Zum Inhalt springen

Essverhalten: Der Weg zu gesunder Ernährung

Gesunde Ernährung ist einfach: Man kauft gesunde Lebensmittel und isst sie. Es gibt zahlreiche unstrittig gesunde Lebensmittel, darunter dutzende Gemüsesorten und Salate. Trotzdem ernähren viele Menschen sich schlecht, trinken überwiegend Limonade und verschlingen Schokoriegel. Warum schafft es nicht jeder, sich gesund zu ernähren? Sind wir unseren Genen ausgeliefert oder ist der Körper Schuld, weil er die falschen Signale sendet? Weder noch. Die Antwort liegt auch nicht in übermenschlicher Disziplin oder schierem Glück. Gesunde Ernährung ist ein Verhalten, eine Gewohnheit. Eine Fähigkeit. Und die kann jeder lernen.

Wo fangen wir an? Bei der Macht der Gewohnheit. Gewohnheiten sparen Energie und Zeit, denn sie nehmen unserem Gehirn das Nachdenken und Entscheiden ab: Zähneputzen, Türöffnen, Schuhbinden, fehlende Bchstbn ergänzen. Sie erleichtern das Leben. Wenn wir diesen Mechanismus für gesunde Ernährung nutzen können, wird es einfach.

Geregelte Mahlzeiten sind solche Gewohnheiten. Sie geben der gesamten Ernährung Struktur und Sicherheit, indem sie für uns entscheiden: »Jetzt esse ich« und »Jetzt esse ich nicht.« Das hilft beim Einschätzen der richtigen Menge und Art der Lebensmittel und schützt vor Essstörungen. Wer ständig zwischendurch isst und knabbert, verliert beinahe zwangsläufig das Gefühl für Mengen und gesunde Lebensmittel. Dabei ist ein kleiner Hunger zwischendurch nicht verkehrt; den kann man pflegen und das Essen schmeckt hinterher umso besser. »Hunger ist nicht immer ein Grund zur Panik. Ein Tag ganz ohne Hungergefühl ist schlicht ein Tag, an dem man wahrscheinlich zu viel gegessen hat.«1

Einfach nur dann essen, wenn man Hunger hat: Dafür ist unsere Welt des verlockenden Überflusses kein passender Ort. Es mag funktionieren, wenn man seine Ernährung voll im Griff hat – vielleicht, weil man ohnehin viel Energie in sein Essen oder seine Ernährungsdisziplin steckt und weil man Genuss unwichtig findet. Alle anderen überwältigt der Hunger oft im falschen Moment: Wenn gerade nichts verfügbar ist, oder wenn der Schokoriegel gefährlich nahe liegt. Oder man überfrisst sich vor Hunger. Wer einfach auf seinen Körper hört, wird oft betrogen.

Ob zwei, drei oder vier pro Tag: Wer sich an seine festen Mahlzeiten hält, legt die Grundsteine für gesundes Essverhalten und pflegt obendrein seine Esskultur. Dabei ist zunächst einerlei, was man zu diesen Mahlzeiten isst: Die Mahlzeiten ermöglichen überhaupt erst den Überblick. Ohne Überblick kann man kaum etwas verbessern.

Um die Lebensmittel, also das Was, kümmern wir uns später. Denn wie wir essen ist mindestens ebenso wichtig. Geregelte Mahlzeiten sind nur ein Beispiel; viele andere Gesichtspunkte gepflegter Esskultur sind direkt mit der gesundheitlichen Wirkung des Essens verknüpft. Darunter die Essgeschwindigkeit: Das Essen nicht schlingen; das ist eine einfache und wirksame Angewohnheit. Der Nutzen geht über Ästhetik und Genuss hinaus und ist wissenschaftlich geprüft: Wer langsam isst, bleibt länger satt und isst weniger.2

Auch andere Bereiche der Esskultur wirken sich direkt auf die Gesundheit aus: Die Form der Teller, die Beleuchtung, die soziale Umgebung und die Vielfalt beeinflussen, was und wie viel wir essen.3 Schon die Wahl eines kleineren Tellers hilft bei der Regulierung des Appetits. Und: Allein essen ist ungesund. Wer sich in der Kantine zu den langsamen Essern mit den Salattellern setzt, begibt sich in eine Umgebung, die gesundes Essverhalten fördert.

Geregelte Mahlzeiten, gepflegte Umgebung, langsam essen: Hat man sich dieses Umfeld angewöhnt, kann man sich an die Wahl der Lebensmittel machen. Denn der schönste Vegan-Glutenfreie-Paleo-Superfood-Salat ist wertlos, wenn man ihn vor dem Fernseher reinschaufelt und zu viel davon isst.

Für gesunde Ernährung genügt es allerdings nicht, mehr Gemüse essen zu wollen: Der Wunsch ist vergebens, wenn man ihn nicht verwirklicht. Wir essen überwiegend, was wir mögen – und allzu oft steht gesundem Essen der Geschmack im Weg. Wem gesunde Lebensmittel schmecken, der isst sie selbstverständlich. Aber was, wenn man sie nicht mag? Sich das Essen hineinzwingen ist der falsche Weg, denn das erhöht die Ablehnung. Geschmack ist allerdings nicht in Granit gemeißelt; er ist kein alleiniges Resultat unserer Gene. Man kann ihn ändern; man kann lernen, die gesunden Lebensmittel köstlich zu finden. Das geht in jedem Alter.

