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Schadet Rinderhaltung dem Klima?

Schadet Rinderhaltung dem Klima?Rinderhaltung gilt als eine der Hauptursache für Treibhausgase: Die Zahlen für Methan- und Lachgas-Emissionen scheinen zu stimmen und diese Gase kurbeln den Klimawandel an. Ist vor diesem Hintergrund denkbar, dass durch Rinderhaltung gar Klima und Umwelt geschützt werden können? Und warum ist das für uns, unsere Ernährung und unsere Gesundheit so relevant?

Schadet Rinderhaltung nicht dem Klima?

Der Vorwurf ist mittlerweile mehrere Jahrzehnte alt: Rinderhaltung schade dem Klima und der Umwelt unter anderem durch die Erzeugung der Treibhausgase Methan und Distickstoffoxid sowie durch die Abholzung von Waldflächen zum Anbau von Futtermitteln. Der Vorwurf klingt plausibel, beruht jedoch auf der irrigen Annahme, man könne Rinder nur im industriellen System der Intensivtierhaltung züchten. Dort sind diese Vorwürfe durchaus zutreffend.

Doch auch die klassische Weidehaltung sieht sich mit dem Vorwurf konfrontiert, durch Überweidung die Desertifikation voranzutreiben. Auch das klingt plausibel.

Menschen leiden oft unter Voreingenommenheit. Da die oben genannten Vorwürfe und Thesen so alt sind, stellen nur noch wenige Menschen sie in Frage. Der Hinweis, Rinderhaltung müsse dem Klima und der Umwelt nicht schaden, wird daher oft beiseite gewischt mit dem Hinweis auf die aktuelle Situation. Zu behaupten, Rinderhaltung könne gar das Klima retten, die Umwelt schützen und Ökosysteme heilen, grenzt an Ketzerei.

Wie kann Grasfütterung alles ändern? Wie kann Rinderhaltung die Natur heilen?

Intensivtierhaltung – oder Massentierhaltung, wie der Volksmund sie nennt – ist ein unnatürlicher Vorgang. Es gibt für dieses Modell keine Entsprechung in der Natur. Den Tieren geht es schlecht, sie werden krank und zum Zweck ihrer Fütterung wird oft in weit entfernten Ländern intensiver Ackerbau betrieben um eiweißreiche Futtermittel zu produzieren. Es leuchtet ein, dass unter solch einem unnatürlichen System die Natur leidet.

Aber ist die klassische Weidehaltung nicht natürlich? Warum sorgt sie dann für Desertifikation?

Es mag natürlich aussehen, ein Rind einfach auf eine Weide zu stellen. Richig ist: Das Rind isst von Natur aus Gras. Doch warum entstehen dann an vielen Orten, wo Rinder auf Weiden gehalten werden, Wüsten – wie zum Beispiel in Texas?

Wenn wir uns das Bild genau anschauen, sehen wir, dass es sich hier nur oberflächlich um einen natürlichen Vorgang handelt. Denn nirgendwo in der Natur existiert ein Rind im Vakuum. Rinder sind Herdentiere. Und sie sind Beutetiere. Vergleichbar zum Beispiel mit dem afrikanischen Gnu. Doch wie lebt ein Gnu in der Natur?

Ein Gnu mag seinen Freiraum gern haben. Wer sich jedoch zu weit von der Herde entfernt, läuft Gefahr, von Raubtieren erlegt zu werden. Also ziehen die Tiere die Herde vor. Und weil nur wenige Tiere gerne in ihrem eigenen Kot stehen und sie regelmäßig vor Raubtieren fliehen müssen, stehen sie auch nicht einfach auf einer Weide, sondern sind ständig unterwegs zu neuen Weideflächen.

Vergleichen wir dies, die enge Gruppenbildung und die ständige Bewegung, mit dem Bild vom eingezäunten Rind auf der riesigen Weide, so sehen wir die frappierenden Unterschiede: Das Rind hat keinen Anlass, eine Herde zu bilden und sich weiter zu bewegen. Es hat genug Platz und genug zu fressen, um sich seine liebsten Gras- und Kraut-Sorten herauszupicken und diese kurz und klein zu knabbern. Boden und Pflanzen sind ständig belastet durch Fraß und Vertritt.

Wie sieht diese Belastung genau aus?

