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Lebensmittel sind zu billig

Deutschland ist das Land, in dem ALDI den Lebensmittel-Discount entwickelt hat und in dem neben fast jeder ALDI-Filiale auch noch eine solche von LIDL bestehen kann. Lebensmittel sind billig in diesem Land. So billig, dass wir es uns leisten können, auch noch 30-50% davon einfach wegzuwerfen. Und trotzdem hören wir ständig und überall Klagen, gerade Lebensmittel seien zu teuer. Gleichzeitig demonstrieren Landwirte immer häufiger gegen angeblich zu geringe Erzeugerpreise. Was also stimmt hier nicht?

Werden Lebensmittel wirklich immer teurer?

Beschaffen wir uns ein paar aktuelle Zahlen: Laut Eurostat gaben 2009 die Deutschen 9,8% aller Ausgaben für Lebensmittel aus. 1950 lag dieser Wert noch bei 44%, 1975 waren es bereits 23%. Auch in der jüngsten Vergangenheit ist dieser Wert gesunken, nämlich von 15% im Jahr 2000. Weniger Geld gibt man für Lebensmittel nur in Irland, Großbritannien und Österreich aus. Erklärt, beziehungsweise ermöglicht, wird diese Senkung durch steigende Gehälter und einen im Verhältnis dazu geringen Anstieg der Lebensmittelpreise. Fakt ist also: Wir können uns mehr Lebensmittel leisten als je zuvor. Gemessen an unserem Einkommen wird das Essen immer billiger.

Lebensmittel, das vermittelt schon der Begriff, sind lebensnotwendig. Zehn Prozent seines Einkommens dafür aufzuwenden scheint nicht unangemessen, besonders wenn Bürger anderer EU-Länder das doppelte und mehr dafür ausgeben. Zumal für Genussmittel wie Alkohol und Tabakwaren rund 3,2% aufgewendet werden – fast ein Drittel dessen, was in Lebensmittel investiert wird.

Die zuvor gestellte Frage können wir jedenfalls eindeutig beantworten: Nein, Lebensmittel werden nicht immer teurer, sondern im Verhältnis immer billiger.

Haben die Landwirte Recht?

Stimmt es, dass die Erzeugerpreise immer weiter sinken? Auch dazu gibt es konkrete Zahlen: Lag der Anteil 1970 noch bei 47,5%, so bekommen Landwirte von jedem für Nahrungsmittel ausgegebenen Euro heute nur noch 21 Cent. Halb so viel. Landwirte, die sich über sinkende Erzeugerpreise beschweren, scheinen also Recht zu haben.

Die Produktivität der Landwirtschaft ist in den vergangenen 100 Jahren immens gestiegen. Konnte im Jahr 1900 ein Landwirt nur 4 Menschen ernähren, so waren dies 1950 bereits 10. Heute versorgt ein einziger Landwirt bei uns atemberaubende 140 Menschen und die Elemente der Grünen Revolution wie synthetische Stickstoffdünger haben daran einen ganz wesentlichen Anteil.

Es leuchtet schnell ein, dass angesichts einer solchen Produktivitätssteigerung die Preise für Lebensmittel sinken. Und dennoch bleibt die Frage offen, wohin das Geld fließt, wenn nicht an die Erzeuger, die arbeitenden Landwirte. Und wenn die Erzeugerpreise sinken, warum werden dann einige Lebensmittel trotzdem so viel teurer?

Wer verdient an steigenden Preisen?

Wenn ein Bäcker seine Brötchenpreise mit dem Argument erhöht, die Getreidepreise seien gestiegen, so erzählt er oft nur einen Bruchteil der Wahrheit. Denn der Weizenpreis pro Brötchen liegt nur zwischen 0,6 und 1,1 Cent. Selbst eine Verdreifachung des Weizenpreises hätte teils nur eine Preiserhöhung des Brötchens um 1 Cent zur Folge. Arbeits- und Energiekosten schlagen wesentlich stärker zu Buche.

