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Alleine essen macht krank

Karotten alleine essenDie Tochter verkrümelt sich gerade mit einem Teller Nudeln mit Käsesoße vor den Fernseher, als Mama die siebte Kurznachricht durch ihr Telefon feuert, ein Knäckebrot in der linken Hand. Ihr jüngerer Sohn hat bereits am Computer in seinem Zimmer eine Lasagneschale ausgelöffelt und Papa lässt sich auf dem Heimweg im Drive-Through bedienen. Niemand muss mehr seinen Lebensstil unterbrechen, um zu essen wann und was er möchte. Wir nennen das Komfort. Biologisch erfüllt diese Art des Essens scheinbar die gleiche Funktion. Doch durch den zusehends individualisierten Lebensstil verlieren wir viel.

Unsere Evolution hat uns bereits vor vielen Tausend Jahren ermöglicht, unseren Tag mit anderen Dingen als nur der Futtersuche zu verbringen. Diese freigewordene Zeit können wir heute mit wichtigen Tätigkeiten wie dem Anschauen von Katzenvideos verbringen. Dennoch ist Essen nach wie vor lebensnotwendig und wohl dank dieses Umstandes ist das kommunale oder familiäre Essen am Tisch traditionell der Mittelpunkt des sozialen Lebens. Technologische Entwicklungen wie die Industrialisierung der Lebensmittelproduktion und die Mikrowelle haben diese Institution in den letzten 60 Jahren jedoch besonders in den Industrienationen zusehends verwässert. Familienmitglieder essen vermehrt allein und verlieren den Kontakt zueinander. Zu den dramatischsten Folgen der einsamen Mahlzeiten gehört neben Übergewicht und Essstörungen auch ein erhöhter Drogenkonsum.

Alleine essen in der Jugend

Essen Jugendliche häufig (fünf- bis siebenmal pro Woche) mit ihren Eltern zu Abend, berichten sie mit erheblich höherer Wahrscheinlichkeit von einem exzellenten Verhältnis zu ihren Eltern. Ein solch gutes Verhältnis ist schon für sich genommen gesund und angenehm und gewiss streben die meisten Familien dies an. Doch der Effekt geht darüber hinaus: Jugendliche mit einer solchen Beziehung zu ihren Eltern bleiben mit zwei- bis vierfacher Wahrscheinlichkeit Drogen wie Marihuana, Alkohol und Tabak fern. Dies bestätigt die These, ein positiv gefestigtes soziales Umfeld schütze effektiv gegen Drogenmissbrauch. Ob die Jungendlichen stattdessen mehr Katzenvideos konsumieren, war nicht Teil der Untersuchung.

Diese Ergebnisse können darauf hindeuten, dass sich die Eltern in solchen Familien generell mehr am Leben ihrer Kinder beteiligen und nicht das gemeinsame Essen diese positiven Effekte verursacht. Dennoch ist das gemeinsame Essen ein Bestandteil dieses Zusammenlebens.

Alleine essen im Alter

Andere Untersuchungen zeigen die Auswirkungen einsamer Mahlzeiten auf ältere Menschen. Alleinstehende oder verwitwete Senioren essen seltener und weniger vielseitiges Obst und Gemüse. Zugleich neigen sie erheblich häufiger zu Übergewicht, wobei für allein essende Männer zugleich die Gefahr des Untergewichts erhöht ist. Die Zusammenhänge sind komplex und deuten auf ein generell gesünderes Essverhalten bei in Gesellschaft lebenden und essenden Senioren hin.

Diese Beispiele verdeutlichen den Wert gemeinsamer Mahlzeiten. Sie fördern ein gesundes Essverhalten und stärken soziale Bindungen. Bestsellerautor Michael Pollan argumentiert in seinen Werken: »Das gemeinsame Mahl erhebt Essen vom mechanischen Prozess der Energieversorgung zu einem Ritual der Familie oder Kommune, von tierischer Biologie zu einem Akt der Kultur.«

Wenn ein Verständnis für den Wert des gemeinsamen Speisens besteht, erhöht dies den Stellenwert der Mahlzeit als Ritual im Alltag. Diese erhöhte Wertschätzung dehnt sich wahrscheinlich auch auf die Qualität des Essens selbst aus. Da liegt nahe, mehr selbst (und gemeinsam) zu kochen, was weitere gesundheitliche Vorteile mit sich bringt.

Der positive Effekt gemeinsamen Essens ist demnach immens.

Wie kann man das zu Hause umsetzen?

Ist nicht erstaunlich, wofür wir uns Zeit nehmen, wenn die Motivation stimmt? Der Tag ist zu geschäftig für ein paar Liegestütz und Kniebeugen zwischendurch, ganz zu schweigen von einer halben Stunde Küchenarbeit. Und trotzdem reicht die Zeit für den abendlichen Kinobesuch und die Lieblingsserien im Fernsehen. Und für Katzenvideos zwischendurch. Folgende Tipps können am Anfang bei der Motivation helfen:

  • Das gemeinsame Essen als zusätzlichen Termin, als Pflicht einführen zu wollen, wird wahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt. Wie wäre es, wenn Sie stattdessen gemeinsam über das Potenzial für schöne gemeinsame Momente sprechen? Herrscht Einigkeit, ist der Erfolg garantiert und bereits das erste Erlebnis macht Lust auf mehr und zeigt zugleich stets Potenzial zur Verbesserung auf. Das ist die Pflege des Beisammenseins.
  • Wichtig ist, sich nicht selbst einzuschüchtern. Es geht zunächst um ein einziges, schönes, angenehmes Mahl miteinander. Fangen Sie einfach damit an. Schauen Sie dann, wie es Ihnen gefallen hat und machen Sie sich erst dann an das nächste Mahl. Gelegenheiten gibt es schließlich jeden Tag.
  • Es bricht wirklich keine Welt zusammen, wenn man Nachrichten auf dem Smartphone mal eine halbe Stunde unbeantwortet lässt. Am besten schalten Sie das Gerät ganz aus.
  • Morgens ein paar Minuten früher aufzustehen, um sich beim Frühstück wenigstens kurz noch zu sehen, kann den Tag eher verbessern als verschlechtern.
  • Machen Sie sich bewusst, was Ihnen zwischenmenschlichen Beziehungen bedeuten und wie wichtig die Familie in Ihrem Leben ist. Entstehen nicht einige der schönsten Erinnerungen beim Zusammensein am Esstisch?
  • Reservieren Sie einen Tisch im Haushalt als gemeinsamen Esstisch, nichts darf ihn blockieren. Wenn nicht so viel Platz ist, räumen Sie wenigstens zum Essen alles andere vom Tisch.
  • Setzen Sie sich an den Tisch und atmen Sie tief durch. Schauen Sie sich gegenseitig in die Augen und wünschen Sie sich guten Appetit. Es ist ein Geschenk, dass Sie diesen Moment gemeinsam verbringen können.
  • Sprechen Sie über das Essen. Wonach schmeckt es? Wie gefällt es? Wie wurde es zubereitet? Vielleicht auch: Woher kommen die Zutaten?
  • Oder sprechen Sie über wichtigere Themen: Wie geht es uns?

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