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Bio ist eine Sackgasse

Bio ist eine SackgasseBio gehört der Europäischen Union. Ökologischer Landbau auch. Die Begriffe sind von dieser Institution in Zusammenarbeit mit der Industrie gesetztlich definiert. Motivation und Hintergrund sind daher politisch und wirtschaftlich. Sollte eine dieser Perspektiven eine Änderung der Richtlinien erfordern, kann sie mühelos vorgenommen werden. Die Interessen sind wirtschaftlicher Natur, doch das Interesse gilt nicht der Natur. Wer hier einen Ausweg aus der konventionellen Produktion sucht, findet sich schnell in einer Sackgasse.

Die kurze Geschichte des Ökologischen Landbaus

Die Produktion von Lebensmitteln mit ausdrücklich ökologisch nachhaltigen Methoden begann vor rund 90 Jahren als Alternative zur beginnenden Industrialisierung der Agrarwirtschaft, welche nach dem zweiten Weltkrieg an Fahrt gewann. Sie wurde zunächst belächelt und ignoriert. Doch zeigte sie sich über Jahrzehnte hinweg stark. Letztlich entschied die Industrie, ihre Taktik zu wechseln von Ignoranz und Bekämpfung hin zu Assimilation: Sie übernahm die Kontrolle über den Bio-Bereich, standardisierte alles nötige und schützte den Begriff gesetztlich in Zusammenarbeit mit der Politik. Wer ökologischen Landbau betreibt, darf dies nun erst dann so verkaufen, wenn er sich teuer und aufwendig zertifizieren lässt. Das sei im Interesse der Verbraucher, so die Politik.

Die Hüter des Landes und die Jäger des Profits

Das Problem: Der Ursprung der ökologischen Landwirtschaft steckt in dem Willen, Lebensmittel so zu produzieren, dass die Natur nicht darunter leidet. Ein Öko-Landwirt verstand sich als „Hüter des Landes“, er erkannte die großen Kreisläufe der Natur und die Notwendigkeit, diese zu erhalten und zu studieren, um sie bestmöglich nutzen zu können.

Für die Industrie ist jedoch nur Profit relevant. Direkt messbar und möglichst kurzfristig. Sie betrachtet den Bauernhof als Fabrik, das Tier als Produktionsmittel und den Landwirt bestenfalls als Arbeitseinsatz.

Zerzauste Bio-Hennen und Marienkäferplagen

Und genau das wird offenbar, wenn man seinen Blick in einen Bio-Legehennenstall nach EG-Öko-Verordnung wirft: Tausende zerzauster, blasser Tiere existieren hier, der Großteil findet den Ausgang in das Freigehege nicht oder traut sich mangels naheliegender Deckung nicht nach draußen. Dies klingt ungesund und sieht auch so aus. Das Produkt, die begehrten Eier mit der Produktionsmethode 0, verdeutlichen es: Blasses Eigelb, wässriges Albumin, schwacher Geschmack. Es gibt kaum adäquates Bio-Futter, damit Bio-Landwirte ihre Bio-Legehennen mit genügend Bio-Nährstoffen versorgen können, um die hohe Legeleistung zu ermöglichen.

Bio repräsentiert damit genau die Agrarfabriken, die viele Verbraucher mit dem Griff zum grünen Siegel gerade nicht unterstützen wollen. Dies bezieht sich nicht allein auf das Wohlergehen der Tiere, denen es hier durchaus besser gehen mag als ihren Artgenossen im Käfig. Es bezieht sich auf alle sozialen und kulturellen Implikationen. Der Viehwirt hält hier keine einzelnen Tiere, sondern eine Tiermasse aus 10-, 15- oder 20 000 Vögeln.

Angesichts dieser Menge kommt er gar nicht umhin, seine Tiere als gesichtsloses Produktionsmittel zu betrachten, er verliert den Kontakt zum Tier und zur Natur, wird selbst zum Sklaven des Apparats. Die Investition in Stall und Tiere ist währenddessen ein so großes Damoklesschwert, dass sie den Rest des Denkens einnimmt.

