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Schutz gegen Lebensmittelbetrug

Lebensmittelbetrug scheint unausweichlichLebensmittelskandale ereignen sich scheinbar immer häufiger, tatsächlich sind sie jedoch so alt wie der Handel selbst. Bereits von den alten Römern sind Klagen und Beschwerden zum Beispiel über verwässerten Wein überliefert. Die Geschichte zeigt: Schuld am Lebensmittelbetrug sind wir alle.

Im England des 18. Jahrhunderts fand infolge der Industrialisierung die Manipulation von Lebensmitteln besonders durch giftige Stoffe ihren ersten Höhepunkt. Der Chemiker Frederick Accum berichtete 1820 in seinem Buch A Treatise on Adulterations of Food, and Culinary Poisons über entsprechende Beispiele: Blei zum Rotfärben von Süßigkeiten, Kupfer zum Grünfärben von Eingemachtem, Alaune für weißeres Brot, Weinsäure statt Zitrone in Limonade und Gemeine Wegwarte oder verbrannte Erbsen und Bohnen als Kaffeeersatz.

Lebensmittelbetrug hatte ein nie dagewesenes Ausmaß erreicht, ermöglicht erst durch die Intransparenz der Industrialisierung und die Anonymität der Großstädte. Hinzu kam die Kombination aus zunehmender Industrialisierung auf der einen und Laissez-faire-Regierung auf der anderen Seite. Selbst wenn die Gesetzgeber Interesse zeigten, konnten sie mit den technologischen Entwicklungen nicht schritthalten.

Die zu diesem Zeitpunkt noch junge Wissenschaft der Chemie zeigte neue Gele­gen­heiten zur Lebensmittelmanipulation. Zugleich war sie allerdings eine Mög­lich­keit, solcherart Schwindel aufzudecken. Aufgrund dieses Kräfteausgleichs trifft die Chemie keine besondere Schuld am vermehrten Auftreten der Manipulation.

Irreführung, Lebensmittelbetrug und -manipulation sind vorprogrammiert, wenn Preisdruck herrscht. Stetiger Nährboden dafür sind Geiz der Verbraucher auf der einen und Gier der Hersteller auf der anderen Seite. Diese Verbrechen sind für die Opfer schwer aufzudecken und daher für die Täter umso verlockender. Die Gesellschaft akzep­tiert Lebensmittelskandale irgendwann als unausweichlich. Sensationalistische Bericht­erstattung verschlimmert dieses Problem weiter, denn durch unprä­zise und über­triebene Anschul­digungen sinkt die Glaubwürdigkeit berechtigter Vorwürfe.

Diese Art des Betrugs zu verhindern, sollte von größtem Interesse für die Gesellschaft sein. Denn ungeahndet sind diese Vorgänge ein Zeichen von Anarchie. Eine Gesell­schaft bricht unter stetigem Schwindel zusammen, denn ihr fehlt das funda­mentale Vertrauen. Eine stabile, vertrauensvolle Gesellschaft erfordert ein Vorgehen gegen jede Art des Schwindels und der Manipulation.

Auch für den Staat selbst ist dies wichtig: Im Paris und London des 18. Jahrhunderts wurde die Qualität des Brotes stark kontrolliert. Geriet minderwertiges Brot in den Handel, war dies ein Zeichen für den Zusammenbruch von Recht und Ordnung, denn es bedeutete ein Versagen dieser Kontrollen. Verstöße wurden daher teils drakonisch geahndet.

Regulierung für mehr Sicherheit?

Fühlen Menschen sich heute unfair behandelt oder hilflos, fordern sie zumeist einen staatlichen Eingriff. Denn wer sollte dem Betrug Einhalt gebieten, wenn purer Anstand ein seltenes Gut ist?

Lange Zeit haben Gilden für die Sicherung der Lebensmittelqualität gesorgt. Ihre Arbeit wirkte sich positiv auf die Qualität aus. Besonders eine Preisbindung ist ein effektives Mittel zur Qualitätssicherung. Jede Art Regulierung bremst jedoch auch Fortschritt und Innovationskraft. Die heutigen Gesetze zur Lebensmittelsicherheit etwa hindern viele kleine Betriebe wie Landwirte an der Teilnahme am Markt. Absurd wirkende und übertriebene Regeln zur Handhabung frischer Lebensmittel dienen letztlich oft nur der Großindustrie, weil sie neuen Betrieben ohne große Kapital­re­serven den Weg versperren. Über genau diese Folgen der Gesetzgebung stöhnen die gleichen Verbraucher, die zuvor bessere Regulierung forderten.

In der Geschichte sehen wir als weiteren Versuch der Qualitätssicherung etwa das Reinheitsgebot für Bier. Auch dies war eine Maßnahme zur Bekämpfung der Lebensmittelmanipulation. Viele Biertrinker kennen dieses Regelwerk. Analog gibt es so etwas jedoch nicht für Käse, Schinken und ähnliche Produkte. Mit diesen Lebensmitteln kennt sich kaum jemand aus. Tatsächlich gibt es entsprechende Gesetze (sogar eine Kakaoverordnung gibt es). Der Effekt solcher Regelwerke: Sie wiegen den Verbraucher in Sicherheit, verhindern jedoch keinen Betrug, wie uns die regelmäßig aufgedeckten Skandale zeigen.

