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Ist gesunde Ernährung zu teuer?

Kaum jemand bestreitet: Schlechte Ernährung ist eine der Hauptursachen der Welle von Übergewicht, Diabetes und Herzkrankheiten, die uns zu überfluten droht. Und der Grund dieser schlechten Ernährung? Gesunde Ernährung sei für viele Menschen zu teuer, einigt sich unsere Gesellschaft. Stimmt das? Ist gesunde Ernährung wirklich teuer und wenn ja: Ist das tatsächlich die Ursache des Problems?

Definieren wir zuerst gesunde Ernährung. In diesem wirtschaftlichen Zusammenhang benötigen wir einen eindeutig messbaren Anhaltspunkt. Sehen wir also hinweg über Esskultur und Geist und Seele und vereinfachen auf das wesentliche Merkmal: Gesunde Ernährung ist nährstoffreich. Viele Mineralstoffe, Vitamine, Aminosäuren und Antioxidantien aus frischem Gemüse und Obst fördern die körperliche Gesundheit.

Wie vergleichen wir die Kosten? Durch die Kalorie. Denn alle Lebensmittel haben sie gemein und wir benötigen die Energie zum Überleben. Vergleichen wir also die Lebensmittelpreise pro 100 kcal. Schnell verlassen wir dann die Gemüseauslage und finden uns tief zwischen den Supermarktregalen wieder, in der Welt der Plastiktüten und Kartons. Kartoffelchips und Butterkekse sind die Champions im Preiskampf. Das verwundert nicht: Weißes Mehl, Zucker und Pflanzenfett sind die billigsten Rohstoffe. Günstiger kommt man höchstens davon, wenn man sie direkt kauft und selbst Kekse backt.

Billige Fertiggerichte, stark verarbeitete Erzeugnisse, leere Kalorien: Hier kostet der Umkarton meist mehr (und ist möglicherweise nahrhafter) als die Herstellung des Inhaltes. Ernährt man sich davon, kommt man kurzfristig unbestreitbar billiger davon als mit gesunder Ernährung: Kartoffelchips sind billiger als frischer Spargel.

Allerdings gibt es günstige, nährstoffreiche Alternativen wie die Kartoffel. Sie mag teurer sein als die billigsten Kalorien, doch nur wenig. Und nur ein Narr würde alles oberhalb des absoluten Tiefstpreises für zu teuer erklären. Discounter sind kein Maßstab für normale Preise. Selbst das Hartz-IV-Lebensmittelbudget ermöglicht ein Leben von Bio-Gemüse.1 Wer selbst zu Hause kocht, lebt günstiger gesund.

Ist also allein der Preis der Grund für die verbreitete ungesunde Ernährung? Wäre das so, müssten Haushalte mit höherem Einkommen sich besser ernähren. Das trifft jedoch nicht zu. Eine in den USA durchgeführte Studie zeigt: Die Qualität der Ernährung erhöht sich erst bei einem Einkommen entsprechend dem fünffachen Existenzminimum – und selbst dann nicht besonders.2

Dass so viele Menschen ihre glänzende Karosse mit quietschenden Breitreifen auf dem ALDI-Parkplatz abstellen und mit stur auf das neue iPhone gerichtetem Blick lederbestiefelt ihr Ziel zwischen Billigtiefkühlpizza, Billigcola und Billiggummibärchen finden, das liegt nicht an ihrem mangelnden Einkommen. Sondern: Es ist einfach und bequem und es schmeckt ihnen.

Bequem und lecker und billig: Danach strebt der Mensch von Natur aus. Es ist der Weg des geringsten Widerstandes. Vergessen wir für den Moment, dass die billige Ware tatsächlich nicht günstig ist (weil sie versteckte Kosten trägt) und auch nicht wahrhaft lecker (weil sie aromatisch verarmt ist; man vergleiche das nur mit halbwegs anständig selbstgekochtem Essen): Sie bleibt bequem. Wer will das nicht?

Wer sind die Menschen, die an dieser Stelle Nein sagen? Wer verzichtet auf die Bequemlichkeit, den scheinbar billigen Preis, die schnelle Befriedigung durch Salz, Zucker und Fett? Das sind Menschen in allen sozialen Schichten. Solche, denen gutes Essen wichtig ist, aus den unterschiedlichsten Gründen. Einige nennen es gesund, andere anständig, wieder andere wollen genießen, und zwar richtig und kultiviert.

Die einen kochen jede Mahlzeit selbst, backen sogar wöchentlich ihr eigenes Brot. Andere beschränken sich nach dem werktäglichen Kantinenessen auf das Kochen am Wochenende. Das ist ihr jeweiliges Selbstverständnis und das beruht auf Selbstachtung.

Es ist weniger bequem und es kostet etwas mehr Zeit als das Hasten und Schlingen in der Burgerschleuder. Und Zeit, die ist begrenzt. Wollen wir uns aber wirklich verstecken hinter der alleinerziehenden Mutter dreier Kinder, die in vier Jobs arbeitet, für die sie täglich fünf Stunden mit sechs Bussen fahren muss? Wie viele solcher Einzelfälle gibt es?

Was ist mit den Millionen, die ihre Zeit vor der Glotze verpennen? Auf dem Tisch ein Bier, die Tiefkühlpizza daneben nur halb gegessen, der Rest kommt in den Müll; gleich erstmal auf den Balkon, eine Kippe, dann schön Eiskonfekt und ’ne Packung Butterkekse.

Die Wahrheit schmeckt weniger, sie kratzt im Hals, liegt schwer im Magen: Wir sind nicht einfach Opfer der Wirtschaft oder gar des Lebens. Wir sind selbst verantwortlich.3 Jeder hat das Recht, das Privileg und die Pflicht, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen. Wer das begreift und selbstbestimmt lebt, gewinnt Selbstachtung. Selbstachtung kann jeder haben, auch der ärmste Bettler.

Selbstachtung erschwert den täglichen Selbstbetrug. Kaufst du die Tüte Kartoffelchips wirklich, weil sie billiger ist als der Sack Kartoffeln? Und die drei Flaschen Cola landen ehrlich nur deswegen im Einkaufswagen, weil du dir das Pfund Bohnen nicht leisten kannst? Könnte es sein: Du bist ein fauler Sack und schaust dir lieber Angst, Hass, Titten und den Wetterbericht im Vorabendprogramm an, statt die halbe Stunde in der Küche ein kleines Festmahl zu kochen?

Die Antworten können schmerzen. Wir sind keine Opfer unserer Gesellschaft, sondern Mittäter in der Nahrungskette. Jeder Einkauf ist ein Stück Demokratie, eine Wahl mit der Geldbörse für oder gegen ein Lebensmittel. Wir gestalten dadurch unsere Umwelt sozial, ökonomisch, kulturell.

Natürlich gibt es Extremfälle und wir haben ein Verteilungsproblem. Doch für jeden, der wirklich jeden Cent zweimal umdrehen muss und auf die allerbilligsten Kalorien angewiesen ist, gibt es Hundert, die sich aus reiner Bequemlichkeit und Genusssucht gegen gesunde Ernährung entscheiden.

Fußnoten

  1. Siehe auch: Olschewski, Felix (2012) Was kostet gesunde Ernährung? Urgeschmack.
  2. Hazel A.B. Hiza. et al.. Diet Quality of Americans Differs by Age, Sex, Race/Ethnicity, Income, and Education Level. Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics. February 2013, Volume 113, Issue 2, Pages 297–306.
  3. Siehe auch: Fast, Sascha. Das Prinzip der bedingungslosen Verantwortung. ME Improved. 28 Jan. 2016.

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