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Ernährung und Religion

Politik, Religion, Ernährung. Drei Themen, die wir ähnlich intensiv diskutieren.

Ernährung betrifft jeden. Auch wenn einige Menschen sich über ihre Mahlzeiten nicht viele Gedanken machen, so werden sie stets eine Meinung dazu äußern, wenn man sie fragt. Hinter Ernährungsgewohnheiten stehen oft Philosophien, Forschungsergebnisse, Aberglaube oder Meinungen. Beinahe faszinierend ist das Ausmaß, das diese Ideologien teilweise annehmen. Von „militanten Veganern“ ist die Rede, von „dummen Fleischfressern“ und „mäßigen Vegetariern“. Es bilden sich Gruppen um diese Ideologien, deren Auseinandersetzungen häufig fanatische Ausmaße annehmen.

Mir scheint, als würde über all die Diskussionen über gesundheitliche, moralische und ethische Aspekte sehr oft der Genuss, die Einfachheit und der soziale Wert der Ernährung vergessen. Essen kann eine wichtige Quelle der körperlichen und seelischen Befriedigung sein. Essen hat die Macht, Menschen mit verschiedensten Hintergründen an einem Tisch zu vereinen und allen das gleiche Lächeln auf das Gesicht zu zaubern.

Wer sich intensiv mit Ernährung beschäftigt, vielleicht selbst nach gesundheitlichen Zusammenhängen forscht um die für sich gesündeste Ernährung zu finden, gerät beinahe ausnahmslos in einen Strudel vieldeutiger Informationen. Nur selten lässt sich mit Sicherheit sagen, welches Lebensmittel allgemeinverträglich ist und welches nicht. Für fast jedes eindeutige Studienergebnis gibt es mindestens eine weitere Studie, die das Gegenteil aussagt. Und selbst wenn nach ausgiebiger Recherche die wenigen wirklich aussagekräftigen Studien gefunden wurden, fehlt oft eine Relativierung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen. Das Sprichwort „Die Dosis macht das Gift“ verdeutlicht die Problematik.

Ein Beispiel: Selbst wenn zum Beispiel feststünde, dass Gluten
a) keinerlei positive Auswirkungen,
b) auf jeden Menschen potentiell gesundheitsgefährdende Auswirkungen und
c) auf viele Menschen akut gesundheitsschädigend wirkt,

was bedeutet das für den interessierten Esser, der sich gesund aber auch genussvoll ernähren möchte? Darf er nie wieder Getreide essen? Wird ihn ein Weizenkorn umbringen? Sofern keine Erkrankung vorliegt: Wohl kaum.

Es ist gut zu wissen, dass Getreide sowohl über den hohen Kohlenhydratgehalt, als auch durch das enthaltene Gluten und die Lektine, problematisch für den menschlichen Verzehr ist. Dieses Wissen sollte jedoch mit Verstand angewandt werden. Der Mensch ist ein sehr robustes und anpassungsfähiges Tier. Und wenn ein Individuum eine Schwäche für das eine oder andere Getreideprodukt hat, dann kann ein gelegentlicher Verzehr in Maßen kein Weltuntergang sein. Wichtig ist, dass das Wissen um die Problematik besteht und sich derjenige darüber bewusst ist, was das für seinen Körper kurz- und langfristig bedeutet.

Die eingangs erwähnten ideologischen Gruppierungen sind aus genau diesem Grunde problematisch. Es gibt auf allen Seiten, unter Anhängern der Steinzeiternährung wie auch der veganen Ernährung und allen anderen Ausprägungen, einige Vertreter, die aus ihrer Überzeugung einen Glaubenskrieg gemacht haben. Das Wort „militant“ fiel bereits.

Was geht es jemanden an, wenn Veganer Max zwischendurch doch einmal ein Ei gegessen hat? Sollte ihm das Recht entzogen werden, sich „Veganer“ zu nennen? Sollte dann die Veganerpolizei kommen und ihn einsperren? Sollte er gar Morddrohungen von seinen nun ehemaligen Genossen bekommen, weil er ein „Ideal“ verraten hat? Ich denke, über die Antworten zu diesen drei Fragen sind sich alle vernunftbegabten Menschen einig. Über das Streben nach Idealen sollten wir den Weg dorthin nicht vergessen.

Ernährung ist eben keine Religion. Ernährung ist greifbar, messbar und individuell. Was man selbst isst, entspricht dem eigenen, individuellen Geschmack, der eigenen Meinung. Und Meinungen dürfen wir ändern. Auch vorrübergehend. Dadurch wird niemand verletzt. Und solange das so ist, ist man auch niemandem Rechenschaft schuldig.

Über lange Zeit habe ich mir nun bewiesen, dass ich gut, gesund und genussvoll allein von durchweg gesunden, natürlichen und nachhaltigen Lebensmittel leben kann. Das ist mir persönlich wichtig, denn es ist meine Lebensweise, die mir viel Freude bereitet.

Daher mache ich mir keine Sorgen, wenn ich der traumhaften, handgemachten Apfeltorte in einem holländischen Strandcafé nicht widerstehen möchte*. Oder wenn ich mir alle Jubeljahre mal ein paar Croissants aus feinsten Zutaten nach dem besten aller Rezepte backe. Ich weiß genau, was das für meine Allergie bedeutet. Und ich weiß auch genau, was das für mein seelisches Wohlbefinden, meinen Genuß und meine Lebensfreude bedeutet. Ein Freund von Verbissenheit und Selbstgeißelung war ich noch nie.

Was ist mit Ihnen? Welche Laster haben in Ihrer Ernährung Platz? Auf welche Leckerei mögen Sie nicht verzichten? Praktizieren Sie womöglich sogar wöchentlich einen „Schummeltag“, an dem Sie auch ungesunde Dinge essen?

*Dass ich in der Regel auf den Verzehr von „Leckereien“ verzichte hängt in erster Linie auch damit zusammen, dass die meisten dieser Produkte mir ohnehin nicht schmecken, zu süß oder zu matschig sind. Gute, fachgerecht per Hand hergestellte Backwaren sind heutzutage höchst selten.

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