Regulierung ist also keine optimale Lösung des Problems, wenn auch angesichts des durch unsere Gesellschaft geschaffenen Industrieapparats zumindest mittelfristig notwendig. Ohne sie sind die Kräfte zwischen Erzeuger, Verarbeiter, Händler und Verbraucher zu ungleich. Ihr Preis ist Bürokratie und eine Einschränkung unserer Freiheit, welche letztlich das Problem verschärft. Eine effektive Lösung sind die heutigen Gesetze offensichtlich nicht.

Für Anbieter wie für Konsumenten gilt gleichermaßen: Wer ohne regulierendes Organ auskommen möchte, muss mehr Dinge selbst erledigen. Erzeuger müssen sich um den Erhalt des Marktes kümmern. Verbraucher müssen lernen, Qualität zu erkennen und einen entsprechenden Markt fördern. Womit wir wieder bei der Ursache des Lebensmittelbetrugs sind.

Ursachen des Lebensmittelbetrugs

Wenn niemand fragt, wie Lebensmittel so billig und so lange haltbar sein oder etwa Farben haben können, die in der Natur nicht vorkommen, bleibt die Manipulation ungeahndet. Die Hauptursachen sind daher Geiz, Gier, Ignoranz, Faulheit und Inkompetenz; jedoch auch die Scheu, Verantwortung zu übernehmen und sie statt­dessen dem Staat oder anderen Stellen zu überlassen.

»Wem sein Bauch egal ist, dem ist auch alles andere egal«, schrieb der Gelehrte Samuel Johnson im 18. Jahrhundert. Wer sich nicht beschwert über schlechte Qualität und wer geizig ist und wissentlich schlechte Qualität kauft, dem mangele es an Aufrichtigkeit und Achtsamkeit. Er macht sich mitschuldig am Betrug. Denn effektiv fördert er den Markt schlechter Qualität. Warum er nicht mehr Geld ausgeben möchte oder kann, ist dabei irrelevant. Traditionell gehörten die ärmsten Bevöl­ke­rungs­schichten zu den häufigsten Opfern des Betrugs.

Die Suche nach dem oder den Schuldigen endet meist bei jemand anderem. Der Fingerzeig in Form der Trennung zwischen Wir und Die ist nicht hilfreich, wenn auch bequem. Die sind Schuld, Wir nicht. Die müssen etwas ändern, Wir nicht. Jedoch sind wir alle Zivilisten. Wir sind die Gesellschaft. Wir alle wählen. Nicht alle vier Jahre an der Urne. Sondern jeden Tag, mit jeder Entscheidung und mit jedem Cent. Wir wünschen uns Verschwörungen. Dann wären Die Schuld. Aber das ist eine Illusion. Die sind Wir und Wir sind Die. Wenn Wir die Verantwortung an Die abgeben, ver­schlie­ßen wir in Wahrheit die Augen und stimmen allem zu.

Jeder weiß, dass die billigste Ware nicht von bester Qualität sein kann und dass außer­gewöhnlich billige Ware problembehaftet, also minderwertig oder manipuliert sein muss.

Der Ausweg

Der beste Schutz gegen Lebensmittelbetrug und Irreführung ist das Wissen, was gut ist. Wer nur schlechte Dinge kennt oder allgemein schlechte Lebensmittel akzeptiert und nicht zurückweist, verarmt seine eigenen Sinne. Zugleich unterstützt er mit seinem Geld Betrüger und Erzeuger schlechter Lebensmittel.

Die Geschichte zeigt* zunehmenden Lebensmittelbetrug meist dann, wenn Menschen ihren Sinnen nicht mehr vertrauen und ihnen das Fachwissen fehlt. Die einzige Alter­native für Verbraucher ist demnach, sich selbst fortzubilden und zu lernen, Qualität zu erkennen. Diese Fähigkeit kann jeder jeden Tag schulen: durch achtsamen Einsatz aller Sinne.

Wie kann man sich vor Lebensmittelbetrug schützen?

Es ist eine einfache, für alle offene Praxis:

Der Aufbau eines Verhältnisses zu unserem Essen lehrt uns alles, was wir zum Ent­wickeln eines Qualitätsbewusstseins benötigen. Und wer dem konsequent folgt, be­lohnt mit jedem Einkauf einen Markt, der entsprechend liefert. Zugleich erhöht sich die Transparenz des Essens. Wer einen ganzen, frischen Kohlkopf kauft, muss sich um Konservierungsstoffe und Fälschungen erheblich weniger Gedanken machen als der Konsument von Dosenware und Fertiggerichten. Er hat überhaupt zumindest die Möglichkeit zum persönlichen Kennenlernen des Erzeugers dieses Lebensmittels, wenn er direkt bei ihm kauft. Auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen. Ein solches persönliches Verhältnis, ein Ausstieg aus dem System der Anonymität, ist ein weiterer Schutzmechanismus gegen Betrug. Wer weniger in fremder Hand lässt, hat selbst mehr Kontrolle.

Es gibt keine Garantie und keine absolute Sicherheit. Das Kennenlernen, das auf­merk­same Beobachten und die eigene Zubereitung des Essens sind das einzige und zugleich das Mindeste, was jeder einzelne tun kann.

Buchtipp zum Thema:

Viele Hintergrundinformationen in diesem Artikel basieren auf der sorgfältigen Arbeit von Bee Wilson. Ihr Buch zum Thema bietet einen umfassenden und detaillierten Überblick über die Geschichte des Lebensmittelbetrugs:

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