Zur gleichen Zeit bekommt an einem anderen Ort ein Bio-Gemüsegärtner wieder eine neue Lieferung Marienkäfer aus Asien als Bio-Schädlingsbekämpfungsmittel für das Bio-Gemüse. Die EG-Öko-Verordnung und sein Anbauverband erlauben ihm den Einsatz der jährlich importierten Tiere, die nach dem Fressen der lokalen Blattläuse gerne auch mal ausbrechen und das Ökosystem in anderen Teilen des Landes durcheinander bringen.

Ist die Natur mangelhaft?

All diese Geschichten ist gemein, dass sie lediglich eine Variante der konventionellen, industriellen Agrarwirtschaft sind. Sie demonstrieren die Suche nach einer schnellen Lösung. Sie offenbaren, als was diese Art der Landwirtschaft Natur, Tiere und die damit arbeitenden Menschen betrachtet: Als ein mangelhaftes Produktionssystem. Die Probleme seien inhärent und es müssten externe Lösungen gefunden werden, um sie zu lösen. Behandelt werden Symptome, nicht Ursachen. Fossile Brennstoffe sind stets Teil dieser Lösung, ebenso wie die Abhängigkeit vom Agrarindustrie-Apparat für Bio-Futtermittel, Bio-Düngemittel und Bio-Pflanzenschutzmittel.

Vergleichbar ist dies mit Ärzten, die unter dem Einfluss der Pharmaindustrie Pillen, Tränke und Operationen verschreiben statt auf Alternativen zu destruktiver Süßkram-Ernährung, Dauerstress und Luftverschmutzung hinzuweisen.

Mit dem, was Pioniere wie Sir Albert Howard vor über 90 Jahren begannen, hat das nichts zu tun: Sie erkannten, dass die Natur perfekt ist, dass man von ihr lernen und sie unterstützen kann. Sie sahen den Wert der Bodenlebewesen, die Wichtigkeit des Humus, die Gesundheit der Wurzeln. Sie wussten, dass Pflanzendünger ebensowenig eine adäquate Ernährung für Pflanzen ist, wie eine Infusion eine befriedigende Mahlzeit darstellen kann. Und sie erfroschten die Ursachen für erkrankte Pflanzen und behandelten diese. Sie sahen mehr als nur Humus: Sie betonten die Wichtigkeit einer Abtimmung von Ökonomie und Ökologie auf dem Hof, des Verhältnisses zwischen Mensch und Umwelt, sozialer Beziehungen und von Tieren in den Stoffkreisläufen des Hofes.

Es steckt mehr unter der Oberfläche

Eliot Coleman, Farmer und Autor, unterscheidet hier sinngemäß zwischen „Flach-Bio“ auf der Industrieseite (nennen wir es „Industrie-Bio“)  und „Tief-Bio“ auf der geistigen Seite (nennen wir es „Bio im Geiste“). Ein Bio-Siegel garantiert nur das Minimum der Richtlinien – Flach-Bio eben. Es schließt Bio im Geiste nicht aus, doch der Unterschied ist gewaltig.

Diesen Unterschied können Sie dramatisch schmecken, wenn Sie die Gelegenheit haben, in eine mit Liebe vom Nachbarn gezüchtete Karotte beißen und dies vergleichen mit dem, was Ihnen der Bio-Stand auf dem Wochenmarkt oft anbietet: Orangefarbene Wasserstangen.

Coleman beschreibt den Unterschied treffend mit einem Vergleich: Zwei mal habe er die Gelegenheit gehabt, großartige Musiker in einer intimen Umgebung ohne Verstärkeranlagen zu hören. Das Erlebnis der klaren, puren Töne mit all den Subtilitäten, welche Mikrofone und Verstärkeranlagen nicht übertragen können, war für sein Ohren so nahrhaft, dass er sich noch viele Jahre danach daran erinnert. Die ungefilterte Musik sei wie die Bio im Geiste gezüchtete Karotte, die Musik durch eine Verstärkeranlage wie ein von weither herangeschifftes Produkt der Bio-Industrie.