Wenn eine Fläche zu stark abgefressen wird, ist sie überweidet. Sie verliert ihre bodenbedeckenden Pflanzen und somit ihre Schutzschicht und ist der Erosion ausgeliefert. Der Beginn der Desertifikation. Doch warum geschieht das nicht in der Savanne, wo Hunderttausende Tiere grasen? Und warum passiert es in vielen Gebieten Texas‘, wo nur wenige Tausend Rinder gehalten werden?

grassGrowthCycles_a-dDie Erklärung ist relativ einfach, wenn man sich vor Augen führt, wie Graswachstum funktioniert:

Gras nutzt die Energie der Sonne, um Kohlenstoffdioxid in Kohlenstoff und Sauerstoff zu verwandeln. Mit dem Kohlenstoff baut es seine Struktur auf, den Sauerstoff nutzen Tiere zum Atmen. Gras trägt zudem unter der Erdoberfläche ungefähr so viel Wurzelmasse, wie es Blättermasse über der Erde hat (Abb. A).

Das Rind nimmt nun einen Bissen von diesem Gras. Dem Gras geht viel vom Sonnenkollektor verloren. Es verfügt also nur über eine geringe Energieversorgung, um sich zu heilen (Abb. B).

Daher nutzt es den in den Wurzeln gespeicherten Zucker: Die Reserven. Mit Hilfe dieser Energie kann das Gras schnell die verlorene Blättermasse und so den Sonnenkollektor nachbilden und sich „heilen“ (Abb. C).

Die abgeworfene Wurzelmasse wird zur Biomasse, zum Humus des Bodens: Gespeicherter Kohlenstoff! (Abb. C)

Das Gras kann nun zum Ausgangspunkt (Abb. A) zurückkehren und der Prozess beginnt von vorne. Auf diese Weide wächst das Gras immer nach und es erhöht zudem durch den Aufbau von Humus die Bodenfruchtbarkeit. Die nordamerikanischen Great Plains sind in Zusammenarbeit mit den Bisonherden und deren Dung genau so zu meterdicken Böden herangewachsen.

Das funktioniert allerdings nur, wenn das Gras im Zustand C nicht noch einmal abgebissen wird. Denn dann hat es keinen verfügbaren Energiespeicher mehr, um die Blätter nachzubilden: Es ist überweidet (Abb. D). In diesem Zustand wird es in der Regel nicht überleben können, besonders, wenn weiterer Fraß und Vertritt hinzukommen.

Wie hält man die Rinder davon ab, zwei Mal abzubeißen?

Warum das Gnu in der freien Natur nicht zwei Mal abbeißt, haben wir festgehalten: Es hat keine Zeit, muss vor Raubtieren fliehen und hält sich zudem nicht unnötig im eigenen Kot oder dem anderer Tiere auf.

Die von uns gezüchteten Rinder beschützen wir jedoch gut, sie haben keine Raubtiere zu fürchten. Wie können wir sie dazu bringen, sich mehr wie die wilden Gnus zu verhalten? Hier kommt das moderne Weidemanagment ins Spiel.

Was ist Weidemanagement?

Weidemanagement ist die Imitation eines natürlichen Prozesses. Im Wesentlichen sorgt der Mensch dabei dafür, dass die Tiere nur relativ wenig Platz und wenig Zeit bekommen, um zu fressen. Das heißt: Statt ein Rind 100 Tage auf einen Hektar Weide zu stellen, gelangen 100 Rinder einen Tag auf diese Fläche. Das Resultat: Die Rinder werden weniger wählerisch, fressen nicht mehr lange an der gleichen Stelle, sondern nehmen, was sie bekommen können und werden am nächsten Tag bereits auf eine neue Weide geführt.

Die Weide vom Vortag hat jetzt Zeit, zu ruhen und sich zu regenerieren. Das Gras kann nachwachsen und neue Wurzelmasse bilden. Der zurückgelassene Kot der Rinder entspricht dem richtigen Maß und düngt den Boden. Etwa vier Wochen später könnte die nächste Herde auf diese Fläche geführt werden.

All dies ist im Detail abhängig von den regionalen Gegebenheiten, der Geologie, der Botanik, dem Klima und den Tieren. Weidemanagement sieht überall auf der Welt etwas anders aus, aber das Prinzip ist das gleiche: Eine ganzheitliche Betrachtung des Ökosystems und eine Imitation natürlicher Kreisläufe. Während Landwirte in den USA so die Effizienz ihrer Flächen massiv erhöhen (mehr Rinder pro Fläche pro Jahr durch höhere Fruchtbarkeit), kann in einigen Gegenden Afrikas die Desertifikation gestoppt und teils umgekehrt werden.

Wer das Weidemanagement wie z.B. Joel Salatin perfektioniert, kann die Effizienz weiter erhöhen, indem er sich die Wachstumszyklen des Grases zu Nutze macht: Gras wächst nicht immer gleich schnell. Ab einer bestimmten Blattlänge flacht das Wachstum stark ab: Der optimale Zeitpunkt, um es zu „ernten“ und einen neuen Wachstumsspurt auszulösen.