So wird klar, dass heute mehr Geld denn je dem verarbeitenden Gewerbe zufließt. Effektiv bedeutet dies, dass Menschen immer weniger selbst kochen, weniger frische Lebensmittel kaufen und stattdessen auf stark verarbeitete Produkte aus der Lebensmittelindustrie vertrauen. Produkte wie „Frühstückscerealien“, deren Verpackung oft teurer ist als der Inhalt.

Sind Lebensmittel zu billig?

Diese Frage mit ‚Ja‘ zu beantworten, setzt eine weitere Erläuterung voraus. Wer in der Obstauslage eines Supermarkts steht und dort Bananen für 0,79€/kg sieht, könnte sich einmal darauf einlassen, über die Entstehung dieses Preises nachzudenken. Wie viel bleibt davon für den südamerikanischen Landwirt übrig, wenn die Margen, Produktions- und Transportkosten (teils um den halben Erdball) abgezogen werden? Könnte ich mir vorstellen, die Ware für diesen Lohn selbst zu erzeugen? Auf diese Weise bekommt man einen recht guten Eindruck davon, welch hohe Belastung für die Umwelt und Menschen Konsumenten oft unbewusst in Kauf nehmen und wie gering die Wertschätzung landwirtschaftlicher Arbeit heute zu sein scheint.

Es verwundert kaum, dass immer weniger Menschen bereit sind, die Landwirtschaft zu ihrem Beruf zu machen. Das ist ein Problem, denn so gelangt die Gewalt über die Lebensmittel, die uns alle ernähren sollen, in immer weniger Hände, die immer größere Kontrolle über das haben, was wir essen.

Wenn eines Tages niemand mehr bereit ist, gegen einen Hungerlohn Bananen zu produzieren, dann werden diese auch nicht mehr in den Supermarktregalen liegen. Wer also Bananen (Brokkoli, Tomaten, Rotkohl) liebt, sollte diese nie zu Billigpreisen kaufen – selbst dann, wenn ihm soziale und ökologische Aspekte völlig egal sind.

Um also zu differenzieren: Sind Lebensmittel zu billig, um uns nachhaltig, gesund und schmackhaft damit zu ernähren? Leider immer öfter, ja.

Was können wir dagegen tun?

Niedrige Lebensmittelpreise sind natürlich nicht per se schlecht und nicht jeder teure Blumenkohl ist gut. Langfristig funktionieren können weder zu hohe, noch zu niedrige Preise. Was wir brauchen, sind realistische Preise.

Realistische Preise sind das, was ein Landwirt benötigt, um ein gutes Auskommen durch seine Arbeit zu haben und was es kostet, ein Lebensmittel nachhaltig herzustellen.

Um die Versorgung mit Lebensmitteln und das Preisgefüge zu unseren Gunsten langfristig zu stabilisieren, ist es nötig, genau die Menschen zu unterstützen, von denen unser Überleben abhängt. Wer seine Nahrung nicht selbst erzeugen kann oder möchte, der sollte sich jemanden suchen, dem er vertraut. Jemanden, dem er zutraut, dies langfristig und mit möglichst geringen Abhängigkeiten zu übernehmen.

Die Industrie mit ihren stark verarbeiteten Produkten ist da der falsche Ansprechpartner. Denn sie produziert keine Lebensmittel, sondern verarbeitet lediglich Rohstoffe zu Produkten von meist minderer Qualität.

Der kürzeste Weg zum Glück

Wie so oft führt der kürzeste Weg zu nachhaltig hochwertigen Lebensmitteln direkt zum Erzeuger. Um realistische Preise zu erhalten, müssen wir versuchen, so viele Zwischenhändler wie möglich zu umgehen, die Wege möglichst kurz zu halten und zugleich auf nachhaltige Anbaumethoden zu achten. Dabei hilft es enorm, selbst zu kochen und sich so unabhängig von der verarbeitenden Industrie zu machen.

Und wer selbst kocht, beginnt oft, Geschmack völlig neu zu entdecken. Wem das widerfährt, der lernt eine völlig neue Wertschätzung und begreift: Lebensmittel sind unbezahlbar.

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