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Wo sind die guten Gemüsesorten?

Wer sich beim Gemüsekauf nach Früchten mit intensiverem Geschmack sehnt, stößt bald auf eine plausibel wirkende These: Moderne Sorten sind ertragreicher, alte enthalten dafür mehr Nährstoffe und sie schmecken besser. Hoher Ertrag steht gegenüber gutem Geschmack. Demnach kann die industrielle Landwirtschaft nur geschmacklose Ware erzeugen um effizient zu bleiben; das leckere Gemüse aus alten Sorten wächst zu spärlich und wuchert dafür im Preis. Folgen kann man diesen Schlüssen leicht, allerdings wurzeln sie nicht im Boden der Tatsachen.

Der ökologische Landbau gilt als weniger effizient als der konventionelle Sektor1. Offen bleibt dabei die Frage nach dem Maßstab für Effizienz. Separierte Werte wie das Ertragsvolumen oder die Erntegeschwindigkeit zeichnen ein unvollständiges Bild und lassen die nötigen Inputs (Zugänge, Aufwendungen) wie synthetische Stickstoffdünger und externalisierte Kosten durch Umweltschäden und andere Langzeitfolgen außer Acht.

Was die konventionelle Industrie als Wundersorten der Grünen Revolution anpreist, ist nur dann ertragreicher, wenn man die Erträge je einzelner Feldfrucht betrachtet, glaubt man der indischen Wissenschaftlerin Vandana Shiva. Eine ökologisch nach­haltige Fruchtfolge mag auf der gleichen Fläche weniger Weizen produzieren. Addiere man jedoch die übrigen Lebensmittelerträge aus der Fruchtfolge wie Gerste oder Hafer, produziere der ökologische Landbau insgesamt mehr Lebensmittel2. Gentechnisch veränderte Anbaupflanzen haben uns in den vergangenen 30 Jahren weder bessere Erträge, noch geringeren Pestizideinsatz gebracht, stellen auch Karl Russel und Danny Hakim von der New York Times im Vergleich zwischen den USA und Westeuropa fest3.

Shiva hinterfragt auch die bloße Bezeichnung der Sorten als ertragreich. Denn das suggeriert, die Samen selbst seien ertragreich. Ihr eigentliches Merkmal ist jedoch: Sie reagieren stark auf Schlüsseleingaben wie Dünger und Wasser. Ohne diese zusätzlichen Eingaben tragen die betroffenen Sorten weniger als einheimische Kultivare. Der zugewonnene Ertrag verblasst zudem verglichen mit dem zusätzlichen Input.

So benötigt moderner Weizen mehr Wasser als traditionelle Sorten. Die bis zu vierzig Prozent höheren Erträge wachsen aus einem dreimal so hohen Wasserverbrauch gegenüber traditionellen Sorten. Ursache ist die Natur der neuen Züchtungen: Um höhere Erträge zu ermöglichen, entwickelte man Weizen mit kurzen, kompakten Halmen (engl. dwarf wheat), welche die schweren Ähren ohne Abknicken tragen können. Dieser Eingriff verkürzte allerdings auch die Wurzeln der Pflanze, wodurch sie weniger Wasser einbehalten. Vielen Ländern starteten daraufhin enorme Bewässerungsprojekte4. Zu den Folgen solcher Projekte gehört in jüngster Zeit das nahezu vollständige Austrocknen des Aralsees – 1960 noch viertgrößter See der Welt, heute die Wüste Aralkum.

Moderne Obst- und Gemüsesorten schmecken nicht mehr wie noch vor dreißig Jahren und sie enthalten erheblich weniger Nährstoffe5. All diese Nachteile erklären den Trend, nach Alten Sorten (engl. heirloom) zu suchen und viel Geld dafür zu bezahlen. Allerdings führt auch das nicht ans Ziel. Wichtig ist nicht das Alter der Sorte, sondern ihr Aroma, ihr Nährstoffgehalt, ihre Robustheit und die Anpassung an die lokalen Anbaubedingungen. Auch das, was wir heute Alte Sorten nennen, wurde über Genera­tionen gezüchtet und stetig weiterentwickelt. Am alten Zustand festzuhalten wäre weltfremd, solange man die Pflanzen kompromisslos verbessern kann. Sorten stagnierten nie, sondern waren immer Gegenstände der Veränderung gemäß Zucht, Umwelt und Klima6. Auch die Natur steht nie still.