Wie kann Rinderhaltung das Klima retten?

Korrekterweise sollten wir differenzieren: Wie tragen Wiederkäuer zu Klimapflege und Umweltschutz bei? Richtig betrieben kann Rinderhaltung das Klima schützen

  • durch die Bindung von Kohlenstoffdioxid (CO2) in Form von Humus,
  • durch Vermeidung von Lachgasemissionen beim Anbau von Futterpflanzen (für Tier und Mensch) und
  • durch eine Alternative Art der Pflege von Grünland statt des CO2-emittierenden Niederbrennens (so praktiziert vielerorts auch in Afrika).

Richtig betrieben kann Rinderhaltung die Umwelt schützen und regenerieren

  • durch die Aufwertung der Böden mittels fruchtbaren Humus,
  • durch den Erhalt von Grünland statt voranschreitendem Grünlandumbruch oder Desertifikation und
  • durch den Erhalt des Ökosystems Weide, einem Lebensraum für eine Vielzahl von Spezies.

Kritik

Seit Allan Savory sein „Holisitic Management“, ein auf diesem uralten Prinzip beruhendes Konzept, beim renommierten TED präsentierte, wurden vermehrt Zweifel an der Effektivität laut . Diese Zweifel beziehen sich auf den wissenschaftlichen Beweis, der bislang nicht eindeutig erbracht sei. Es sei möglich, dass dieser Plan unsere Probleme nur verschlimmere.

Meine Einschätzung dazu ist: Die Kritik bezieht sich vornehmlich auf die Vorstellung, alle Klimaprobleme durch eine globale, sofortige, vollständige Änderung lösen zu können. Das hat Savory selbst so allerdings nicht behauptet.

Jedoch gibt es offensichtlich Beweise dafür, dass die Weidehaltung so funktioniert, wie oben beschrieben und von den Proponenten versprochen. Joel Salatin ist nur einer von vielen erfolgreichen Anwendern, Anita Idel berichtet in ihrem Buch (s.u.) von vielen weiteren Anwendern. Und die Natur macht vor, dass es sogar ohne menschlichen Eingriff funktioniert. Geht es immer und überall? Das können wir erst dann mit Sicherheit sagen, wenn wir es ausprobiert haben. Niemand verlangt zudem eine globale Anwendung.

Was Savorys Kritiker fordern, ist ein ultimativer, universeller Beweis seines Gesamtkonzepts. Kann es diesen angesichts der unterschiedlichen Bedingungen überhaupt geben? Und benötigen wir ihn, wenn wir es anhand der bisherigen Resultate einfach Stück für Stück ausprobieren und sorgfältig messen und anpassen (im Sinne Savorys, Salatins, Idels und vieler anderer)? Ich denke nicht. Zumal Savorys Prinzip nur eine von vielen Varianten ist.

Fazit

Die korrekte Weidehaltung von Rindern ist keine Quantenphysik, erfordert jedoch, sich mit der Materie zu befassen. Nicht jeder Konsument muss dies bis in das kleinste Detail verstehen. In unserer automatisierten und urbanisierten Gesellschaft ist jedoch der Kontakt zur Natur vielerorts verlorengegangen und es fehlt ein Verständnis für die grundlegenden Kreisläfe der Ökosysteme.

Jeder Konsument hat die Wahl und somit auch die Verantwortung, sich mit der Auswirkung seiner Wahl zu befassen. Er kann selbst entscheiden, welche Art der Tierhaltung er mit seinem Portemonnaie befürwortet. Ein grobes Verständnis der Zusammenhänge und der Unterschiede verschiedener Haltungssysteme ist die Grundlage für eine mündige Entscheidung.

Durch den Kauf von Weidefleisch aus korrektem Weidemanagement kann jeder Verbraucher sich aktiv am Schutz der Umwelt beteiligen. Dies bedeutet eine Bewegung weg von der industriellen Intensivtierhaltung hin zur Weidehaltung. Es bedeutet in der Folge eine Erhöhung der Fleischpeise auf ein realistisches Niveau und eine geringere Produktion. Jedoch: Produktion ist ungleich Verbrauch und Verbrauch ist ungleich Verzehr, denn in den Industrienationen landen teils rund 50% der Lebensmittel im Müll. Eine Verringerung der Produktion bedeutet daher nicht zwingend weniger Fleisch im Magen.

Einen aktuelleren Artikel mit genauen Quellen und weiteren Erklärungen zu diesem Thema finden Sie hier: Urgeschmack – Ruiniert Fleisch das Klima?

Quellen und weiterführende Informationen:

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