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Wie wirken Polyphenole?

PolyphenolePolyphenole gehören zu den sekundären Pflanzenstoffen. Sie haben maßgeblichen Einfluss auf Farbe, Geschmack und Mundgefühl pflanzlicher Lebensmittel – und auf die Gesundheit des Menschen. Ebenso wie die Flavonoide, eine Untergruppe der Polyphenole, verstehen Forscher auch die gesamten Polyphenole noch nicht vollständig. Von antioxidativer Wirkung ist oft die Rede bis hin zur Vorbeugung gegen Krebs. Doch was stimmt?

Was sind Polyphenole?

Phenole sind Verbindungen aus einem sogenannten aromatischen Ring und mindestens einer Hydroxygruppe (= Sauerstoff + Wasserstoff). Polyphenole sind Verbindungen mehrerer Phenole. Hier sehen Sie links ein Phenol und rechts ein Polyphenol:

  

Wie schon beschrieben sind Polyphenole unter anderem verantwortlich für Farbe, Geschmack und Mundgefühl von Pflanzen.

Was machen Polyphenole?

Wissenschaftler finden in Experimenten immer wieder neue, positive Einflüsse der Polyphenole auf den Menschen. Sie wirken antioxidativ, binden Freie Radikale und können so verschiedene Alterungsprozesse hemmen. Sie können den Blutdruck regulieren, Fettoxidation verhindern, Arteriosklerose vorbeugen und die Blutfettwerte verbessern.

Doch wie das genau passiert, weiß man nur in wenigen Fällen. Es gibt dazu verschiedene Theorien. Die einfachsten lauten, dass zum Beispiel die Antioxidatien direkt im Blut ihre Wirkung entfalten. Das klingt plausibel und man möchte meinen, es wäre ratsam, so viele Polyphenole zu essen, wie man bekommen kann. Aber ist das wirklich sinnvoll?

Wie funktionieren Polyphenole?

Es ist nicht einfach, die präzise Funktionsweise einzelner Moleküle in einem so komplexen System wie dem menschlichen Körper zu entschlüsseln. Deswegen kennen wir diese Prozesse noch nicht mit Sicherheit und können nur beobachten und Theorien aufstellen. Und genau diese Beobachtungen führen zu unterschiedlichen, plausiblen Theorien. Einige davon widersprüchlich. Dr. Stephan Guyenet beispielsweise fasst seine Skepsis gegenüber Polyphenolen etwa so zusammen:

  • Pflanzenfressende Tiere (Menschen eingeschlossen) haben Abwehrmechanismen gegen einige Polyphenole entwickelt.
  • Mit der Nahrung aufgenommene Polyphenole absorbiert der Körper nur schlecht, andere Anitoxidantien wie Vitamin C und E nimmt er besser auf und sie liegen im Blut in wesentlich höherer Konzentration vor.
  • Polyphenole, die die Darmbarriere durchdringen, werden schnell von der Leber abgebaut, so wie andere Fremdstoffe auch.
  • Die antioxidative Wirkung der Polyphenole wurde bislang nur in hohen Konzentrationen im Reagenzglas gemessen. Solche Konzentrationen kommen allerdings im Menschen praktisch nicht vor (andere Antioxidantien sind höher konzentriert, s.o.)
  • Nach dem Verzehr Polyphenol-haltiger Lebensmittel steigt die antioxidative Kapazität des Blutes. Allerdings kann dies auch durch die meist in den Lebensmitteln enthaltene Fructose (zum Beispiel in Obst) zurückzuführen sein, denn diese sorgt für eine Erhöhung des Harnsäurespiegels – Harnsäure wirkt ebenfalls antioxidativ.
  • Experimente mit Nagetieren zeigen in der Regel, dass Polyphenole in sehr großen Dosen gesundheitsförderlich sind. Diese Mengen überschreiten allerdings das, was eine Person auf natürlichem Wege essen könnte. Folglich ist denkbar, dass die Tiere einer Kalorienrestriktion unterlagen, weil ihre Nahrung fürchterlich geschmeckt hat.

Mit anderen Worten:

  1. Der Körper behandelt Polyphenole wie schädliche Fremdkörper.
  2. Die bisher untersuchten Konzentrationen haben praktisch keine Relevanz.

Weiterhin legt eine Übersicht von Studien nahe, dass Polyphenole sogar prooxidative Auswirkungen haben können – also zunächst das Gegenteil von dem bewirken, was wir ihnen oft unterstellen. Auch hat man herausgefunden, dass bei völligem Verzicht auf Obst und Gemüse unter Umständen der oxidative Stress sinken kann.

Sind Polyphenole gesund?

All diese Beobachtungen lassen nun die folgende Theorie zu: Polyphenole sind Giftstoffe, die in geringen Mengen den Organismus so stressen, dass er seine Verteidigungssysteme hochfährt. Das entspricht dem Konzept der Hormesis:

Das Phänomen, dass kleinste Dosen einer eigentlich giftigen oder schädlichen Substanz oder Strahlung positive Wirkung haben kann.

Paracelsus formulierte das bereits im 16. Jahrhundert: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei.“

Ein Beispiel für Hormesis ist Muskeltraining: Krafttraining zerstört Muskelgewebe, welches danach vom Körper wieder aufgebaut wird – und zwar stärker. Dauerhafter Stress wie tägliche Marathonläufe hingegen können tatsächlich auch zu einer dauerhaften Beschädigung der Muskeln führen (beliebt ist hier auch der Vergleich der Statur eines Sprinters mit der eines Marathonläufers).

Hormesis funktioniert nicht nur direkt: Die Belastung mit einem Stressor kann auch die Resistenz gegen andere Stressoren erhöhen. So fanden Forscher heraus, dass der langfristige Konsum dunkler Schokolade auch die Resistenz gegen Sonnenbrände erhöhen kann (ja, richtig gelesen).

Fazit

Polyphenole haben offenbar wirklich positive Auswirkungen auf den Menschen. Aber der Wirkungsweg und ihre genaue Funktionsweise ist nach wie vor unklar.  Die Theorie, dass sie für den Organismus Stressoren sind, die das Immunsystem stärken, klingt zumindest plausibel. Dies legt nahe, dass es sinnvoll ist, sich von möglichst vielfältigem, buntem Obst und Gemüse zu ernähren.

Es lässt jedoch auch vermuten, dass eine Supplementation, also die Einnahme zusätzlicher, womöglich isolierter Polyphenole zum Beispiel in Tablettenform, eventuell eher eine Überdosis darstellt und somit tatsächlich ungesund ist.

Eine spannende Frage ist gewiss auch, inwieweit das Konzept der Hormesis beim Verzehr geringer Mengen Lektine Gültigkeit hat und ob diese nicht auch eine positive Wirkung auf den Menschen haben können.

Quellen und weiterführende Informationen:

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