Ertrag steht zudem nicht zwingend im Widerspruch zu Geschmack. Besonders bei wasserarmen Früchten wie Getreide sei es möglich, gleichzeitig zugunsten Geschmack und Ertrag zu züchten, bestätigt Dr. Stephen Jones, Züchter an der Washington State University7.

Das oft schlechte Image moderner Pflanzensorten hat einen einfachen geschichtlichen Hintergrund: Traditionell sammelte und selektierte jede Gemeinde eigene Samen. So entstanden weltweit tausende lokal adaptierter Sorten. Diese waren nicht statisch, sondern entwickelten sich stets weiter angepasst an Umwelteinflüsse und kulturelle Vorlieben. Diese große Vielfalt endete Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Entwick­lung von Hybridsaatgut: Hochleistungspflanzen, die sich nicht nachbauen lassen. Landwirte bezahlen die höheren Erträge durch die Notwendigkeit, jedes Jahr neues Saatgut kaufen zu müssen – statt, wie bei den traditionellen, samenfesten Sorten selbst Samen fürs nächste Jahr zurückzubehalten.8

Hybridsorten verdrängten international schnell tausende Jahre genetischer Verfeine­rung der herkömmlichen Landsorten und sind heute auch im Ökolandbau üblich9.

Heute sind Hybridsorten die Neuen mit dem zweifelhaften Ruf. Jedoch ist nicht jede neue Sorte ein Hybrid und noch immer erhöht die Arbeit mit Landsorten die Vielfalt und Sicherheit des Landbaus – wenn auch im kommerziell kleinen Rahmen. Die tradi­tionelle Samenselektion erfolgt dabei weniger gesteuert durch oberflächliche Effizienz und legt die Eigenschaften neuer Kultivare in die Hände der Natur. Dadurch entstehen neue Aromen und bessere Schädlingsresistenz, welche zu höherer Widerstandsfähigkeit (Resilienz) der Land­wirtschaft führt. Welches der vielen unbekannten Gene die Natur in einer neuen Gene­ration freischaltet, erstaunt auch erfahrene Forscher wie Dr. Jones, der an tausen­den Varietäten gleichzeitig arbeitet, immer wieder.

Die geschmacklichen Unterschiede der diversen Hafer- oder Maissorten sind enorm10 und das gilt für die Nährstoffzusammensetzung gleichermaßen.

Zugunsten besseren Geschmacks, der Nährstoffe oder robusteren Landbaus auf Alte Sorten zu beharren ist daher genau der falsche Weg. Landwirtschaft ist die Arbeit mit der Natur. Die wandelt sich ständig, auch bedingt durch das Klima. An dessen lokale Eigenschaften müssen wir die Pflanzensorten anpassen, wollen wir uns nach­haltig versorgen. Insofern sollte sich kein Landwirt wundern, wenn er mit den immer gleichen Sorten, womöglich in Monokultur, Ernteausfälle erfährt. Schuld ist nicht das Wetter, sondern eine unflexible Methode der Bewirtschaftung. Nicht Land und Natur müssen sich unserem Speiseplan und unserer Erzeugung fügen. Sondern wir müssen mit den Gegebenheiten arbeiten und das Leben der Umwelt erhalten und fördern helfen, soll sie uns auch künftig noch ernähren11.

Auf der einen Seite stehen in Reih und Glied Hybridsorten, meist gezüchtet für höchste Erträge. Sie lassen sich nicht nachbauen und brechen so mit einer jahrtausendealten Tradition der Landwirtschaft. In der Regel schmecken sie offenbar nur mäßig12. Ihnen gegenüber blüht und floriert, wuchert und verkümmert die bunte Meute samenfester Sorten aus hunderten Generationen Landwirtschaft. Sie bietet Autonomie und einzig­artigen Geschmack – und mit letzterem entsprechende Nährstoffprofile13.

