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Warum sollten wir Insekten essen?

Warum sollten wir Insekten essen? SInd sie so anders als Krustentiere?Der Biss in den Burger aus Buffalowürmern erinnert ein wenig an den Geschmack getoasteten Mischbrotes. Unter der knusprigen Kruste wartet ein saftiges, komplexes und unaufdringliches Geschmackserlebnis1. Nahrhaft, lecker, gesund, nachhaltig, günstig: Insekten als Nahrungsmittel bieten zahllose Chancen und Lösungen drängender Probleme unserer Zeit. Derweil beantworten wir die einfachste Frage noch immer unzureichend: Warum sollten wir Insekten essen?

Weil sie eine nachhaltige Proteinquelle sind. So lautet die kümmerliche, westliche und falsche Antwort. Die Geschichte illustriert, wie einfach wir ein von Natur aus nachhal­tiges System im industriellen Rahmen in eine ökologische Katastrophe verwandeln können. Insektenzucht kann man genau wie Rinderzucht nachhaltig oder zerstörerisch betreiben2. Eine per se nachhaltige Proteinquelle sind Insekten bei allem Potenzial zu klimaschonender Produktion daher nicht. Zumal mangelhafte Proteinversorgung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ohnehin kein Problem mehr ist. Warum also Insekten essen?

Weil es ethisch die bessere Lösung ist? Weil wir Insekten Leidensfähigkeit abspre­chen? Das trifft auch auf Bohnen – eine weitere nachhaltige Proteinquelle – zu und die sind in der Ernährung gemeinhin akzeptiert. Oder beziehen wir uns mit der Ethik auf die Menschen und deren Arbeitsbedingungen bei der Erzeugung dieser Lebensmittel?

Was ist eine Heuschrecke anderes als eine Garnele der Lüfte?

Immerhin ist Insektenzucht gerade in Entwicklungsländern eine große wirtschaft­liche Chance. Anders bei Ziege oder Rind sind Einstiegskosten und Platzbedarf für eine Insektenfarm minimal. Die Produktion ermöglicht Menschen wirtschaftliche Sicher­heit und den Verzicht auf erheblich gefährlichere Jobs. Das ist ein positiver sozioöko­nomischer Effekt. Aber es ist noch immer ein kümmerliches Argument für Insekten­verzehr.

Warum sollten wir Insekten essen? Was für eine kuriose Frage. Warum sollten wir Tomaten essen? Warum sollten wir Fleisch essen? Heidelbeeren. Honig. Birnen. Warum nur? »Der Schöpfer zwingt den Menschen zum Essen, um zu leben; verführt ihn mittels Appetit; und belohnt ihn durch Genuss«, schreibt der Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin vor rund 200 Jahren. Darum also. Weil es schmeckt. Denn was schmeckt, hält uns am Leben.

Wir sollten Insekten essen, weil sie schmecken.

Ist das nicht ekelhaft?

Ekel ist eine Fantasie. Viele Kinder essen gelegentlich Insekten oder Würmer. Bis ihr soziales Umfeld, meist die Eltern, es als ekelhaft verbieten. »Die Empfindung der Abscheu, die jemanden überkommt, der in einen wurmigen Apfel beißt – das Gefühl des Ekels, das Ausspucken angekauter Apfelstückchen, aufsteigender Brechreiz – entsteht nicht durch den schlechten Geschmack des Wurms. Der Wurm wird erst im angebissenen Apfel ›gefunden‹; man schmeckt ihn nicht.«3 Der Ekel gilt der Vorstel­lung vom Objekt. Nicht der tatsächlichen Sinneswahrnehmung. So entsteht die Ableh­nung von Pferde-, Hunde- und Rattenfleisch bei gleichzeitiger Verehrung von Hummer und Krabbe. Und was ist eine Heuschrecke anderes als eine Garnele der Lüfte?

Insekten stehen auf dem Speiseplan von zwei Milliarden Menschen4. Viele gelten als saisonale und regionale Delikatessen (die Insekten; nicht die Menschen). Maikäfer­suppe war in Deutschland bis Mitte des 20. Jahrhunderts als »vortreffliches, kräftiges Nahrungsmittel«5 bekannt. Insekten sind oder waren immer Teil der menschlichen Esskultur. Sie bieten vielfältige neuartige und auch altbekannte Aromen. Ein dänisches Forscherteam untersuchte verschiedene Ameisenspezies und entdeckte sehr verschie­dene Geschmäcke, viele davon vergleichbar mit ähnlichen Molekülen pflanzlichen Ursprungs6.

