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Der beste Freund des Menschen: Die Darmflora

Der beste Freund des Menschen: Die DarmfloraZehnmal mehr Bakterien als eigene Körperzellen befinden sich im Menschen. Untersucht man das gesamte Genmaterial, so findet sich in Homo sapiens nur 1% menschliche DNA. Der Rest entstammt einer Vielzahl von Bakterien besonders in seinem Darm. Was wir mit uns herumtragen sind nicht etwa passive Gäste, die gelegentlich für Blähungen sorgen: Sie haben wesentliche Bedeutung für unser Immunsystem und unser Wohlbefinden. Im Darm produzieren sie Signale für Hunger, Sättigung und Verdauung und regeln so auch unser Körpergewicht.

Was wir im Sprachgebrauch Darmflora nennen, ist eigentlich das Darmmikrobiom, denn Bakterien gehören nicht zum Reich der Pflanzen. Keine Rolle spielt das für unsere Bereitschaft, über sie zu sprechen. Fäkalien oder die Konsistenz des Stuhls gehören dank gesellschaftlicher Konditionierung zu den weniger beliebten Themen, was auch den Forschungsfortschritt im Darmbereich gebremst hat. Heute wissen wir mehr. Wie groß ist also die Macht unserer Darmbakterien? Unterliegen wir völlig ihrem Einfluss? Was können sie für uns leisten? Wie schaden wir ihnen und wie können wir diese Gemeinschaft wieder heilen?

Des Menschen bester Freund: Die Macht der Darmbakterien

Die Forschung in diesem Bereich ist relativ jung, doch angesichts der überwältigenden Zahlen überrascht kaum, welche Hinweise die Wissenschaftler finden. Nüchtern betrachtet, vielleicht aus Sicht einer anderen intelligenten Spezies, sind wir Menschen lediglich laufende Wirte für Bakterienkolonien. Kolonien, deren Ansprüchen wir offenbar stärker unterworfen sind, als wir uns vorstellen können. Unsere Darmbakterien produzieren Stoffe, die Hunger, Sättigung und Verdauung regulieren. Auf diesen Wegen lassen sie sich von uns füttern und halten ihren Wirt wirtlich.

So erklärt sich auch ihre Bedeutung für unser Immunsystem. Nur eine starke Bakteriengemeinschaft hält unseren Darm intakt und so ihren Wirt möglichst zuverlässig am Leben – eine Doppelsieg-Strategie.

Entscheidenden Einfluss auf das Darmmikrobiom habe Forschern zufolge bereits die Geburt. Da der Säugling bei einem Kaiserschnitt nicht die bakteriell besetzte Vagina passiert, gilt diese Form der Entbindung als Risikofaktor für ein schwächeres Immunsystem. Ähnlich bewertet man das Stillen als vorteilhaft für die Entwicklung eines robusten Immunsystems durch Pflege der Darmbakterien.

Die Hygiene Hypothese stellt bereits seit über 25 Jahren Zusammenhänge zwischen übertriebener Hygiene und einem schwachen Immunsystem her: Indigene Völker, jedoch auch Kinder aus Industriestaaten, die auf Bauernhöfen aufwachsen und mit entsprechend mehr Bakterien in Berührung kommen, leiden einigen Studien zufolge durchschnittlich seltener an Allergien.

„In Entwicklungsländern, deren sozioökonomischen Bedingungen diese extreme Reinlichkeit nicht erlauben, weiß man kaum von Autoimmunerkrankungen und Allergien,“ meint Stefano Guandalini, MD, Gründer und medizinischer Leiter des Zöliakiezentrums der University of Chicago. „Und wenn solch ein Land sich dann entwickelt, wie etwa Nordindien, wo dies dokumentiert ist, dann schlagen diese Krankheiten zu.“

Als ein Mysterium der menschlichen Muttermilch galt lange Zeit das Vorhandensein komplexer Kohlenhydrate (Oligosaccharide), zu deren Verdauung Säuglingen die nötigen Enzyme fehlen. Wozu diese Ressource zur Verfügung stellen, wenn sie dem Überleben des Neugeborenen scheinbar nicht hilft? Die Antwort könnte die Fütterung des jungen Mikrobioms sein.