Geschmacklichen Vorlieben sind geprägt von unserer Vergangenheit und unserem sozialen und kulturellen Umfeld. Statt alles auf einmal über den Haufen zu werfen, versprechen kleine Schritte mehr Erfolg: Kleine Mengen der bislang unbekannten, ungewohnten oder ungeliebten Gemüse immer wieder probieren. Heute eine frische kleine Möhre vor dem Frühstück; mittags etwas Rucola und dann eine Handvoll Heidelbeeren – und in der Woche darauf diese Portionen langsam vergrößern.

Oder einzelne Bestandteile der Mahlzeiten verändern, zum Beispiel: eine Orange essen, statt ein Glas Orangensaft zu trinken; handgemachtes Sauerteigbrot anstelle von Weißbrot; weniger Zucker im Kaffee; Kaffee statt Milchkaffee (oder einfach weniger Milchkaffee); weniger Nudeln, dafür mehr Gemüse; und so fort.

»Überdenke deine Vorstellung des Hauptgerichts«, schlägt Bee Wilson vor. »Statt einem großen Stück Pizza mit einem kleinen Salat könntest du einen großen Salat mit einem kleinen Stück Pizza essen. Es bleibt eine köstliche Mahlzeit.« Genau diese Betrachtung des Essens betont: Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß. Man muss nicht alle alten, geliebten Lebensmittel aus dem Leben verbannen. Meist genügt, den Speiseplan zu erweitern und am Verhältnis der Mengen zu arbeiten: Mehr Gemüse, weniger weißes Mehl; mehr Salat, weniger Dessert.

Wer seinen Geschmack trainiert und erweitert, erleichtert sein Leben, wird vielseitiger und kann sich einfacher gesund ernähren. Ähnlich wirksam ist eine weitere leicht erlernbare Fähigkeit: Das Kochen.

Je mehr Selbstgekochtes man isst, desto gesünder lebt man. Damit das funktioniert, muss man allerdings mehr können, als nur Muffins backen. Glücklicherweise ist Kochen einfach und die Zubereitung eines erstklassiges Omelettes dauert nur drei Minuten.

Süßkram. Wir Menschen mögen Süßkram von Natur aus, das ist ein uralter Mechanismus zur Sicherung des Überlebens. Daher sollten wir kein schlechtes Gewissen haben, wenn uns das Verlangen nach Zuckerzeug überkommt. Auch Sünde und Sündigen sind hier schädliche Begriffe, da sie Lebensmittel mit Moral belegen; für viele Menschen bekommt das Essen dadurch eine religiöse Bedeutung, was häufig zu gestörtem Essverhalten führt. Zuckerkram ist nicht des Teufels.

Trotzdem brauchen wir Süßigkeiten nicht zum Überleben (das Gegenteil stimmt eher: zu viel Zucker steht dem Überleben im Weg). Und Zucker spendet keinen Trost, auch wenn wir das vielleicht bereits im Säuglingsalter verinnerlicht haben. Süßigkeiten eignen sich nicht für weinende Säuglinge oder Kinder; und eine große Sahnetorte ist keine gute Belohnung für besondere Leistungen, schon gar nicht für einen Geburtstag. Zumal auch Süßkram Ansichtssache ist. Menschen reagieren auf Süße sehr unterschiedlich hinsichtlich Wahrnehmung, Vorliebe und Verlangen:4 Nicht jeder möchte seine Süße in Form von Bonbons und Schokoriegeln essen; für viele Menschen gelten erntereife Heidelbeeren oder frischer Mozzarella als Gipfel des süßen Genusses. Auch das kann man lernen. Durch aufmerksames Schmecken.

Wie geht gesunde Ernährung?

  • Gewohnheiten sind eine mächtige Hilfe: Geregelte Mahlzeiten erleichtern gesunde Ernährung durch Struktur und Übersicht.
  • Esskultur dient mehr als dem Genuss: Achtsam speisen, dem Essen Zeit und Raum geben, am Esstisch speisen, langsam kauen, Appetit pflegen, Essgeschirr, Gesellschaft – all das und mehr beeinflusst auch die Gesundheit.
  • Selbst kochen ist gesund: Je mehr Selbstgekochtes man isst, desto gesünder ernährt man sich.
  • Frieden machen mit Süßkram: Lebensmittel sind nicht gut oder böse, Kalorien sind keine Moral. Zu viel Zucker ist ungesund; neben Mäßigung hilft ein Geschmackstraining.
  • Essen ist zum Nähren da: Nicht für Dogmen, moralische Diskussionen, Nährstoffrechnungen oder ein schlechtes Gewissen. Essen ist einfach.

Siehe auch: Kindern das Essen lehren.

Fußnoten

  1. Wilson, Bee (2015) First Bite.*
  2. Ferridy, Danielle et al. (2015) Effects of eating rate on satiety: A role for episodic memory? Physiol Behav. 2015 Dec 1; 152(Pt B): 389–396.
  3. Wansink, B (2004) Environmental factors that increase the food intake and consumption volume of unknowing consumers. Annu Rev Nutr. 2004;24:455-79.
  4. Drewnowski A. et al.. (2012) Sweetness and Food Preference. J Nutr. 2012 Jun;142(6):1142S-8S.

Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.