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Moderne Obstsorten sind viel zu süß…oder?

Pouteria campechiana „Canistel“ (Foto: Jim Conrad)

Eine kohlenhydratarme Ernährung und der möglichst weitgehende Verzicht auf Fructose gilt in weiten Teilen vieler aktueller Diätkonzepte und Internetgemeinschaften als der (einzige) Schlüssel zum erfolgreichen Gewichtsverlust. Kohlenhydrate machten dick, Fructose sei ein Gift, heißt es.

Auf die Frage, wie denn Menschen in früheren Zeiten trotz Obstkonsums gesund bleiben konnten, erwidert man, moderne, also im Handel erhältliche Obstsorten seien so lange selektiert (gezüchtet) worden, dass sie extrem süß seien und nichts mit Obst in früheren Zeiten zu tun hätten.

Äpfel werden als Zuckertaschen diffamiert und Bananen versetzen einige Blogger in Angst und Schrecken. Obst in früheren Zeiten war klein, bitter und zuckerarm… oder nicht?

Sind kultivierte Obstsorten süßer als wilde oder solche aus der Steinzeit?

Es klingt zumindest logisch und leuchtet ein: Wilde Varianten der bekannten Obstsorten sind meist kleiner und schmecken tatsächlich weniger süß. Wilde Apfelsorten (welche meist robuster sind, da sie mit weniger menschlicher Pflege auskommen müssen) sind oftmals wirklich kleiner und weniger süß. Wilde Brombeeren sind kleiner als ihr gezüchtetes Pendant. Und wer kennt nicht die wilden Walderdbeere, die so viel kleiner ist als alles, was sich auf dem Markt finden lässt. Soweit die offenkundigen Beweise für die eingehende These. Aber ist dies wirklich relevant?

Anonodium mannii (Foto: Paul Latham)

Eine Recherche zu diesem Thema bringt tatsächlich Ergebnisse, wenn auch nur wenige. Da wäre eine Studie, die die Zusammensetzung der pflanzlichen Nahrungsmittel australischer Aborigines untersucht. Das überraschende Ergebnis: Kultivierte Obstsorten enthalten verglichen mit den wilden Sorten gerade halb so viele Kohlenhydrate. Methodischer Fehler? Möglich. Graben wir weiter im Internet, finden wir einen Beitrag der berühmt-berüchtigten Denise Minger, die sich genau dieses Themas bereits sehr ausführlich angenommen hat.

Strychnos spinosa (Foto: Damien Farrell)

Da der Mensch bis vor 50.000 Jahren in Afrika gelebt habe, argumentiert sie, mache es wenig Sinn, seine Beobachtungen auf aktuelle und alte Apfelsorten in nördlicheren Breitengraden zu konzentrieren. Speziell in Bezug auf die Steinzeiternährung klingt diese Herangehensweise sehr vernünftig. Aus diesem Grund sollten wilde tropische Früchte Gegenstand der Beobachtung sein.

Mit Bezug auf Julia F. Mortons Fruits of Warm Climates berichtet Minger von über 1000 Arten aus über 85 botanischen Familien, welche kaum erforscht, geschweige denn kultiviert sind. Einige davon stellt sie in Bildern vor, was den Appetit durchaus anzuregen vermag. Für diesen Beitrag ist ihre Analyse des Nährwertprofils jedoch interessanter.

Das Ergebnis: Die Früchte enthalten praktisch die gleichen Mengen Zucker (auch im Verhältnis Fructose zu Glucose) wie das, was wir heute auf dem Markt finden. Auch der Ballaststoffanteil weicht grundsätzlich nicht ab. Selbst die Saisonalität vergisst Minger nicht und berichtet, dass einige der alten tropischen Obstsorten monatelang lagerbar sind, abgesehen von der Möglichkeit, sie zu trocknen und so länger haltbar zu machen.

Einige grundsätzliche Unterschiede zu Supermarktobst gibt es dennoch:

  • Der Essbare Anteil ist geringer: Die Selektion für marktreifes Obst findet zugunsten eines möglichst großen esssbaren Anteils statt. Pro Kilo Obst isst man also heutzutage einen größeren Anteil.
  • Der Wasseranteil ist geringer: Wildes Obst hat offenbar in der Regel eine höhere Energiedichte, kultivierte Sorten sind hingegen eher auf Saftigkeit getrimmt, dementsprechend wirkt ihr Eiweiß- und Fettanteil bezogen auf das Gewicht niedriger. Bezogen auf den Kaloriengehalt spielt dieses Verhältnis jedoch keine Rolle.
  • Geringere Konsistenz: Geschmack, Größe und Reife der wilden Früchte sind vollständig den Naturgewalten unterworfen, während kultivierte Sorten so streng kontrolliert sind, dass die Erträge wesentlich konsistenter ausfallen.
  • Mehr Mikronährstoffe (?): Die Daten hierzu sind mangels qualifizierter Untersuchungen nicht konsistent, allerdings verdichten sich die Hinweise darauf, dass wild wachsende Pflanzen aufgrund ihres höheren Stresses auch größere Mengen Pflanzenwirkstoffe bilden.

Fazit

Die Aussage, wildes Obst oder „steinzeitliche“ Sorten seien weniger süß, verfügbar oder genießbar gewesen, ist höchst wahrscheinlich falsch. Der afrikanische Kontinent und seine Flora zeigen, dass die Natur auch ganz ohne menschliche Einwirkung sehr süße Früchte produziert. Und es ist sehr gut möglich, dass Obst wenigstens beinahe ganzjährig verfügbar war.

Dies ändert nichts an den möglichen Auswirkungen isolierter Fructose auf den menschlichen Stoffwechsel. Doch das Mantra zum Obstverzicht findet keine historische Begründung und es scheint wesentlich „natürlicher“, reichlich Bananen und Äpfel zu essen, als einige Proponenten kohlenhydratarmer Ernährung dies gerne darstellen.

Für mich spricht immer weniger dagegen, völlig bedenkenlos Obst zu essen, wenn mir der Appetit danach steht.

Quellen und weiterführende Informationen:

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