Offenbar sind wir trotz unseres technischen Fortschritts und der gefühlten Entfrem­dung von der Natur durchaus in die Umwelt eingebunden und leben eingewoben in ein Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeiten.

Die Vielfalt des Mikrobioms und die Diversität der Mikrobiome verschiedener Menschen erklären auch die mangelnde Eindeutigkeit der Studienlage vieler ernährungsrelevanter Themen. So können viele Darmbakterien Gluten verdauen und als Nährstoff verwenden. Dies könnte gleichermaßen die Erklärung stets abweichender Studienergebnisse sein und eine Behandlungsmethode für Zöliakiepatienten eröffnen.

Auch Themen wie das Autoimmunprotokoll und FODMAP ließen sich auf diesem Wege erklären und möglicherweise in Zukunft lösen. Und da die Bakterien sich (mittels des Hormons Ghrelin) an der Regulierung unseres Hunger- und Sättigungsgefühls beteiligen, scheint auch im Sinne der Gewichtskontrolle eine Rücksichtnahme auf ihre Bedürfnisse ratsam.

Unsere Freunde sind in Gefahr

50 Tonnen Lebensmittel passieren im Leben das Epithel, welches unseren Verdauungstrakt bekleidet. Das Epithel ist Vermittler zwischen Mensch und Außenwelt. Aufgefaltet hat es die Größe eines Tennisplatzes und es ist die Heimat unserer Darmbakterien, welche ihr Habitat pflegen.

Viel hängt von genau dieser Pflege ab, denn unsere Darmbarriere nimmt etwa die von den Darmbakterien ausgeschiedenen Fettsäuren auf. Eine mangelhafte Versorgung der Epithelbarriere kann sie durchlässig machen, in der Folge geraten Bakterien, Toxine und Proteine in den Blutkreislauf. Darauf reagiert das körpereigene Immunsystem und eine folgende Entzündung kann zum metabolischen Syndrom mit all seinen Folgen führen (s.a. Zivilisationskrankheiten). Auf diesem Weg besteht eine Verbindung zwischen unserem Mikrobiom und Übergewicht, Diabetes und Herz-Gefäßerkrankungen.

Untersuchungen wie das Human Food Project deuten darauf hin, dass die Mikrobiome in Industrienationen verarmen. Es zeigen sich eine geringere Bakterienvielfalt und signifikant veränderte Zusammensetzungen im Vergleich zu indigenen Völkern besonders in Afrika. Als eine der Ursachen gelten Unterschiede in Ernährung und Lebensweise, was weitere Rückschlüsse zur Hygiene Hypothese erlaubt.

Auch gibt es nun handfeste Hinweise auf den ernährungsrelevanten Einfluss: Experimente mit Mäusen zeigen, dass eine „Junk Food“-Ernährung bei diesen zur gleichen Veränderung des Mikrobioms führt wie bei Menschen. Sie zeigten auch die direkten Folgen: Eine durchlässigere Darmbarriere, Endotoxine im Blut, Entzündungsreaktionen und das metabolische Syndrom.

Heilungsmöglichkeiten: Die Rettung der Darmflora

Bei geringer Darmbakterienvielfalt müsse man einfach mehr Bakterien essen, so der naheliegende Schluss. Fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut und Joghurt gelten daher als Vorteilhaft für die Darmflora. Die zahlreichen als Nahrungsergänzungsmittel erhältlichen Probiotika machen ähnliche Versprechen. Dabei ist unklar, was mit diesen Bakterien tatsächlich geschieht, nachdem wir sie essen.

