passiert.
„Die meisten Fehlgeburten passieren in den ersten drei Monaten und vier von fünf Fehlgeburten passieren in den ersten 12 Wochen“, steht hier. Das spielt keine Rolle. Das spielt alles einfach gar keine Rolle. Das sind Zahlen. Und die Zahlen interessieren überhaupt nicht, wenn es dich trifft.
Meine Frau und ich haben uns lange, lange Zeit davor schon gesund ernährt, uns viel bewegt, waren sportlich. Unser biologisches Alter wurde 20 Jahre unter dem, wie sagt man, chronologischen Alter angesetzt. Wir waren wirklich topfit, sehr gesund und es ist uns trotzdem passiert.
Und für viele Fehlgeburten gibt es einfach auch keine spezifische Erklärung oder spezifische Ursache. Das Problem ist, wenn man eine Fehlgeburt hatte, dann steigt damit statistisch die Wahrscheinlichkeit für eine weitere Fehlgeburt und mit der 2. Fehlgeburt steigt das nochmal. Und auch das spielt am Ende keine Rolle, wenn du ein Kind möchtest, oder mehrere, und es einfach nicht klappt.
Das Schlimmste, was passiert ist, bei uns, war, im Nachhinein betrachtet, dass die Frauenärztin uns einfach nach Hause geschickt hat. Das war ungefähr so: „Ja… trauern sie ein Bisschen und dann… in zwei bis drei Monaten können sie es wieder versuchen.“ Und das ist eine totale Katastrophe. Es ist eigentlich weithin bekannt, dass sogar bei einer glücklichen, geglückten, erfolgreichen Schwangerschaft, einer erfolgreichen Geburt bessergesagt, nicht wenige Frauen danach in tiefe Depressionen stürzen. Auch das ist ein Trauma. Auch eine erfolgreiche, gesunde Geburt ist ein Trauma. Und die Depressionen rühren daher, dass zum Beispiel das Kind nicht mehr in der Frau drin ist oder weil die Hormonspiegel sich drastisch verändern und so weiter. All das passiert sogar bei einer geglückten Geburt.
Bei einer Fehlgeburt passiert etwas viel Schlimmeres. Und hier in diesen Statistiken, die ich gerade vor mir habe, steht: „Für einige ist das ganz schwierig und für einige is das so schlimm, dass sie in Depressionen landen“, und niemand spricht darüber dass das in jedem Fall ein Trauma ist, physiologisch und psychologisch und in jedem Fall eigentlich eine psychologische wenigstens Untersuchung erfolgen sollte. Und in wahrscheinlich nicht wenigen Fällen eine Therapie erfolgen sollte – nicht nur für die Frau, sondern auch für den Partner oder die Partnerin meinetwegen.
Da kann man ganz viel darüber sprechen ob man die Ursache für Fehlgeburten behandeln kann und was es für Möglichkeiten gibt und was die Ursachen sein können. All das spielt keine Rolle, wenn es dann passiert ist.
Und wenn man darauf vorbereitet ist und weiß, dass es passieren kann – was dann? Ja, vielleicht hat man dann Angst. Und zu viel Angst. Und diese Angst zieht auch die Schwangerschaft in Mitleidenschaft. Was ist also zu tun?
Ich denke, das Bewusstsein sollte in jedem Fall trotzdem da sein. „Für viele Frauen ist eine Fehlgeburt ein schwerer Verlust“, steht hier. Ja, aber es geht noch viel weiter. Es geht um die Paare, es geht um die Partner, es geht um die, meistens, Männer, die das miterleben, die es auch sehr trifft, wenn sie ein Kind haben wollten.
Und bei uns war das so – und ich glaube das ist bei vielen so: Es hat uns beide sehr getroffen. Wir haben beide gesagt: „Hey, wir sind doch stark. Wir kommen da durch!“ Aber: Keiner von uns beiden hat gemerkt, dass er nur noch die Hälfte seiner selbst ist. Und wenn man nur noch die Hälfte seiner selbst ist, dann kann man auch für seinen Partner nicht mehr so viel da sein. Und wenn man selbst in Depressionen stürzt, merkt man das vielleicht gar nicht.