Die Bio-Industrie schützt uns nicht vor Dioxin-Skandalen oder vor EHEC-Epidemien. Sie schützt nicht vor geschmacksbefreiter Ware oder vor desinteressierten Verkäufern. Sie schützt auch nicht den kleinen landwirtschaftlichen Familienbetrieb, sie fördert keine Beschäftigung mit natürlichen Kreisläufen.

Bio ist nicht entscheidend

Entscheidend ist, dass sich der Verbraucher nicht auf ein Siegel verlässt, sondern sich bewusst mit seiner Ernährung auseinandersetzt. Das ist wichtig für ihn selbst und seine Gesundheit. Und es ist wichtig für seine Umwelt, die Natur und unser aller Zukunft.

Statt auf die Bio-Ware aus Argentinien oder Neuseeland zu vertrauen oder das Siegel vom Kartoffelproduzenten am anderen Endes des Landes, ist offenbar wesentlich effektiver, den Landwirt um die Ecke kennenzulernen und sich anzuschauen, wie er wirtschaftet. Wenn er ohne Chemikalien auskommt, wenn er nachhaltig wirtschaftet und verantwortungsvoll mit Ressourcen umgeht, warum dann nicht durch den Kauf seiner Produkte seine Arbeit unterstützen, auch wenn er sich die teure Bio-Zertifizierung nicht leisten mag? Wenn seine Möhren besser schmecken und gesünder sind, wer hat dann recht: Seine Methode oder das staatliche Siegel?

Fazit: Bio ist eine Sackgasse

Meine eigene Erfahrung zeigt immer wieder, dass der Griff zu Bio- oder Anbauverbandssiegeln wie Bioland oder Naturland nur selten zum besten Ergebnis führt.

Ich verwende keine Bio-Eier, sondern die von Nachbars Hühnern. Das Fleisch in meinem Gefrierschrank stammt nicht vom Bio-Hof, sondern aus der kleinen Weidehaltung vom Herrn Behrens, die ich beide gut kenne. Die Haltungsmethode ist über jeden Zweifel erhaben, das Fleisch ist immer erstklassig. Und wenn doch mal etwas merkwürdig erscheint, dann sprechen wir darüber und lernen beide etwas draus. Die besten Birnen bringt eine Nachbarin manchmal im Herbst vorbei und die besten Heidelbeeren pflücke ich im August auf der nahegelegenen Plantage.

Keines dieser Produkte trägt ein Bio-Siegel, keiner der Produzenten könnte sich die aufwendige Zertifizierung leisten. All diese Produkte sind „Bio im Geiste“, sie entstehen nachhaltig, ökologisch verantwortlich und sie übertreffen hinsichtlich der Qualität alles, was ich sonst für weitaus mehr Geld am Bio-Markstand kaufen müsste. (Dazu eine Anekdote: Die billigen Bio-Karotten vom örtlichen Discounter schmecken mehr nach Karotte als das gleichnamige Produkt vom örtlichen Bio-Bioland-Gemüsehändler. So viel zum „Qualitätssiegel“.)

Der Ausweg aus der Bio-Siegel-Sackgasse

Sollte man also stattdessen immer konventionelle Ware kaufen? Nein. Im Supermarkt ist Bio-Ware gewiss zumindest in der Regel die bessere Wahl. Doch wer ernsthaft an seiner Gesundheit und somit an seiner Ernährung interessiert ist, sollte sich möglichst bald auf den Weg machen, die Erzeuger seiner Lebensmittel persönlich kennenzulernen und sie häufiger besuchen als seinen Hausarzt. Wochenmärkte sind ein guter Ausgangspunkt für diese Suche, doch auch Telefonbuch und Internet geben Auskunft über die Erzeuger der Region.

Bio-Produkte oder die Anbauverbände wie Naturland, Bioland und Co. können der Startpunkt einer solchen Suche sein, jedoch nie zugleich das Ende.

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