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Kindern das Essen lehren

Gesundes Essverhalten erspart uns Krankheiten, Leistungsmängel, Figurprobleme und zahlreiche Sorgen, Unzufriedenheit, Diäten und Mühen. Es ist der Schlüssel zu einem gesunden Leben und befähigt uns zum Erreichen unseres biologischen Potenzials. Zweifelsohne sollten wir unseren Kindern genau diese Chancen nach Kräften ermöglichen. Denn sie sind unsere Zukunft, biologisch der Sinn unseres Lebens.

Möchte man einem Menschen zu gesundem Essverhalten verhelfen, muss man begreifen: Verhalten, Gewohnheiten und Geschmack kann man verändern. Sie mögen oft festgefahren wirken – auch in jungen Jahren – doch mit Geduld und dem geeigneten Vorgehen kann man selbst die schwierigsten Knoten lösen. Geschmack ist eine erlernbare Fähigkeit, die wir trainieren und so erweitern können. Scheint ein Mensch (ganz gleich, ob jung oder alt) dem zuckerigsten Süßkram hoffnungslos verfallen, muss er dieses Schicksal nicht den Rest seines Lebens hinnehmen.

Wer seinen Kindern die allerbesten Möglichkeiten mitgeben möchte, beginnt bereits vor der Geburt und bei sich selbst. Gemeint ist diesmal nicht der Wert einer gepflegten Umwelt und Gemeinschaft. Sondern der direkte Einfluss der mütterlichen Ernährung auf den Embryo in der Entwicklung. Bereits die Zeit in der Gebärmutter prägt geschmackliche Vorlieben. Ernährt sich eine Mutter in der Schwangerschaft vielseitig, lernt auch der heranwachsende Säugling zahlreiche Aromen und gewöhnt sich an sie. Das setzt sich nach der Geburt durch die Muttermilch fort, sollte sich jedoch nicht darauf beschränken. Als besonders prägend gelten der vierte bis siebte Lebensmonat zur Ausbildung des Geschmacks und es lohnt sich, möglichst früh und vielfältig zu beginnen.1 Es spricht viel dafür, schon in dieser Zeit nicht nur zu stillen, sondern kleine Portionen verschiedener frischer Lebensmittel als Brei oder ähnlich zu verabreichen. Tatsächlich deuten Beobachtungen darauf hin: Alleiniges Stillen könnte den Geschmack für Fast Food sogar fördern, weil es den Säugling nur dem gewohnten, bequemen, geliebten Geschmack aussetzt.2 Stillen ist also gut; die Ergänzung mit verschiedensten Gemüsebreien zur Geschmacksbildung jedoch besser.

Und noch etwas spricht für eine vielseitige Ernährung während der Schwangerschaft: Eine vielfältige Darmflora für die Mutter und somit auch für das Kind. Denn zumindest Mäuse verfügen nur über jene Darmbakterien, die sie von der Mutter erben.3 Somit kann sich die Darmflora über Generationen hinweg durch mangelhafte Ernährung nur verschlechtern. Möglicherweise ist eine über Hunderte Jahre dergestalt verarmte Bakterienbasis wesentliche Ursache heutiger Ernährungsprobleme.

Nach dem Säuglingsalter ist der Drops allerdings nicht gelutscht. Die Regel der sensorischen Ausbildung – der Schulung der Sinne – gilt weiterhin. Bis etwa zum Alter von sechs oder sieben Jahren durchleben Kinder ihre schwierigsten Ängste und Ablehnungen gegen Lebensmittel. Sogar danach lohnt sich das gemeinsame üben gesunden Essverhaltens.

Im Unterschied zum Säuglingsalter werden die Kinder nun allerdings nicht mehr gefüttert, sondern sie essen selbst. Und darin nehmen sie sich ein Beispiel an ihrer Umwelt. Wer sich Kinder mit einem vielseitigen Speiseplan wünscht, sollte daher mit gutem Beispiel vorangehen und zum Beispiel zeigen: Von Brokkoli stirbt man nicht.

Die Forscher einer Studie über Erziehungsstile mit Blick auf das Essverhalten fanden genau eine erfolgreiche Tendenz, um Kindern gesundes Essverhalten beizubringen: Klare Beschränkungen und Anforderungen aufstellen, zugleich sensibel auf die Wünsche des Kindes reagieren und niemals Zwang ausüben.4 Alles andere, also Zwang und ständiges Überreden, aber auch Gleichgültigkeit – das Kind essen lassen, was es möchte – führt tendenziell zu Übergewicht. Das erinnert an ein berühmtes Experiment von Clara Davis: Sie stellte Kindern eine große Auswahl gesunder Lebensmittel zur Verfügung und überließ Art und Menge allein den Probanden. Das Ergebnis waren kerngesunde Kinder, nicht zu dick und nicht zu dünn.5

Zwang lehrt Hass. Wer sein Kind zwingt, den Teller Spinat aufzuessen, sorgt für lebenslange Ablehnung dieses Gemüses.