Und hier steht: „Ein Jahr nach der Fehlgeburt waren die Symptome in der Regel wieder verschwunden.“ Ja, aber was, wenn das nicht so ist? Wir hantieren hier mit ganz viel Zahlen und Wahrscheinlichkeiten und „meistens ist das so und in den allermeisten Fällen passiert gar nichts…“ Tja, aber: Was wenn doch?
Hier steht auch „Zur Trauer der Männer nach der Fehlgeburt ihrer Partnerin gibt es deutlich weniger Studien als zur Trauer von heterosexuellen Frauen. Auch Männer trauern nach dem Verlust einer Schwangerschaft. Allerdings ist die Trauer oft weniger intensiv und kürzer.“ Ist das so? „Manche reagieren relativ gleichgültig, andere brauchen therapeutische Hilfe.“ Ich glaube, alle brauchen therapeutische Hilfe. Es ist ein Trauma. Und dann kann man noch so lange darüber sprechen, dass jede sechste schwangere Frau eine Fehlgeburt erleidet und „die Tante meiner Oma der Schwester meines Bruders, die hat fünf Fehlgeburten gehabt und dann kam doch noch ein Kind und da war die schon 44 und dann hat die noch drei Kinder gehabt, die waren alle gesund“ und das hilft alles nicht. Das sind alles Kacksprüche. Und wenn dir das passiert, hilft es nicht. Und du denkst es hilft dir, aber es hilft dir nicht.
Und dann kommt die zweite Fehlgeburt und du denkst dir „Puh, naja, jetzt habe ich ja schon Erfahrung damit, dann wird es wohl nicht ganz so schlimm sein.“ Und doch: Es ist genauso schlimm. Du bist mittlerweile nicht mehr die Hälfte deiner selbst, sondern nur noch ein Viertel deiner selbst. Und kannst für deinen Partner nicht da sein und du merkst es nicht, weil du selbst ja gar nicht merkst, wie sehr es dich getroffen hat.
Hier steht: „Wenn Frauen eine Fehlgeburt haben, bekommt das Umfeld das oft gar nicht mit.“ Ja. Viele mögen da nicht drüber sprechen, weil es ein Tabuthema ist, das ist unangenehm, das ist wie über Tod sprechen. Und über Tod wird viel mehr gesprochen. Das ist eine Katastrophe und deswegen spreche ich heute darüber. Ich möchte meinen Beitrag leisten. Ich werde euch auch am Ende sagen, warum.
Hier steht: „Umgang mit Trauer wichtig. Wenn aber Ärzte und Ärztinne, Pfleger oder Freundinnen die Erfahrung herunterspielen, kann das den Prozess der Trauer beschädigen.“ Ja – absolut! „Die Betroffenen bekommen nicht die Unterstützung und Zuwendung, die sie brauchen und erholen sich vielleicht schlechter.“ Genau. Auch nach der zweiten Fehlgeburt, mittlerweile bei einem anderen Frauenarzt, wurden wir nach Hause geschickt mit den relativ lapidaren Worten: „Ja, das ist ganz schwierig, aber, also wenn Sie noch mögen, so in zwei bis drei Monaten könnten Sie es wieder versuchen.“
Hier steht: „Auch die Unterstützung und der Austausch zwischen den Partnern ist wichtig. Zum Beispiel hatten Frauen, die sechs Monate nach der Fehlgeburt immer noch stark litten, mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Partner, der nicht darüber sprechen wollte und weniger unterstützend war, als Frauen, die nach sechs Monaten nicht mehr trauerten.“ Was für eine total bescheuerte Erklärung für dieses Problem. Was ist in den vielen und sehr wahrscheinlichen Fällen, in denen beide es einfach nicht merken, wie stark sie leiden und wie sehr es sie getroffen hat? Auch da wiederhole ich: Wenn es passiert, wenn ihr eine Fehlgeburt erleidet, geht auf jeden Fall zum Psychologen.