Während das eine Auge lacht über die zunehmende Verbreitung von insektenhaltigen Produkten wie Proteinriegeln, weint das andere – und die Zunge. Was bleibt schon übrig vom Insektengeschmack, wenn Sesam, Haselnüsse, Cranberries und Schokolade das Produkt dominieren? Das extrahierte Insektenprotein verkommt zum Gimmick und wirkt im Marketing. Menschen wären eher bereit, Insekten zu essen, wenn man sie nicht als solche erkennt7. Das gleiche Argument ermöglicht allerdings heute menschen- und tierunwürdige Zustände in industriellen Schlachthäusern, weil das Fleisch hinterher in einer weißen Plastikschale im Supermarktregal liegt.

Mit Hunderttausenden Euro fördert die Bundesregierung entsprechende Startups und damit überwiegend die private Entwicklung von Insektenprodukten. Kurzfristig dient das der Wirtschaft. Von nachhaltig öffentlichem Nutzen wäre jedoch offene Grundla­genforschung. Jene könnte das Erkunden unserer heimischen Insekten beinhalten sowie globale Methodenforschung. Die dänischen Kollegen reisen um die Welt, um die besten Praktiken und Techniken erfolgreicher Insektenesser zu sammeln und diese dann in ihrer eigenen Region mit heimischen Spezies anzuwenden. Das Wissen wäre öffentlich zugänglich und zu Wildkräutersammeltouren könnten sich Insektenjagden gesellen. Natürlich gehört dazu Aufklärung über bedrohte Arten. Im Ergebnis flössen die Fördergelder in Aufklärungsarbeit und die Demokratisierung der Lebensmittel­versorgung. Es wäre eine kulturelle Bereicherung.

Stattdessen kämpfen wir noch mit einer Gesetzgebung, die Insekten als Lebensmittel verbietet. Insekten gelten bei uns als sogenanntes Novel Food, als neuartiges Lebens­mittel, welches für jede einzelne Spezies einer eigenen, kostspieligen Genehmigung bedarf. Das erinnert an die vielen Hürden aus Agrar- und Lebensmittelrecht, welche letztlich stets kleine Produzenten benachteiligen. Größere Produzenten, zumal oft und umfangreich gefördert, können sich Prüfungs- und Genehmigungsverfahren problem­los leisten. Dass es anders geht, zeigen Länder wie Belgien und die Niederlande, wo der Insektenverzehr längst in der Masse möglich ist.

Insekten essen: Sollten wir das auch tun?

Ein Viertel aller Menschen isst regelmäßig Insekten. Und das nicht nur in Notsituati­onen. Insekten zu essen ist kulinarisch, physiologisch, ökologisch und ökonomisch sinnvoll. Der deutschsprachige Raum macht nicht mit. Wie können wir das ändern?

  1. Nicht privatwirtschaftliche Produktforschung fördern, sondern die öffentlichen Gelder in Grundlagen- und Methodenforschung stecken. Aus weltweiten Metho­den und Kulturen schöpfen und Wissen über Insekten öffentlich zugänglich machen.
  2. Ist das Wissen frei verfügbar, gibt es kein Argument mehr für die totalitaristisch anmutende Gesetzgebung: Jeder kann sich dann selbst informieren und ent­scheiden, wie er sich ernähren oder vergiften möchte.
  3. Ekel als Fantasie begreifen und ablegen. Die vorherrschende Vorstellung vom Geschmack deckt sich nur selten mit der tatsächlichen Empfindung. Wissen beendet die Unkenntnis und somit die Angst vor dem Unbekannten.
  4. Nachhaltigkeit ökologisch, ökonomisch und politisch sicherstellen: Nicht exoti­sche Insekten essen oder in Importabhängigkeit gehen, sondern lokale Spezies ernten und produzieren. Gesetze zum Tier- und Naturschutz entsprechend anpassen.

Fußnoten

  1. An dieser Stelle danke ich der Bugfoundation herzlich für die Möglichkeit, den Burger unkomp­liziert zu probieren.
  2. Olschewski, Felix (2016) Warum Weidefleisch?
  3. Fallon, AE. & Rozin, P. (1987). A perspective on disgust. Psychological Review, 94(1), 23.
  4. BUGSfeed. Who eats insects? <http://www.bugsfeed.com/who_is_eating_insects>
  5. Dr. Schneider (1844) Magazin für die Staatsarzneikunde, Band 3. Leipzig <https://books.google.de/books?id=NQcCAAAAYAAJ&pg=PA403#v=onepage>
  6. Danish Consortium on Insects as Food and Feed (INFOOFEE). University of Copenhagen. Plen.ku.dk. 16 Sept. 2016. <http://plen.ku.dk/english/research/organismal_biology/insect_pathology/insects-as-future-food-and-feed/>
  7. Schöni, Ursula. Insekten als Lebensmittel. ZHAW-Impact. 2015.<https://www.zhaw.ch/storage/linguistik/studium/bachelor_kommunikation/Praxisarbeiten/praxis5-2014-print-journalismus-insekten-als-nahrungsmittel.pdf>

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