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Die Ethik des Fleischverzehrs

Der Mensch hat eine Verantwortung seiner Umwelt gegenüber. Sei es aus purem Mitgefühl, aus Freude an der Natur oder schlicht aus Interesse daran, auch künftig noch Nahrungsmittel bekommen zu können. Das betrifft jeden einzelnen von uns: Ohne Natur verhungert der Mensch.

In der Welt bestimmt sich die Wahl des Nahrungsmittels schlicht durch das Angebot. Sind reichlich Beutetiere vorhanden, steigt die Raubtierpopulation. Gibt es zu wenig zu essen, schrumpft auch die Zahl der Jäger wieder, bis sich der Beutetierbestand erholt. Das gleiche gilt selbstredend für Pflanzenfresser.

In seiner extremen Anpassungsfähigkeit hat der Mensch es in weiten Teilen der Welt geschafft, seine Versorgung mit Nahrungsmitteln so stabil zu strukturieren, dass er solche für ihn ehemals natürliche Abhängigkeiten (scheinbar) zu überwinden in der Lage ist.

In eben diesem Luxus erlaubt sich der Mensch die freie Wahl. Und er stellt sich zusehends die Frage, ob es korrekt ist, ob es richtig ist, ob es ethisch vertretbar ist, Fleisch zu essen.

„Ist es in Ordnung, dass ein Wesen stirbt, damit ich essen kann?“

Die Vermeidung von Tierqualen steht bei der ethischen Begründung für Veganismus (oder andere Formen des Verzichts auf Tierprodukte) oft an noch höherer Stelle als der Tod des Tieres. Das mag daran liegen, dass der Tod Teil des Lebens ist, er trifft früher oder später jedes Lebewesen. So eignet er sich schlechter als Argument gegen den Fleischkonsum: Denn Lebewesen werden weiterhin sterben.

Die Natur kennt keine Paragraphen; der Stärkere gewinnt. Somit ist das Töten eines Tieres einer anderen Spezies auch kein Mord. Denn Mord ist eine Erfindung im Rechtssystem des Menschen, das er als Regelwerk für seine Zivilisation nutzt. Als Opfer kommen nur Artgenossen in Frage. Das ist auch gut so, denn sonst würde der Mensch sich der Natur schutzlos ausliefern. Wenn eine Mücke an sein Blut will, kann er sie töten, ohne sich dafür vor Gericht verantworten zu müssen. Es bleibt die Tötung.

Andere Tiere stellen sich die moralische Frage des Tötens nicht. Sie überleben. Geparden fressen Gazellen. Löwen töten sogar andere Löwen und Löwenjunge. Auch Primaten, zum Beispiel Schimpansen in Uganda, führen gegeneinander Krieg, töten und essen dabei ihre Artgenossen. Ameisen melken Blattsauger. Katzen spielen ein gerne als grausam bezeichnetes Spiel mit sterbenden Mäusen.

„Andere Tiere stellen sich die moralische Frage des Tötens nicht.“

All dies kann jedoch keine Entschuldigung oder Rechtfertigung für das Verhalten jedes einzelnen Menschen sein. Jeder Mensch muss sich Gedanken um Tiere und Umwelt machen. Und sei es nur, um auch zukünftig weiter mit Nahrung, gar mit Fleisch versorgt werden zu können. Der Mensch muss aus eigenem Interesse für Nachhaltigkeit sorgen. Dabei ist die Frage, wie die Lösung dafür aussieht, zunächst sekundär (und Thema eines anderen Beitrags). Was für eine Welt wollen wir unseren Nachkommen, unseren Kindern hinterlassen?

Den Verzicht auf Fleisch damit zu begründen, man wolle keinem Lebewesen Leid oder Tod bereiten, scheint mir schlecht durchdacht. Was ist mit den vielen Mäusen und Käfern, die bei der Getreideernte von Mähdreschern getötet werden? Was ist mit den Vogelarten, die aufgrund der pflanzlichen Monokulturen keinen Lebensraum mehr finden? Was ist mit den vielen Mikroben, Käfern, Würmern, die durch zerstörte Böden ihren Lebensraum verlieren? Unsere Häuser und Straßen, zentrale Bestandteile unserer Zivilisation besetzen (und versiegeln) den Boden, auf und in dem früher andere Lebewesen florierten. Der Mensch steht wie jedes andere Tier in Konkurrenz mit anderen Spezies. Jedes Blatt Salat, das wir essen, könnte stattdessen eine Raupe ernähren. Es ist nicht allein das Fleisch, das Leben kostet. Es ist das Leben als solches.