Es hat sehr lange gedauert, zwischen den Schwangerschaften, bis wir wieder schwanger wurden. Und … tja, bei der dritten Fehlgeburt war jeder schon vorher nur noch ein Viertel seiner selbst und dann nur noch ein Achtel. Wir dachten, wir hätten uns erholt. Es war ja eine lange Zeit dazwischen. Wir hatten eine schöne Zeit gemeinsam, dazwischen. Aber natürlich steigt auch die Verzweifelung. Du gehst dann irgendwann auf die vierzig zu und denkst dir „Ja gut, irgendwann steigt dann auch die Wahrscheinlichkeit für Probleme in der Schwangerschaft; für Krankheiten, die der Säugling dann hat.“ Und so ein gewisser Druck kommt auf. Du denkst dir „Warum dauert da so lange?“ Und ich kann euch sagen: Wir haben viel geübt! Und dann passierts und die Schwangerschaft Nummer drei ist da. Und dann endet sie wieder in einer Fehlgeburt. Das hat uns zerstört. Und wir haben es nicht gemerkt. Und wieder kamen die Worte: „Gehen Sie nach Hause, erholen Sie sich und in zwei bis drei Monaten könnten Sie es wieder versuchen.“
Ich weiß nicht mehr, ob wir es noch einmal versucht haben. Ich glaube schon. Irgendwann haben wir gesagt: „Pass auf, lass uns die Sachen packen und weiterziehen im Leben. Wir können nicht ewige Jahre damit verbringen, mit dem Traum von Kindern. Es geht nicht mehr. Wir haben keine Kraft mehr.“ Das war zu spät. Ein Jahr später haben wir uns getrennt. Es war nichts mehr von uns übrig.
Es hatte wieder keinen Rat zur psychologischen Betreuung gegeben und wir haben uns keine gesucht, weil das ja auch nicht normal ist. In unserem Land, in unserer Gesellschaft ist es nicht normal zum Psychologen zu gehen. Bis vor zwanzig Jahren war es fast schon ein Zeichen von Schwäche in unserer Gesellschaft, wenn man zum Psychologen gegangen ist. Und nun ist es vorbei. Es gab keinen Streit. Wir hatten einfach keine Kraft mehr.
Hier steht ein guter Satz am Ende: „Die Betroffenen sagten, dass es sich falsch anfühlte, wenn andere ihren Verlust als Fehlgeburt bezeichneten. Ihr Erleben war, dass sie ihr Baby verloren hatten. Und es half ihnen, wenn auch andere so über ihren Verlust sprachen.“ Ja. Es ist ein schwerer Verlust. Es ist nicht lapidar, es ist nichts Beiläufiges. Man verliert sein Baby. Man verliert seine Hoffnung. Seine Familie. Seine Träume.
Und was ist die Moral von der Geschicht? Leute, ich kann es euch nicht sagen. Ich kann nur sagen: Sprecht in jedem Fall immer darüber. Sprecht vor Schwangerschaften darüber. Sprecht bei der Familienplanung, wie man es nennt, darüber. Und wenn es euch passiert sprecht auf jeden Fall darüber und geht auf jeden Fall zu einem Psychologen. Auf jeden Fall. Egal, für wie stark ihr euch haltet. Egal, für wie unerschütterlich ihr euch haltet: Eine Fehlgeburt ist ein Trauma. Und es mag sein, dass einige Menschen da besser mit umgehen können als andere. Mit Sicherheit. Menschen sind unterschiedlich. Aber das zu beurteilen sind die meisten selbst nicht in der Lage.
Habt natürlich auch nicht zu viel Angst vor einer Fehlgeburt. Die Angst ist oft schlimmer als andere was man anstellen kann, was man an schlechten Dingen essen kann, was man an schlechten Bewegungen tun kann. Sprecht darüber. Sprecht gemeinsam darüber. Sprecht darüber, was es bedeutet. Und lasst euch nicht einreden, es wäre eine Kleinigkeit, nur weil die Schwangerschaft ja erst zehn, zwölf, vierzehn oder zwanzig Wochen lang war. Sprecht darüber. Mit jedem. Speziell mit den Leuten, die ihr eigentlich nicht damit belasten wollt, mit euren Freunden, mit eurer Familie. Auch mit Menschen, die euch nicht ganz so nahe stehen vielleicht. Sprecht darüber. Das ist wichtig.
So. Das war nicht leicht. Aber es war nötig. Und ich wünsche mir, dass es möglichst vielen Menschen hilft.