Auf dem Weg in den Darm passieren sie den Magen, ein saures Milieu, welches viele von ihnen kaum überleben dürften. Sind die Bakterien dann im Darm angekommen, lassen sich nicht alle einfach dort nieder. Noch ist für uns unvorhersehbar, was genau passiert.

Da die Bakterien sich relativ schnell entwickeln, haben offenbar auch die durchreisenden Gäste Einfluss auf die niedergelassenen Stämme und es findet ein sogenannter horizontaler Gentransfer statt: Dies steht im Gegensatz zur vertikalen Weitergabe von Eltern- zu Nachkommengeneration.

Zur Bakterienpflege scheint angesichts der westlichen Ernährung ein größerer Verzehr Prebiotischer Lebensmittel effektiver: Prebiotika sind keine Bakterien, sondern Bakterienfutter. Jene für den Menschen selbst unverdaulichen Nahrungsbestandteile, die wir als Ballaststoffe verschiedenen Ursprungs kennen.

Zum Schutz des Darmmikrobioms gehört auch ein Verzicht auf Antibiotika, denn diese töten wahllos alle Bakterien. Das Desaster nach der Penicillineinnahme ist messbar und für die Patienten dauert es oft Wochen bis Monate, die Darmflora wieder aufzubauen – wenn sie sich überhaupt gezielt darum kümmern. Antibiotika haben ihren Wert, doch sie fordern zugleich hohe Kosten.

Die Begriffe Fäkaltransplantat und Stuhltransplantation beschreiben ohne Umschweife eine Therapie für Menschen mit schwerwiegender Störung des Darmmikrobioms etwa durch Antibiotikaeinnahme. Die Behandlung hat eine hohe Erfolgsquote.

Einfach jeden Tag im Dreck spielen, sich nicht mehr waschen und Sauerkraut löffeln – ist das die Lösung aller Gesundheitsprobleme?

Was kann ich tun, um meine Darmflora zu pflegen?

Die meisten Wissenschaftler sind mit ihren Aussagen zum Darmmikrobiom vorsichtig. Sie meiden voreilige Schlüsse, weil diese in der Vergangenheit bei ernährungs­rele­vanten Themen häufig dem Fortschritt geschadet haben. Wir haben durchaus bereits eine Menge erfahren, doch wir wissen längst nicht alles. Einige Anhaltspunkte verfestigen sich dennoch:

  • Der Verzehr vielfältiger fermentierter Lebensmittel scheint sich überwiegend positiv auf die Darmflora auszuwirken. Zumindest dann, wenn die Produkte nicht erhitzt/pasteurisiert werden, denn dies tötet die Bakterien (und trifft leider auf den Großteil z.B. des kommerziell erhältlichen Sauerkrauts zu).
  • Viele kommerzielle probiotische Produkte sind praktisch unberechenbar. Häufig enthalten Sie nicht oder nicht nur die auf der Verpackung genannten Bakterien. Zudem ist unklar, was mit diesen Bakterien im Körper geschieht.
  • Einfach nur Ballaststoffe zu essen genügt nicht. Es gibt verschiedene Sorten unverdaulicher Kohlenhydrate und wahrscheinlich ist gerade die Vielfalt ein entscheidender Faktor.
  • Eine vielseitige Ernährung von unterschiedlichen Nuss, Getreide, Gemüse- und Obstsorten, auch roh, dürfte eine ansprechende Ballaststoffvielfalt für die Vermehrung der Darmbakterien bereitstellen.
  • Dreck nicht scheuen und übertrieben Hygiene meiden. Manchmal reicht es, sich die Hände mit Wasser zu waschen. Haltegriffe in Bussen und Rolltreppen­geländer sind ebenso selten die Träger tödlicher Keime wie Hunde- und Katzenfelle.

Für die tägliche Ernährung könnte dies bedeuten: Vielseitiges Obst und Gemüse, Salate, Kräuter und Nüsse kaufen, diese nicht übertrieben lange waschen, abschrubben oder schälen und auch mal roh verzehren.

Quellen und weiterführende Informationen:

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