Wer mit dem Argument auf Fleisch verzichtet, durch seine Ernährungsweise keinem Tier schaden und die Umwelt schützen zu wollen, muss auch die Frage beantworten, warum er es dann akzeptiert, dass für das Obst aus Übersee, das er stattdessen isst, die Umwelt (und somit auch die Tierwelt) transportbedingt belastet wird. Oder warum er dem Kaninchen den Salat weg isst.

Mit anderen Worten: Damit ein Lebewesen essen und leben kann, muss immer ein anderes sterben. Und sei es eine Amöbe auf dem Grünkohl (der für sich natürlich auch ein Lebewesen ist). Leben und Sterben, Wachstum und Verfall. Das ist das unausweichliche Gesetz der Natur.

Bewusstsein und Differenzierung

Ich habe Respekt vor jedem Leben, ganz gleich ob es tierischer oder pflanzlicher Natur ist. Daher sehe ich keine moralische Überlegenheit darin, meinen Respekt auf Wirbeltiere oder gar Säugetiere zu beschränken. Der Mensch hat einen Platz im Ökosystem und in der Nahrungskette. Und er hinterlässt zwangsläufig seine Spuren, er verbraucht Energie und Nährstoffe. Er hat jedoch in weiten Grenzen die Wahl, wie groß dieser Verbrauch ausfällt, wie er die Umwelt beeinflusst und wie er mit anderen Tieren umgeht.

Eine pauschale Betrachtung wie sie leider viel zu oft ins Feld geführt wird (zum Beispiel Fleisch sei grundsätzlich Tierquälerei) kommt für mich nicht in Frage. Sie mag im Mittel zutreffen, geht jedoch trotzdem an den Tatsachen vorbei.

Kann ich akzeptieren, dass Hähnchen in der konventionellen Zucht systembedingt ihr gesamtes, rund 30-tägiges Leben in ihrem eigenen Kot stehen und unter Verhaltensstörungen und schmerzhaften Krankheiten leiden? Auf keinen Fall. Wie muss bei dieser Bewertung also die Konsequenz eines logisch denkenden Menschen aussehen? Kein Geflügel aus konventioneller Zucht zu kaufen.

Kann ich damit leben, dass ein Tier seiner Art gerecht glücklich aufwächst und mit einem gezielten Schlag oder Schuss schmerzfrei aus dem Leben gebracht wird, um dann bestmöglich als Nahrungsmittel verwendet zu werden? Die Tötungsmethoden des Menschen funktionieren im Mittel wesentlich zuverlässiger und qualfreier als beispielsweise der Kehlbiss von Raubtieren.

Auch das Konzept der Kumulation von Leid und Leben scheint fragwürdig. Wenn es eines Menschen Ziel ist, so wenig Tod und Leid zu verursachen wir möglich, warum isst er dann viel Getreide und andere pflanzliche Lebensmittel, durch deren Anbau viele kleine Tiere zu Schaden kommen, statt einen einzigen Blauwal zu erlegen, dessen Fleisch ihn sein Leben lang versorgen würde? Schließlich wäre damit nur ein einziges Tier gestorben, rechnerisch wäre dies demnach die beste Entscheidung. Zweifelsohne kann dies keine Lösung sein, jedoch verdeutlicht es die Ambivalenz der Beschränkung auf pflanzliche Lebensmittel.

Fazit

Für die mächtigste Spezies des Planeten ist die Frage nach der Ethik des Fleischverzehrs ein Problem, das sich der Mensch selbst aufgeladen hat. Jeder Mensch sollte darüber nicht nur selbst entscheiden, er muss darüber selbst entscheiden. Doch genau da liegt das Problem. Denn solange Fleisch nur aus Gewohnheit verzehrt wird, oder weil es so üblich ist, hat eine Auseinandersetzung und eine bewusste Entscheidung nicht stattgefunden.

Wer sich seine Rolle im Ökosystem nicht bewusst macht und konsequent handelt, ist mitverantwortlich für dessen Zerstörung. Er oder sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein Wegseher zu sein.

Update: Die weitere Diskussion findet im Forum statt.

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