Zum Inhalt springen

Eigenverantwortung als Diät

EigenverantwortungHeute ist mehr als ein Drittel aller Erwachsenen weltweit übergewichtig oder adipös. Mit den entsprechenden gesundheitlichen Problemen haben insgesamt 2,1 Milliarden Menschen zu kämpfen, die direkte Folge sind allein im Jahr 2010 rund 3,4 Millionen Tode. Die Pandemie des Übergewichts ist besonders in den entwickelten Ländern ein ernsthaftes Problem und Anlass für zahlreiche Diskussionen und Initiativen. Recht spät stößt nun auch die Politik mit Initiativen wie IN FORM hinzu, während die Medien vermitteln, wir hätten die Schuldigen längst gefunden.

Natürlich muss die Industrie schuld sein, denn sie verkauft die dickmachenden Produkte, macht sie schmackhaft mit Salz, Zucker und Fett und schreckt vor nichts zurück im Kampf um den Magenanteil. Die Industrie ist es, die profitiert, wenn wir mehr essen als wir sollten und uns bombardiert mit Werbung und falschen Versprechen. Die Medien wären demnach mitschuldig, weil sie die Werbung ausstrahlen und unsauber recherchieren wenn es um die gesundheitliche Aufklärung geht. Statt ihre Rezipienten in deren Interesse zu informieren, tragen sie mit widersprüchlicher Berichterstattung zur Verwirrung bei. Verboten gehört dies durch die Politik, die ebenso mitverantwortlich ist, jedoch die Gesundheit der Bevölkerung den Industrieinteressen unterordnet.

Weiterhin schuldig ist das Fett im Essen, wegen der vielen Kalorien. Und die Kohlenhydrate, denn sie machen süchtig und krank und fett.

Bei so klaren Verhältnissen müsste die Epidemie sich einfach stoppen lassen. Es sollte genügen, die Industrie in die Schranken zu weisen, die Medien besser zu regulieren und die Lobbyisten auf dem politischen Spielfeld zu entmachten. Kampagnen gegen Fett und Kohlenhydrate sind dann eine einfach umsetzbare Folge. Doch wie realistisch ist das?

Nichts hiervon soll sarkastisch klingen. Es beschreibt lediglich unseren Umgang mit Problemen der vergangenen drei Jahrzehnte. Ein anderes Verhalten der Industrie, Medien und Politik und ein aufgeklärter Umgang mit Fett und Kohlenhydraten hätten die Pandemie des Übergewichts verhindern und vielen Menschen das Leben retten können.

Doch dieses Bild ist unvollständig. Es fehlen diejenigen, die die Lebensmittel wählen und kaufen, sich in den Mund stecken, kauen und herunterschlucken. Diejenigen, die immer mehr essen und sich immer weniger bewegen: Wir Menschen. So offenbarend wie bedrückend ist ein Blick auf die Geschichte: Übergewicht mag sich heute rasanter verbreiten als je zuvor, doch die Ursachen sind seit mindestens 200 Jahren die gleichen und durchaus gut bekannt.

»[Die überwiegende Mehrheit] aller Menschen isst und trinkt zu viel und enorme Mengen Lebensmittel und Getränke werden täglich unnötig verzehrt.« schreibt Jean Anthelme Brillat-Savarin bereits im 1825 veröffentlichten Physiologie du goût (dt. Physiologie des Geschmacks*). Er konkretisiert das und verweist ausdrücklich auf Kohlenhydrate: »Der zweite Hauptgrund für Übergewicht liegt in Stärke und Mehl […] Alle Tiere, die von mehligen Lebensmitteln leben, werden fett; ob sie wollen oder nicht.«

Auch die Manipulation von Nahrungsmitteln beschreibt der Franzose schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Da wir süße Speisen selten essen, bevor wir satt sind – normalerweise sind sie das Dessert – regen wir unseren Appetit durch die Kombination aus Mehl und Zucker an, um noch mehr zu essen.