Als Verbraucher haben wir eine Wahl. Wollen wir unsere Lebensmittelversorgung absichern und möglichst unabhängig gestalten, sollten wir uns gegen Hybridsorten entscheiden. Die sind allerdings sogar im EU-Bio-Bereich üblich. Die meisten Bio-Anbauverbände verbieten wenigstens die durch molekular- oder zellbiologische Methoden erzeugten CMS-Hybriden. Wer bei Naturland, Bioland und Co kauft, legt also möglicherweise trotzdem Hybridsorten in den Einkaufskorb. Denn viele Land­wirte kümmern sich nicht darum, selbst Saatgut zurückzubehalten. Dadurch sind oft nicht genügend samenfeste Sorten verfügbar und sie pflanzen Hybridsaatgut, begeben sich dadurch in die Abhängigkeit vom Züchter. Nicht jedem Bauern ist das bewusst. Als Verbraucher können Sie die Situation verbessern, indem Sie nachfragen. Sind es samenfeste Sorten? Steigende Nachfrage ermutigt ein Angebot. Gespräche fördern Bewusstsein.

Einzig der Demeter-Verband schließt jegliches Hybridsaatgut aus14. Vereine wie Kultursaat e.V. setzen sich ein für die Zucht, Zulassung und Veröf­fentlichung (statt Patentierung) neuer samenfester Sorten. Mit diesem Aufwand stehen sie den großen Herstellern von Hybridsaatgut gegenüber, von denen die zehn größten sich rund 60 Prozent des Weltmarktes und somit unserer Ernährung teilen15. Intelligente Agrar­politik würde die öffentliche Zucht samenfester Sorten und entsprechende Insti­tute bevorzugt fördern, so die Ernährungssicherheit (und Ernährungs­souveränität) sicher­stellen und politische Abhängigkeit reduzieren.

Während wir den linken Zeigefinger auf die Politik richten, können wir mit der rechten Hand Gemüse aus samenfesten Sorten in die Einkaufstasche stecken. Sehen wir die Möglichkeit zum Kauf nicht, hilft ein Blick in die Augen des Landwirtes, während wir ihm unseren Wunsch darlegen. Immer und immer wieder.

Fußnoten

  1. Kuhnert et al. (2013) Ausstiege aus dem ökologischen Landbau: Umfang – Gründe – Handlungsoptionen. Thünen Report 3, Johann Heinrich von Thünen-Institut.
  2. Shiva, Vandana (2016) Myths of the Green Revolution and GMOs.
  3. Russell, Hakim. Broken Promises of Genetically Modified Crops. 29. Oktober 2016. The New York Times
  4. Shiva, Vandana (1991) The Green Revolution in the Punjab. The Ecologist, Vol. 21, No. 2, March-April.
  5. Olschewski, Felix (2016) Warum sinkt der Nährstoffgehalt unserer Lebensmittel? Urgeschmack.
  6. Barber, Dan (2014) The Third Plate.
  7. Dr. Stephen S. Jones | Dept. of Crop and Soil Sciences | Washington State University.
  8. Vielfalterleben Samenfeste Sorten versus Hybridsorten. Vielfalterleben.info.
  9. Frühschütz, Leo (2008) Hybrid-Saatgut passt nicht zu Bio – und ist trotzdem weit verbreitet. BioHandel 9|08.
  10. Zu geschmacklichen Unterschieden zwischen Getreidesorten siehe auch Olschewski, Felix (2016) Polenta, Porridge & Pap – der Brei des Lebens. Urgeschmack.
  11. Siehe auch Olschewski, Felix (2016) Was ist nachhaltige Ernährung? Urgeschmack.
  12. Geschmack und Aroma sind miteinander verknüpft, siehe auch Olschewski, Felix (2016) Lecker ist gesund. Urgeschmack.
  13. Ängst vor mangelnder Nährstoffversorgung sind in unseren Breiten trotz sinkender Nährstoffanteile dennoch oft übertrieben, siehe auch Olschewski, Felix (2016) Angst vor Nährstoffen. Urgeschmack.
  14. Stand Oktober 2016.
  15. agrarheute.com. Die größten Saatgut-Hersteller der Welt 2008. 26 Nov. 2014.

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