Jedoch ist nicht nur was, sondern auch wie man isst besonders wichtiger Teil gesunden Essverhaltens. Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme. Der heimische Esstisch steht in der Privatsphäre. Er ist das Zentrum des familiären Lebens, das gemeinsame Essen der kleinste und oft einzige gemeinsame Nenner im Terminplan aller Familienmitglieder. Das Essen hier dient nicht allein der Befriedigung körperlicher, sondern auch sozialer Bedürfnisse. Verlassen wir diese Intimität und essen auswärts, trägt das weit mehr Bedeutung als ein einfacher Wareneinkauf. Da überrascht kaum: Essen Kinder regelmäßig Selbstgekochtes mit der Familie zu Hause, verzehren sie mehr Obst und Gemüse und sind glücklicher.6, 7 Ein Blick ins Tierreich verdeutlicht den Wert des geteilten Mahls: Unter Schimpansen verstärkt der gemeinsame Verzehr des als Gruppe erlegten Fleisches die sozialen Bindungen, verbessert so die Zusammenarbeit und fördert das künftige Überleben.8

Es ist ein großes Geschenk und nicht weniger als unsere Pflicht, unseren Kindern gesundes Essverhalten beizubringen und gesunde Lebensmittel mögen zu lehren. Das ist keine Raketenwissenschaft und keine Hexerei. Doch es erfordert achtsame Zeit; Zeit ist Zuneigung. Gibt es eine schönere Investition in die Zukunft unserer Familie?

Die Historikerin Bee Wilson beschäftigte sich eingehend mit der Frage, wie wir das Essen erlernen.9 Einige Ihrer Ergebnisse zur Erziehung fasse ich frei übersetzt abschließend zusammen:

  • Wenn du möchtest, dass deine Kinder besser essen, sage ihnen nicht was sie tun sollen. Iss selbst besser.
  • Wir betrachten Kinderernährung meist zu kurzsichtig. Stattdessen sollte man langfristig denken; nicht an das Leeren des Tellers in den nächsten fünf Minuten, sondern das Verhalten in den nächsten fünf Jahren. Wenn du ein Kind zwingst, einen ganzen Teller Salat zu essen, lehrst du es, Grünzeug zu hassen – und dich auch. Überzeugst du es hingegen, heute ein klein wenig zu probieren und morgen auch und übermorgen, dann besteht die Chance auf eine lebenslange Freundschaft zu Grünzeug.
  • Überreden, Bedrängen und Predigen ändert nicht, wie Menschen sich ernähren. Es funktioniert nicht bei Kindern und auch nicht bei Erwachsenen.
  • Mädchen essen besser, wenn Lebensmittel (z. B. Fleisch, Butter oder Schokolade) nichts Verbotenes mehr sind.
  • Jungen essen besser, wenn man weiterhin von Ihnen erwartet, Gemüse zu essen und wenn man sie in selbstgekochte Mahlzeiten einbezieht wenn sie älter werden.

Dazu als Merkzettel aus diesem Artikel:

  • Geschmackliche Vorlieben bilden sich bereits in der Gebärmutter, später durch die Muttermilch.
  • Gerade die ersten Lebensmonate sind effektiv zur geschmacklichen Ausbildung. Besonders in dieser Zeit hilft vielfältige Ernährung, den Geschmack für zahlreiche Gemüsesorten zu eröffnen.
  • Zwang ist kontraproduktiv; Geduld mit Forderung und Förderung in kleinen Schritten dagegen ein wirksamer Weg.
  • Gemeinsame und geteilte Mahlzeiten am Esstisch mit der Familie fördern gesundes Essverhalten bis ins Alter.

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Fußnoten

  1. Coulthard H, Et Al.. (2014) Exposure to vegetable variety in infants weaned at different ages. Appetite. 2014 Jul;78:89-94.
  2. Harris, Gillian (2008) Development of taste and food preferences in children. Curr Opin Clin Nutr Metab Care. 2008 May;11(3):315-9
  3. Sonnenburg, Ed. (2014) Starving our Microbial Self: The Deleterious Consequences of a Diet Deficient in Microbiota-Accessible Carbohydrates. Cell Metab. 2014 Nov 4; 20(5): 779–786.
  4. Vollmer RL, Mobley AR. (2013) Parenting styles, feeding styles, and their influence on child obesogenic behaviors and body weight. A review. Appetite. 2013 Dec;71:232-41.
  5. Davis, CM. (1939) Results of the self-selection of diets by young children. Can Med Assoc J 1939;41:257-61
  6. Valdes, J. (2012) Frequency of Family Meals and Childhood Overweight. Pediatr Obes. 2013 Feb;8(1):e1-e13.
  7. Hammons, AJ and Fiese, BH (2011) Is frequency of shared family meals related to the nutritional health of children and adolescents? Pediatrics. 2011 Jun;127(6):e1565-74.
  8. BBC (2015) The Hunt. Ep. 3.
  9. Wilson, Bee (2015) First Bite.*

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