Selbst Bewegungsmangel und unsere Ausreden dafür sind spätestens seit der Zeit, als Napoleon Bonaparte seine Fußabdrücke hinterließ, nichts Neues: »Bewegung zu Fuß bringt noch mehr Probleme mit sich: Es ist furchtbar ermüdend, das Schwitzen birgt die Gefahr einer Rippenfellentzündung; Staub ruiniert die Strümpfe, Steine beschädigen die feinen Schuhe und die ganze Angelegenheit ist hoffnungslos langweilig«, berichtet Brillat-Savarin. »Und wenn am Ende nur der kleinste Kopfschmerz aufkommt oder sich ein nahezu unsichtbarer Hautfleck zeigt, bekommt das ganze Prinzip der Leibesertüchtigung die Schuld und wird aufgegeben, zum Unmut des Arztes.«

Die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion war damals noch undenkbar und die Weltbevölkerung hatte gerade eine Milliarde erreicht. Strukturell hat sich unsere Gesellschaft verändert und die heutige Situation scheint dramatischer. Unser Blick in die Vergangenheit zeigt jedoch deutlich, was sich nie geändert hat: Jeder Mensch ist für seine Ernährung und seinen Lebenswandel selbst verantwortlich.

Was ist die Lösung?

Es ist darüber hinaus im Einzelfall irrelevant, wer schuld an der bestehenden Situation ist. Selbst wenn wir einen Schuldigen festnageln könnten, ändert das nichts.

Sind die verlockenden Angebote der Industrie eine Herausforderung für unsere Entschlossenheit, nur frische Lebensmittel und wenig Zucker zu essen? Zweifelsohne.

Könnte die Politik etwas dagegen unternehmen und die psychologische Manipulation auch durch Werbung eingrenzen? Klar.

Wäre eine sorgfältige Berichterstattung und Information durch die Medien hilfreich bei der Bildung zu ernährungsrelevanten Themen? Sicherlich.

Wir können weiterhin mit dem Finger auf andere zeigen und warten, dass jemand etwas tut. Und wir sollten im Sinne der Zivilgesellschaft gemeinsam mit allen Beteiligten an dem Problem arbeiten.

Doch weder ist eine zügige Änderung zu erwarten, noch hälfe sie im Einzelfall. Es bleibt dabei: Wir selbst wählen und kaufen, kauen und schlucken unser Essen. Mit diesen essenziellen Schritten sind wir glücklicherweise noch immer uns selbst überlassen und hier können wir selbst eingreifen. Sicher wäre Hilfe von außen wünschenswert. Darauf können wir warten. Oder wir treffen eine Entscheidung: Selbst aktiv werden, Verantwortung für unser Leben übernehmen und die Ernährung zielgerichtet umstellen. Das ist Eigenverantwortung.

Eigenverantwortung: Heute anfangen

Sie können sofort anfangen und selbst etwas unternehmen. Eine Ernährungsumstellung kann sehr einfach und dennoch effektiv sein. Fast alle Quellen sind sich einig: Gesunde Ernährung beginnt mit einem großen Haufen Gemüse. Ganz gleich ob mediterran, vegetarisch, vegan, paleo oder Rohkost: Bei den erfolgreichsten Diäten stehen viele frische Pflanzen ganz oben auf der Liste.

Wer den Großteil seines Tellers mit Gemüse füllt, nutzt bereits die meisten Vorteile dieser Programme. Wer sich bei den Getränken überwiegend auf Wasser beschränkt, setzt einen weiteren der effektivsten Schritte zum Abnehmen um.

Und das tägliche Bewegungspensum lässt sich stets um eine Kniebeuge, Liegestütz oder 50 gelaufene Meter erhöhen. Am besten in freier Natur, denn für Bewegung gilt das gleiche wie für die Ernährung: Sie dient nicht nur dem Körper, sondern auch Geist und Seele.

Quellen und weiterführende Informationen:

Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.